Politikerfotos vom Trauermarsch in Paris: „Das Mitmarschieren ist konstruiert“
Die Medien hätten die Inszenierung der Politikerfotos aus Paris kenntlichmachen müssen, sagt Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserats.
taz: Herr Tillmanns, es sah so aus, als würden die 44 Staatschefs Hand in Hand inmitten der Massen in Paris demonstrieren. Nun belegen Fotos, dass die Bilder inszeniert waren. Ist das nicht ein Beleg für die Arbeit der „Lügenpresse“?
Lutz Tillmans: Von diesem Begriff möchte ich mich distanzieren. Wenn die in den sozialen Medien kursierenden Fotos zutreffend sind, dann hat in vielen Medien offenbar eine Inszenierung stattgefunden, über die die Leser/Nutzer nicht klar informiert wurden.
Die Sicherheitsbedenken sind ja verständlich. Aber wird mit diesen Bildern nicht ein Ereignis konstruiert, dass es so nie gab?
ist Geschäftsführer des Deutschen Presserats.
Das Ereignis am Sonntag war der Gedenkmarsch der Millionen in Paris. Aus diesem Anlass hat auch ein Politikertreffen stattgefunden. Konstruiert ist allenfalls das Mitmarschieren der Politiker.
Hätten TV-Sender und Zeitungen nicht deutlich machen müssen, wie das Bild zustande gekommen ist?
Meiner Meinung nach hätten sie das tun müssen. Vorausgesetzt, dieser Umstand war ihnen bewusst. Zu der Frage, aus welchen Quellen genau die jeweiligen Bilder stammten, liegen mir derzeit keine detaillierten Informationen vor. Stammen die Aufnahmen von renommierten Agenturen, so konnten sich die Redaktionen, die sie verwendet haben, darauf verlassen, dass die Inhalte korrekt dargestellt werden. Nach dem Pressekodex sind jedenfalls gestellte Fotos entsprechend zu kennzeichnen.
Arm in Arm führten die Staats- und Regierungschefs der Welt den riesigen Trauermarsch am Sonntag in Paris an, bei dem der Opfer des Anschlags auf Charlie Hebdo und einen koscheren Supermarkt gedacht wurde – so suggerieren es die Bilder, die um die Welt gingen.
Tatsächlich wurden die Politiker weitläufig abgeschirmt von den restlichen Demonstranten auf der Demonstrationsroute. Die Aktion hätte gegen 15.30 Uhr stattgefunden. Nach kurzer Zeit seien dann alle wieder in ihre Autos gestiegen und davongefahren. Nur Frankreichs Präsident François Hollande und Premier Manuel Valls seien noch den Überlebenden des „Charlie Hebdo“-Attentats begegnet. Fotos, die aus weiterer Distanz geschossen wurden, zeigen, dass die Staats- und Regierungschefs eine kleine, eigene Gruppe bildeten - flankiert von Sicherheitsleuten.
Aber wenn sie das immer tun, wäre es dann nicht so, angesichts der Terrorbedrohung mit den damit einhergehenden Sicherheitsmaßnahmen, dass wir kaum noch die wirkmächtigen Bilder erhalten würden, die wir heute kennen?
Soll Journalismus denn über Geschehnisse berichten oder Wirkungen erzielen? Aus journalistischer Sicht ist die Antwort wohl eindeutig: wahrheitsgemäß berichten. Die Frage ist auch, ob die Bilder überhaupt weniger Wirkung gehabt hätten, wenn klar gewesen wäre, dass die dargestellten Staatsoberhäupter aus Sicherheitsgründen in einem separaten Bereich zusammengekommen sind.
Was zählt am Ende mehr, die politisch gewollte Kraft eines Bildes oder die Dokumentation der Inszenierung?
Die Abbildung und Einordnung der Geschehnisse muss im Mittelpunkt stehen. Das ist Aufgabe des Journalismus. Dazu gehört es auch, die Inszenierung eines Geschehnisses oder einer Aufnahme, sofern sie nicht offensichtlich ist, zu erläutern.
14.01., 13:15 Uhr: In einer früheren Version des Textkastens zu diesem Interview hieß es, die Politiker hätten in einer Nebenstraße posiert. Tatsächlich posierten sie auf der Demonstrationsroute. Der Artikel wurde entsprechend korrigiert.
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