Polen und die EU: Rote Karte
Warschau will einstweilige Anordnungen des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg nicht anerkennen, wenn sie polnische Gerichte betreffen.
Piotrowicz, der in der kommunistischen Zeit Polens Staatsanwalt war, später als Politiker in der nationalpopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS) Karriere machte, dabei federführend an der Deformation des polnischen Rechtsstaates durch die PiS mitarbeitete, sitzt nun der fünfköpfigen Richtergruppe des polnischen Verfassungsgerichts vor. „Die einstweiligen Anordnungen des EuGH sind nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar und haben daher keine Rechtswirkung in Polen“, so Piotrowicz abschließend. Polen wird also auch diese Anordnung nicht umsetzen.
Keine Stunde zuvor durchlebten die polnischen Verfassungsrichter einen Schock: Da berieten sie stundenlang über die Frage, ob der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg berechtigt ist, eine „einstweilige Anordnung“ zur umstrittenen Disziplinarkammer am Obersten (Berufungs-)Gericht zu erlassen.
Doch kurz vor ihrem Urteil meldete sich Rosario Silva de Lapuerta, die stellvertretende Vorsitzende des EuGH, überraschend und lautstark zu Wort. Sie machte klar, dass Polen aufgrund der eingegangenen Verpflichtungen zur Rechtsstaatlichkeit in der EU dazu verpflichtet sei, die einstweilige Anordnung zur Disziplinarkammer umzusetzen. Die Kammer habe bis zum endgültigen Urteil aus Luxemburg ihre Arbeit vollständig einzustellen.
Falsches T-Shirt
Die Disziplinarkammer, deren Richter ausschließlich von einem politisierten Neo-Landesjustizrat (NeoKRS) ernannt wurden, dient der nationalpopulistischen Regierungspartei PiS als Repressionsapparat gegenüber unabhängigen Richter:innen. Als Vergehen galt bislang schon, wenn Richter:innen in Schulen über die Verfassung informierten oder aber ein T-Shirt mit der Aufschrift „Konstytucja“ (Verfassung) trugen. Anderen Richter:innen wurde die richterliche Immunität aberkannt, um strafrechtlich gegen sie vorgehen zu können. In den meisten Fällen bedeutet dies das Ende einer Richterlaufbahn.
Schon kurz nach der Gründung der Disziplinarkammer durch die PiS hatte die Vollversammlung aller Richter am Obersten Gericht Polens festgestellt, dass die neue Kammer keinen Gerichtsstatus habe und daher illegal sei, ebenso wie alle ihre Urteile und Entscheidungen.
Doch die Kammer hatte sich nicht darum gekümmert und fleißig andere Richter:innen „diszipliniert“ oder ihnen die Immunität aberkannt. Ziel war es, die rund 10.000 Richter:innen in Polen so einzuschüchtern, dass sie von sich aus Urteile im Sinne der PiS fällten.
Am Donnerstag stehen zwei weitere wichtige Urteile an: In Luxemburg wird sich der EuGH zum wiederholten Mal mit der umstrittenen Disziplinarkammer und dem nicht minder umstrittenen Neo-Landesjustizrat beschäftigen.
Und in Warschau wird kurz nach dem Urteil in Luxemburg wahrscheinlich einen Gegenurteil im Verfassungsgericht fallen. Dann wird Brüssel entscheiden müssen, wie es in dieser verfahrenen Situation weitergehen soll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten