Piratenpartei zur Stadionsicherheit: „Sie posieren mit Schlagstöcken“
Pirat Christian Nissen setzt sich für eine Überarbeitung der Stadionverbote ein. Fans, die sich aktiv gegen Nazis stellen, sollten nicht ausgeschlossen werden.
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Der 12. Dezember 2012 bleibt das markanteste Datum der abgelaufenen Spielzeit. Die Deutsche Fußball Liga verabschiedete an diesem Tag ihr Papier Sicheres Stadionerlebnis, das sowohl die Reduzierung von Eintrittskarten für Gästefans als auch intensivierte Einlasskontrollen zulässt.
Im Vorfeld hatten Fans die Debatte über Gewalt in deutschen Stadien als völlig überzogen kritisiert und u. a. mit Stimmungsboykotten für Aufsehen gesorgt. Nun wollen die Piraten das Thema in den Bundestagswahlkampf tragen.
taz: Auf ihrem Bundesparteitag haben die Piraten zwei Anträge zu Fanrechten verabschiedet. Gefordert werden unter anderem die Abschaffung der Datei Gewalttäter Sport, menschenwürdige Einlasskontrollen und die Legalisierung von Pyrotechnik. Sind die Piraten von Ultras unterwandert?
Christian Nissen: Nein, das sicher nicht. In der Projektgruppe Fanrechte, die die Anträge erarbeitet und eingebracht hat, sind nicht nur Fans, sondern auch aktive und ehemalige Polizisten oder Strafrechtler. Unser aller gemeinsames Ziel ist es, Druck aus der aufgeheizten Debatte um Fußballfans zu nehmen und zur Sachlichkeit zurückzukehren. Außerdem ist das ein Thema, das sehr gut zu den Piraten, unseren Kernthemen und unserem Grundsatzprogramm passt.
Ihre Forderungen sind quasi deckungsgleich mit jenen von Faninitiativen wie Pro Fans. Heißt das, dass Sie nur auf dieser Seite die Bereitschaft zur Sachlichkeit sehen?
Ja, das kann man so sehen. Bei den Fans ist eher die Bereitschaft zu erkennen, ernsthaft an der Thematik zu arbeiten. In der Kampagne „Pyrotechnik legalisieren“ hat sich gezeigt, dass es viele Gruppen gibt, die in der Sache gemäßigt sind und einen vernünftigen Umgang finden wollen.
Seit 2009 Mitglied der Piraten, Mitinitiator der Projektgruppe Fanrechte und Bundestagskandidat in Dortmund. Als geborener Wuppertaler schlägt sein Herz für den SV.
Auf der anderen Seite stehen die Innenminister auf Länder- und auf Bundesebene. Die verfolgen das klassische Law-and-Order-Prinzip: hart durchgreifen und dann mit Schlagstöcken für die Medien posieren. Da wird auf dem Rücken der Fans Stimmung gemacht und Politik betrieben, nur um ihre eigene Klientel zu befriedigen.
Beim Thema Stadionverbote fordern Sie anders als viele Ultras keine Abschaffung, sondern eine Überarbeitung. Warum?
Wer nur ins Stadion geht, um aktiv Gewalt zu suchen, gehört da nicht rein. Aber es muss verhältnismäßig sein. Es kann nicht sein, dass man für das Wegschnipsen einer Zigarette ein bundesweites Stadionverbot erhält, wie es einem Bekannten von mir passiert ist. Ebenso wenig dürfen Fans ausgeschlossen werden, die sich aktiv gegen Nazis stellen.
Waren die Parteitagsmitglieder leicht zu überzeugen?
Die Diskussion fand schon im Vorfeld an Stammtischen und im Internet statt. Der Antrag zu den Fanrechten lief dann ohne Debatte ab. Kontroverser war es in der Frage, wie weit eine Legalisierung von Pyrotechnik gehen soll. Nur dort, wo es die lokalen Gegebenheiten zulassen, wollen wir Pyrotechnik erlauben; also nicht an Standorten, an denen es keinen Dialog zwischen Fans und Verein gibt.
Beide Anträge wurden mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen. Hat Sie das überrascht?
Ja, beim Pyrotechnik-Antrag schon. Denn man merkt schon, dass Leute, die selbst nicht zum Fußball gehen, nur das mediale Bild kennen. Und da wird Pyrotechnik viel zu häufig mit Gewalt gleichgesetzt. Dass unsere sachlichen Argumente überzeugt haben, hat mich da sehr gefreut.
Ziehen Sie im Bundestagswahlkampf mit Ihren Forderungen vor die Stadien?
Definitiv. Wir werden Flyer entwickeln und das Thema weiter verfolgen. Uns ist das wichtig und wir wollen auch Druck auf die politischen Mitbewerber aufbauen.
Hoffen Sie, dass die Fußballfans Sie in den Bundestag hieven können?
Ich hätte nichts dagegen. Aber mir ist es egal, ob es nur ein paar hundert Leute oder zehntausend Leute sind, denen Fanrechte ein Anliegen sind. Wem das aber so wichtig ist wie mir, der kann sich ruhig auch in seiner Wahlentscheidung davon beeinflussen lassen.
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