Polens Regierung torpediert Opposition: Propaganda statt Pressefreiheit
In einem Jahr sind Parlamentswahlen in Polen. Vorher soll der letzte unabhängige Fernsehsender auf Regierungslinie gebracht werden.
V on Polens Medienfreiheit ist kaum noch etwas übrig. Die regierende Nationalpopulisten haben das umstrittene TVN-Mediengesetz durchs Parlament gepeitscht. Am Freitagmorgen noch diskutierten alle Abgeordneten über das Budget 2022, das an diesem Tag beschlossen werden sollte, als der Vorsitzende des Kultur- und Medienausschusses plötzlich eine Sitzung einberief.
Dabei ist laut Gesetz eine Frist von drei Tagen vorgesehen, um allen Abgeordneten die Chance zu geben, sich auf die Debatte vorzubereiten. Dieses Mal mussten 15 Minuten genügen. Die Mehrheit der regierenden Nationalpopulisten von der Recht und Gerechtigkeit (PiS) winkte das Gesetz durch. Nach zwei Stunden war er vorbei, der „Blitzkrieg gegen Polens Medienfreiheit“, wie Polens liberale Opposition den widerrechtlichen Vorgang bezeichnet.
Der Grund dafür: In gut einem Jahr sind Parlamentswahlen in Polen. Bis dahin soll TVN, der letzte unabhängige und regierungskritische Fernsehsender in Polen, zu einer PiS-Parteipropaganda-Tröte umgewandelt werden. Der Staats- und Propagandasender TVP, einst Polens renommierter öffentlich-rechtliche Rundfunk, hat diese Verwandlung bereits hinter sich und sendet sein rund sechs Jahren nur noch auf Parteilinie.
Menschenrecht auf Informationsfreiheit genommen
Leidtragende des PiS-Gesetzes sind nicht nur Millionen polnischer Staatsbürger:innen, denen das Menschenrecht auf Informationsfreiheit genommen wird, sondern auch der amerikanische Medienkonzern Discovery. Er ist über eine niederländische Holding Eigentümer des Senders. Bislang war das legal.
Im Vertrauen auf die guten polnisch-amerikanischen Beziehungen investierte Discovery Milliarden US-Dollar in den populären Nachrichtenkanal TVN24, zahlreiche Unterhaltungs-, Musik- und Geschichtskanäle sowie einen aufwändig betriebenen investigativen Journalismus. Kein anderes Medium deckte in den vergangenen Jahren so viele Skandale in Polens Regierung, PiS und katholischer Kirche auf.
Den Parteifunktionären stieß das immer wieder übel auf. Schon im Juli versuchten sie TVN abzuschaffen. Doch der weltweite Protest sorgte dafür, dass das Gesetzesprojekt in der Schublade verschwand.
Nun aber wird Discovery entweder 51Prozent seiner TVN-Anteile an polnische Investoren – mutmaßlich Strohmänner der PiS – verkaufen müssen oder sich ganz aus Polen zurückziehen. Angeblich soll das Gesetz übrigens vor Feindpropaganda aus Russland und China schützen. Dass Polen nun auch die USA zu diesen „Feinden“ zählt, macht das EU- und NATO-Mitglied für seine Verbündeten unberechenbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann