Politik und Medien: Das Gefühl, mitspielen zu können
Wie nah dürfen sich Politik und Journalismus sein? Vorwürfe gegen NDR-Journalist*innen haben diese Frage über ein komplexes Verhältnis aktualisiert.
D er Parteienproporz bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten ist eines der Grundübel unseres Systems. Solange ich Journalist bin, bleibe ich parteilos.“ Gesagt hat diesen Satz Claus Richter, ZDF-Journalist und bis 2014 Leiter des Politmagazins „Frontal 21“. Richter ist so etwas wie journalistisches Urgestein, fast noch aus der Zeit des „Internationalen Frühschoppens“ von Werner Höfer, bei dem geraucht, getrunken und gesiezt wurde. Gesagt hat er diesen Satz auch schon 1986, als es noch richtig schlimm war bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten, was den politischen Einfluss anging.
Aber hat sich daran etwas geändert? Der Blick zum NDR nach Kiel scheint zu sagen: Och, nö, nicht wirklich. Das Onlinemedium Business Insider und danach der Stern hatten berichtet, dass es bei der Politikberichterstattung im Kieler Landesfunkhaus eine Art „politischen Filter“ durch die Vorgesetzten geben könnte. Dabei ging es beispielsweise um ein Interview mit dem ehemaligen schleswig-holsteinischen Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU), das ein NDR-Journalist habe führen wollen, was seine Vorgesetzten aber wegen angeblicher Nähe zum mit Grote im Clinch liegenden Ministerpräsidenten Daniel Günther (ebenfalls CDU) abgelehnt hätten. Beim rbb geht es zwar weniger um den Vorwurf direkter politischer Einfluss- oder Rücksichtnahme, doch auch dort spielen politisch gut vernetzte alte Westberliner Seilschaften eine Rolle.
Natürlich verlaufen heute die Gemengelagen anders. Geraucht wird deutlich weniger, dafür sehr viel mehr geduzt. „Familiarity breeds contempt“, sinngemäß „Vertrautheit schafft Verachtung“, sagte schon mein alter Schulrektor. Oder sorgt für Gefälligkeiten, falsche Rücksichtnahme und ein ganz merkwürdiges Gemeinschaftsgefühl. Das muss und soll jetzt nicht das Duzen verteufeln, aber es deutet auf etwas hin, was immer öfter fehlt – professionelle, nicht rein formale Distanz.
Politik und Medien sind zwei Seiten einer Medaille, lautet eine andere Binse im politischen Schwafelgeschäft. Und wie immer ist bei aller gebotenen Verachtung was Wahres dran. Zwei Seiten, das bedeutet Gegensatz oder zumindest eben Distanz, Abstand, nicht eins sein mit dem politischen Apparat. Dumm nur, dass der mit seinen Triggern den medialen Erregungsmustern so furchtbar ähnelt. Und so geraten die Rollen zwar nicht formal, aber informell schon mal ziemlich durcheinander.
Ähnliche Systeme der Versuchung
Ein paar Jahre nach dem Richter-Spruch, ab 1998, moderierte Sabine Christiansen ihre gleichnamige Sendung. Von diesem Schock hat sich der politisch-mediale Komplex nie mehr wirklich erholt. Denn hier saßen plötzlich Politiker*innen und Journalist*innen zusammen und wähnten sich auf Augenhöhe – was erst mal gar nichts aussagt. Doch sie wähnten sich auch auf funktional gleich laufenden Bahnen. Da gefiel sich plötzlich der Stern-Mann Uli Jörges in der Rolle des Ersatzkanzlers und merkte gar nicht, dass er seinen journalistischen Tanzbereich nicht nur verlassen, sondern eigentlich sogar verraten hatte.
„Die Politiker suchen und organisieren die Gefolgschaft von Journalisten“, dieser Satz stammt auch von Jörges. Dem wollte er immer etwas entgegensetzen. Doch es geht eben, wie der Journalist Jürgen Leinemann nach den Erfahrungen der „Bonner Republik“ bei der Ankunft im „Raumschiff Berlin“ konstatierte, nicht um Inhalt, sondern um Betrieb und Macht. Dieser vermeintlichen Macht des Großjournalisten, der der Politik sagt, wo es langgeht, war Jörges zumindest zeitweise verfallen.
Leinemann wusste, wovon er schrieb. Selten hat jemand den politischen Betrieb so schonungslos seziert wie der Spiegel-Mann, der in seinem Buch „Höhenrausch“ 2004 auf die so banale wie erschütternde Erkenntnis „Politiker tun sich schwer mit dem richtigen Leben“ stieß. Und der gerade nicht verhehlte, dass es zahlreichen Journalist*innen mindestens genauso geht. Vor allem, wenn sie so nah dran an ebendieser Politik sind, dass sie das Gefühl haben, mitspielen zu können oder gar zu dürfen. Leinemann, der mit dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder befreundet und per Du war, machte auch gar keinen Hehl aus seiner Nähe zum Objekt der Begierde. Doch er reflektierte das stets mit kritischer Distanz.
„Sind es denn wirklich nur die Politiker, die ihre enormen Möglichkeiten auskosten, sich selbst zu bestätigen? Und behaupten nur sie, dass die vielen Privilegien, die notwendiger- und erfreulicherweise ihr Berufsleben begleiten, nichts anderes seien als quasi unvermeidliche Zugaben zur hehren Gemeinwohl-Aufgabe?“, fragte Leinemann 2005 bei seiner Rede zur „Lage des Journalismus“ bei der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche (Offenlegung: Ich bin da Mitglied und war auch mal im Vorstand. Wie übrigens auch Julia Stein vom NDR-Landesfunkhaus Kiel.)
„Ich tickte wie die meisten politischen Karrieristen“, noch so ein Satz von Leinemann, der vielen anderen aus seiner (unserer!) Zunft wohl nicht so locker über die Lippen käme. Doch Mitspielen war Leinemanns Sache nicht. Auch wenn er bis zuletzt dabei war. Aber wie lässt sich journalistische Distanz halten, wenn sich die Systeme der Versuchung so ähneln?
Journalist*innen sind kein Neutrum
Angelsächsische Medien – ich fürchte, wir reden jetzt überwiegend von der Ära vor Trump – sind schon formal etwas konsequenter aufgestellt. Die Trennung von Nachricht und Meinung ist dort stärker. Eine Vermischung findet nicht statt oder ist zumindest verpönt. Vor rund zehn Jahren weilte eine Kollegin der Washington Post bei der taz. Meine Bitte, auf der Medienseite etwas über den ersten Pulitzer-Preis für ein Onlineangebot namens Politico zu schreiben und das Ganze einzuordnen und zu bewerten, lehnte sie ab. „I cannot possibly do editorial“ – ich kann doch kein Meinungsstück schreiben –, lautete die Antwort der Reporterin, die für eine ihrer Recherchen 2008 selbst mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet worden war. Andere gehen noch weiter. Beziehungsweise gar nicht erst wählen.
„Es mag merkwürdig erscheinen, nicht an Wahlen teilzunehmen oder die eigene politische Präferenz nicht transparent zu machen. Das stimmt aber nicht. Wer Journalist*in wird, gibt zu einem gewissen Grad seine Mitwirkung in der Öffentlichkeit auf, denn Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut des Journalismus“, argumentierte schon 2008 Alicia C. Shepard vom öffentlich-rechtlichen National Public Radio (NPR) in den USA. Und Leonard Downie Jr., bis 2008 Chefredakteur der Washington Post, erklärte „Ich habe zu wählen aufgehört, als ich zum Hauptentscheider darüber wurde, was in der Zeitung erscheint.“
Aber ergibt das Sinn? Nein, und es ist sogar gefährlich. Ich möchte keine politischen Analysen oder Reportagen von Journalist*innen lesen, die von sich behaupten, sie wären ein politisches Neutrum. Denn das gibt es schlicht nicht. Ich möchte aber wissen – oder zumindest erahnen können –, wie jemand politisch tickt. Wenn das transparent gemacht wird, lassen sich auch die Auswirkungen auf die Berichterstattung fair einpreisen. Alles andere ist wie der Glaube an die Unbefleckte Empfängnis.
Das heißt nicht, dass einzelne Journalist*innen oder ganze Redaktionen mit der Politik kungeln sollen. Das Leben – und erst recht das Verhältnis von Politik und Medien – bleibt nun mal komplex. Oder, um es mit Jürgen Leinemann zu sagen: „Die krasse Realität ist für niemanden uneingeschränkt erfreulich.“
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