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„Pocahontas wusste es besser“

Wie kommt die Indianerprinzessin unter die Burka: Ein Gespräch mit Klaus Theweleit über die 400-Jahr-Feier von Jamestown, die vielen Gründungsmythen der USA und eine für den Antiterrorkampf taugliche Interpretation der Pocahontas-Legende

ZUR PERSON

Klaus Theweleit, 65, ist Professor für Kunst und Theorie an der Akademie der Künste in Karlsruhe. 1999 veröffentlichte er „Pocahontas in Wonderland“ (Stroemfeld), eine Studie zur Legende um das Indianermädchen Pocahontas und den englischen Siedler John Smith. Das Buch demontiert den amerikanischen Gründungsmythos von der rot-weißen Romanze und schreibt die amerikanische Geschichte neu, indem es Amerika als koloniale Projektion Europas konstruiert. Pocahontas und Smith lebten in Jamestown, der ersten dauerhaften britischen Kolonie in Amerika, die an diesem Wochenende 400 Jahre alt wird.

INTERVIEW SEBASTIAN MOLL

taz: Herr Theweleit, am kommenden Wochenende feiern die USA mit großem Tamtam den 400. Jahrestag der Gründung von Jamestown in Virginia. Was feiern die Amerikaner da eigentlich?

Klaus Theweleit: Zunächst einmal feiern sie die Tatsache, dass 1607 drei britische Schiffe an jenem Fluss landeten, den sie später nach ihrem König den James River nannten. Die Besatzungen gründeten die erste dauerhafte englische Siedlung auf amerikanischem Boden. Es war die Gründung der englischsprachigen USA, wie wir sie heute kennen.

Und was bedeutet das Ereignis heute für die Amerikaner?

Die populäre Imagination wird bis heute vor allem von der Pocahontas-Legende geleitet. Pocahontas war die Tochter des Algonquin-Häuptlings Powahatan. Powahatan wollte nach dieser Legende dem gefangen genommenen Engländer John Smith den Schädel zertrümmern, doch seine Tochter rettete Smith das Leben. Daraus entspinnt sich eine gemischtrassige Liebesgeschichte, die später zum amerikanischen Gründungsmythos erwächst. Es ist allerdings höchst zweifelhaft, ob sich diese Ereignisse auch zugetragen haben. Der Lebensrettungsakt durch Pocahontas taucht in John Smith’ Aufzeichnungen erst 1624 auf, in den ersten Berichten der Mission fehlt er vollständig. Zur großen Romanze wird die vermeintliche Verbindung von Pocahontas und Smith erst durch die Romane von John Davis aus dem frühen 19. Jahrhundert.

Welches Selbstbild entwirft Amerika durch den Pocahontas-Mythos?

Die Tatsache, dass Pocahontas aus Liebe zu den Siedlern überläuft, wird als Berechtigung der Kolonialisten zur Landnahme gedeutet. Pocahontas wird zu einer zentralen Figur der Kolonialisierung. Ihre Geschichte wurde allerdings im Laufe der Zeit immer wieder zur Untermauerung des jeweils aktuellen Diskurses umgedeutet. So gab es in den Siebzigerjahren einen großen Streit unter Feministinnen, ob Pocahontas eine Verräterin war oder ob der freie Liebesakt nicht vor allem eine Emanzipation von der Vaterkultur war. Neil Young gesteht in der Hippie-Zeit in seinem Pocahontas-Song den Indianern ihr eigenes Land zu, schwelgt jedoch gleichzeitig in Fantasien davon, mit Pocahontas zu schlafen. Im Disney-Film „Pocahontas“ von 1995, mitten in der Ära der Political Correctness, ist Pocahontas eine Figur, die für die Versöhnung der Rassen und für Gleichberechtigung steht.

Die Ära der Political Correctness ist ja nun vorbei. Erwarten Sie anlässlich der diesjährigen Feiern Neuinterpretationen von Pocahontas?

Ich bin darauf gespannt. Es wird sich sicherlich vor dem Hintergrund von 9/11 und dem Kampf gegen den Terror abspielen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass man eine Pocahontas aus dem Iran oder aus Afghanistan erfindet. In Afghanistan ist das ja schon versucht worden, mit den Bildern von Frauen, die sich von der Burka befreien und zur Wahlurne gehen. Wann immer kolonialistische Interessen verfolgt werden, wird das gerne mit dem Vorwand der Emanzipation verbrämt. Die Rhetorik von „Freedom and Democracy“ wird stets mit rassistischen Motiven untermauert. Und dafür eignet sich Pocahontas bestens.

Das heißt, Pocahontas muss für die Legitimierung des Kolonialismus herhalten. Und das gelingt mit der Verwandlung der historischen Pocahontas-Geschichte in eine Lovestory.

Ja, da ist zum einen die Lovestory. Der andere zentrale Aspekt ist die Religion. In Wirklichkeit hat ja Pocahontas den Siedler John Rolfe geheiratet. Rolfe bringt sie nach England und lässt sie taufen. Sie wird dem englischen Hof als Beweis dafür vorgeführt, dass die Wilden gar nicht so schlimm sind. Pocahontas macht Reklame für die Kolonien. Es gab damals in England zwei Fraktionen, die eine, die an die Missionierung glaubte, also daran, dass die Ureinwohner einen guten, christianisierbaren Kern besitzen, und die andere Fraktion, die für Landnahme und Ausrottung war. Pocahontas sprach eindeutig für die Missionierung.

Aber die Landnahme und die Ausrottung haben sich doch in den USA durchgesetzt. Die Pocahontas-Legende hat es scheinbar nicht geschafft, das nationale Selbstbewusstsein zu bestimmen.

Es konkurrieren in den USA zwei Gründungsmythen. Da ist Jamestown auf der einen Seite und die puritanische Siedlung Plymouth in Massachussetts auf der anderen Seite. Und obwohl Plymouth erst 14 Jahre nach Jamestown gegründet wurde, ist Plymouth der deutlich erfolgreichere Mythos. Sie werden beim Plymouth-Jubiläum wesentlich ausgiebigere Feierlichkeiten erleben als jetzt in Jamestown.

Woran liegt das?

Das liegt vor allem am amerikanischen Sezessionskrieg, gemeinhin Bürgerkrieg genannt. Plymouth ist der Mythos des Nordens, Jamestown der des Südens. Bis zum Bürgerkrieg beriefen sich die USA auf Jamestown, seit dem Sieg des Nordens eher auf die „Mayflower“, die in Plymouth gelandet ist. 1848 wurde noch ein Gemälde von Pocahontas’ Taufe für das Kapitol in Washington angefertigt. 1864 wurde es wieder getilgt.

Und mit Plymouth hat sich das Paradigma der von Gott gewollten Landnahme durchgesetzt?

Ja genau, das steckt dem ganzen Bible Belt und den George-Bush-Wählern in den USA tief in den Knochen. Sie haben im Namen des Herren Amerika erobert, und sie werden es nicht so schnell wieder hergeben. Das ist wie die Argumentation der Israelis gegenüber den Palästinensern.

Sie versuchen in Ihrem Buch, dem Pocahontas-Mythos die Realität von Jamestown gegenüberzustellen. Welches Bild müsste sich Amerika von sich selbst machen, wenn es sich nicht auf den Mythos, sondern auf die historische Wirklichkeit beriefe?

Pocahontas hat bis zu ihrem Tod zusammen mit John Rolfe in Jamestown als Tabakfarmerin gelebt. Zunächst einmal müsste man eingestehen, dass die wirtschaftliche Grundlage der Kolonie der Tabak war – was heutzutage im Zug der Antidrogenhysterie natürlich undenkbar wäre. Im Disney-Film etwa bauen die Siedler Mais an. Darüber hinaus müssten die USA ihre Geschichte des gewaltsamen Kolonialismus eingestehen.

Weil die Ehe zwischen Rolfe und Pocahontas eine funktionierende gemischtrassige Verbindung war und somit der Zwangsläufigkeit des Genozids widerspricht?

Ganz genau. Bis zum Bürgerkrieg galt Pocahontas als „mother of us all“, als Mutter Amerikas. Wer den Mischlingssohn von Pocahontas und Rolfe, Thomas Rolfe, in seinem Stammbaum nachweisen konnte, gehörte zu einer Art amerikanischem Hochadel. Doch nach 1864 wurde Rassenmischung in Amerika ausgeschlossen. Wenn sich das Paradigma Jamestown durchgesetzt hätte, wäre die amerikanische Geschichte sicher ganz anders verlaufen. Die USA wären von der Rassenmischung her eher Mexiko ähnlich geworden. Der Konflikt zwischen Norden und Süden hätte so nicht stattgefunden, das Schwarzenproblem hätte es nicht in dieser Form gegeben. Stattdessen ist heute jedoch der Völkermord gerichtlich anerkannt, und man ist sogar stolz darauf.

Aber es gibt in den USA auch schon seit langer Zeit alternative Geschichtsschreibungen und Revisionen. Es gibt doch reichlich Stimmen, die den Genozid zugeben.

Ja, sicher, es gibt ja nicht nur ein Amerika. Ich sage immer, es gibt mindestens 20 Amerikas. Das Land ist nun einmal tief gespalten. Die Großstädter an der Ostküste werden sicher, ohne zu zögern, den Genozid an den Indianer eingestehen.

Das Jamestown-Jubiläum ist eine große Sache in den USA. Doch was bedeutet es für Europa?

Jamestown hätte Europa viel zu sagen. Anhand von Jamestown könnten Europa und Amerika beide ihre koloniale Vergangenheit reflektieren. Shakespeare, das zeige ich in meinem Buch „Pocahontas in Wonderland“, hat schon 1610 in seinem Stück „The Tempest („Der Sturm“) darüber nachgedacht, was die Neue Welt für die Alte Welt bedeutet und wie sie sich gewissermaßen gegenseitig kolonialisieren. In diesem Sinne könnte man beispielsweise auch über den Kulturkolonialismus reden, der von Amerika ausgeht. Es gäbe also viel, über das zu reden wäre, aber leider bedeutet den meisten Menschen hier in Europa Jamestown herzlich wenig. Das merke ich schmerzlich an der Auflage meines Buchs.

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