Polens Premierministerin tritt zurück: Nur eine Marionette Kaczyńskis
Die Premierministerin Beata Szydło tritt ab. Jarosław Kaczyński, der Parteichef von „Recht und Gerechtigkeit“, bleibt der mächtige Mann in Polen.
Schon Ende nächster Woche könnte Mateusz Morawiecki (49), der bisherige Minister für Wirtschaftsentwicklung und Finanzen, den Posten von Szydło übernehmen. Bei der Gelegenheit wird er auch gleich ein paar Minister entlassen und neue ernennen – auf Ansage von Parteichef Jarosław Kaczyński (68). Kaum jemand in Polen gibt sich der Illusion hin, Morawiecki könnte etwas anderes sein als eine Marionette Kaczyńskis.
Warum Szydło überhaupt gehen muss, ist unklar. Als brave Parteisoldatin zerstörte sie auf Anweisung des Parteichefs Kaczyński – gemeinsam mit Staatspräsident Andrzej Duda – Polens Rechtsstaat. Zur Zeit debattieren Polens Abgeordnete die Demontage des letzten Pfeilers der Gewaltenteilung: die Richter sollen nicht mehr unabhängig sein, sondern der Kontrolle der „demokratisch gewählten Volksvertreter“ unterliegen.
Da bei den letzten Parlamentswahlen im Herbst 2015 die PiS mit einem Stimmenergebnis von gerade mal 37 Prozent die absolute Mehrheit im Sejm und Senat eroberte, heißt das im Klartext: „Staatsanwälte und Richter unterliegen der Parteikontrolle.“ Zu dem seltsamen Kräfteverhältnis im Parlament kam es durch das Wahlsystem, das den Sieger einseitig bevorzugt: da es vier Parteien nicht über die Fünf- bzw Acht-Prozenthürde (für Parteienbündnisse) schafften, gingen deren Sitze nach dem Prinzip „The winner takes it all“ an die PiS.
Ganz zu Beginn sollte Szydło so etwas wie eine „Mutti“ in Sinne der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel sein. Tatsächlich ist sie bei den meisten Polen aufgrund der üppigen Sozialprogramme, insbesondere das monatliche Kindergeld in Höhe von rund 125 Euro ab dem zweiten Kind, überaus beliebt. Viele nervte allerdings auch ihre Ergebenheit gegenüber Parteichef Kaczyński und dem Radio- und Fernseh-Pater Tadeusz Rydzyk in Thorn.
Auch im Ausland eckte die Premierministerin Polens mit ihrer ruppig-beleidigenden Art überall an. Zudem nahm man ihr die dreisten Lügen über die angebliche Aufnahme von hunderttausenden Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine übel. So fällt ihre Bilanz – objektiv gesehen – fatal aus: Proteste im ganzen Land gegen die Demontage der Demokratie, Isolierung Polens in der EU, mehrere Rechtsverfahren und Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof. Doch die Partei will Szydło keineswegs fallen lassen. In der neuen Regierung soll sie auch wieder einen Posten bekommen.
„Wunderkind der PiS“
Mateusz Morawiecki, der Nachfolger Szydłos, wurde bislang als „Wunderkind der PiS“ gehandelt, obwohl er der Partei erst 2016 beitrat. Der studierte Historiker, der aber auch an verschiedenen Universitäten Europas Kurse in Business-Administration, Europarecht und Wirtschaftsintegration absolvierte, schlug nach einem Praktikum bei der Deutschen Bundesbank eine Karriere als Banker ein. 2014 stand er an der Spitze der drittgrößten Bank Polens und verdiente über 1,7 Millionen Zloty (ca 425.000 Euro).
Politisch war Morawiecki bislang weniger an Parteiprogrammen, denn an der Macht interessiert. So gehörte er ab 2010 zum Beraterstab des damaligen Premiers Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO).
Die PiS stellt den heutigen EU-Rats-Vorsitzenden gern als Landesverräter dar. Nach dem Regierungswechsel in Polen 2015 vollzog Morawiecki den fliegenden Wechsel und wurde von der PiS mit offenen Armen aufgenommen. Er soll in der neuen Regierung vor allem dafür sorgen, dass die EU die milliardenschweren Direktbeihilfen an Polen nicht an die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundprinzipien bindet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands