Plädoyer für getrennte Betten: Zusammen lieben, alleine schlafen
Das gemeinsame Ehebett wird romantisch überhöht. Und Paare die sich gar freiwillig eine Bettdecke teilen, haben die Kontrolle über ihr Leben verloren.
E ndlich Urlaub. Endlich ankommen, nach dem Hin und Her mit der Reiseplanung, nach der ausgiebigen Recherche möglichst umweltverträglicher Transportoptionen und einer bezahlbaren, hübschen Unterkunft abseits der Touri-Hotspots. Endlich das Gepäck im Flur zurücklassen und leicht nervös durch das Zuhause auf Zeit laufen, um die Realität mit den Versprechungen der Fotos abzugleihen. Sauberkeit: check, Ausblick: check, Gemütlichkeit: check. Aber dann liegt sie da, auf dem schmalen Doppelbett. Die Bettdecke für zwei Personen.
Besonders in Italien und Frankreich ist sie verbreitet. Die Decke, unter die das Pärchen doch bitte gemeinsam kriechen soll, vervollständigt neben weichen Matratzen und riesigen Kopfkissen das gnadenlose Trio der Erholungsfeindlichkeit.
Dass Schlafmangel schädlich ist, ist bekannt. Damit der menschliche Körper sich von den Strapazen des Alltags erholen und so gut wie möglich regenerieren kann, ist guter Schlaf unabdingbar. Wer dauerhaft zu wenig und schlecht schläft, schwächt das Immunsystem, ist anfälliger für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, Demenz und Diabetes. Im Extremfall kann Schlafmangel sogar dazu führen, dass wir früher sterben. Viele Faktoren, die schlechten Schlaf oder Schlaflosigkeit begünstigen, sind strukturell bedingt und lassen sich nicht im Handumdrehen auflösen. Studien aus den USA belegen, dass arme Menschen deutlich häufiger von Schlafproblemen betroffen sind als wohlhabende, und dass Schwarze und People of Color weniger Schlaf bekommen, als weiße Menschen.
Die Bettdecke für zwei ist kein solches Problem. Sie ließe sich einfach gegen zwei Einzeldecken austauschen. Besser wäre nur noch, das Ehebett-Diktat komplett abzuschaffen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Wenn Paare zusammenziehen, entscheiden sie sich meistens ganz selbstverständlich für das gemeinsame Bett – und das selbst dann, wenn genug Platz für einen zweiten Schlafplatz in der Wohnung wäre. Diejenigen, die sich dann auch noch freiwillig eine Decke teilen, haben eindeutig die Kontrolle über ihr Leben verloren.
Frauen schalten schlechter ab
Forschende argumentieren schließlich seit Jahrzehnten, dass der gemeinsame Schlaf nicht immer die beste Wahl ist. Zwar geben Paare in Befragungen an, dass sie gemeinsam besser schlafen – doch mit zunehmendem Alter und bei Menschen, die bereits Schlafprobleme haben, zeigen Untersuchungen ein ganz anderes Bild. Zudem deutet vieles darauf hin, dass Frauen zu zweit oft weniger gut schlafen, weil sie sich noch immer stärker um das Wohlergehen des anderen kümmern und erst abschalten, wenn sie ganz allein sind.
Bei vielen Paaren besteht die Sorge, dass ein aufgegebenes Ehebett sich negativ auf die Beziehung auswirken könnte. Wenn man nicht mehr nebeneinander schläft, bedeutet das nicht einen Verlust von Nähe? Geht da nicht die Zuneigung verloren? Leidet nicht das Sexleben?
Belege für diese Sorgen gibt es bisher keine. Es macht schließlich einen Unterschied, ob man getrennt schläft, weil man besser schlafen will, oder weil man den anderen eh schon nicht mehr so mag. Wer sich dann doch vermisst, kann sich ja immer noch besuchen. Und man könnte ja auch fragen, ob Zuneigung und Libido nicht viel stärker gefährdet sind, wenn man mies gelaunt aufwacht, weil der Partner zu laut, zu warm oder zu unruhig war.
Profis buchen deshalb Ferienwohnungen mit mehreren Betten. Oder wenigstens mit einer Decke für sich allein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands