Piratenpartei in Berlin: Nötigung, Bedrohung, Wahlfälschung
Christopher Lauer kam mit seinem Rücktritt einem Amtsenthebungsverfahren zuvor. Der Bundesvorstand erhob schwere Vorwürfe gegen ihn.
BERLIN taz | Der überraschende Parteiaustritt des Berliner Piraten-Landesvorsitzenden Christopher Lauer am Donnerstag hatte möglicherweise einen anderen Grund als bisher bekannt: Der Bundesvorstand wollte Lauer des Amtes entheben. In einem Schreiben an Lauer begründete der Bundesvorstand den ungewöhnlichen Schritt mit parteischädigendem Verhalten und sieben verschiedenen Vorfällen – darunter versuchte Wahlfälschung sowie Nötigung und Bedrohung. Der Bundesvorsitzende Stefan Körner teilte auf taz-Anfrage zu diesem Schreiben mit: „Es erschien sinnvoll, den Ordnungsmaßnahme-Antrag nicht während des Wahlkampfes in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zu stellen.“
Auf dem Bundesparteitag im Juni wollte Lauer für den Vorstand kandidieren, wofür er Unterstützungsunterschriften von Piraten benötigte. Lauer hatte auf dem dafür zu verwendenden Formular angegeben, er wolle als stellvertretender Vorsitzender kandidieren. Nachdem er die Unterschriften bekommen hatte, änderte er das Formular nachträglich und gab an, er wolle als politischer Geschäftsführer kandidieren. Dies fiel erst nach Lauers Bewerbungsrede auf, er wurde dann von der Kandidatur ausgeschlossen.
Der Bundesvorstand wirft ihm jetzt vor, er habe das Formular „eigenhändig abgeändert“. Zudem habe er die Vorstellungsrede „für eine Reihe verbaler Degradierungen der Piratenpartei genutzt, etwa durch Vergleiche mit der AfD und durch den unbegründeteten Vorwurf der Zensur.“
Als der Versammlungsleiter Lauers Rede unterbrechen wollte, kam dabei zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den beiden. Der Bundesvorstand wirft Lauer vor, er habe sich dem Versammlungsleiter „in offensiver Körperhaltung stetig genähert und ihn dadurch gezwungen, sich mit seinem Kind Richtung Bühnenrand zurückzuziehen, sodass er um seine Sicherheit und die seines Babys fürchten musste, das er in einem Tragetuch am Bauch trug.“
Vorstand rügt die Bezeichnung „politische Vollhonks“
Wer Videos von der Szene anschaut, kann auch einen ganz anderen Eindruck bekommen: Dort sieht es eher so aus, als habe zuerst der Versammlungsleiter sich Lauer genähert, um ihn mit sanftem Körpereinsatz vom Redepult zu verdrängen. Ein Video zeigt die Szene aus der Nähe, in einem zweiten Video ist sie ab Minute 3:00 festgehalten:
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Der Bundesvorstand wirft Lauer zudem vor, er habe in einem Podcast vom 2. Juli „sowohl die Parteibasis und deren Arbeit als auch die Arbeit des Bundesvorstands massiv herabgewürdigt und beschimpft“, indem er Bezeichnungen wie „hohlbratziges Protestwählerklientel“ für die Basis und „politische Vollhonks“ für den Bundesvorstand verwendete. Auch mit der Bezeichnung des Bundesvorsitzenden Stefan Körner als „Schwachmaten“ ist jener nicht einverstanden.
Amtsanmaßung ist ein weiterer Vorwurf: Lauer habe sich „in mehreren Pressemitteilungen zwischen dem 2. und 25. Juli 2014 als 'Vorsitzender der Piratenpartei' bezeichnet", obwohl er dies gar nicht ist. Damit habe er "die innere Ordnung der Partei gestört“.
Der Bundesvorstand wirft Lauer auch eine „Vernachlässigung deiner Pflichten als Landesvorsitzender“ vor und bezieht sich dabei auf das Rücktrittsschreiben des Berliner Schatzmeisters Michael Karek aus dieser Woche. Der hatte geschrieben: „Christopher ist ein Vorsitzender, der sich in seiner schon immer dagewesenen rüpelhaften Art von Anfang an benahm, als sei er Gott. Doch da hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Nachdem er versucht hatte, sich in weitere Geschäftsbereiche einzumischen, ohne mit dem jeweils zuständigen Mitglied des Landesvorstands Rücksprache zu halten, wurde er vom Vorstand angezählt. Das führte dann dazu, dass er eigentlich nichts bzw. nichts wirklich Sinnvolles mehr machte. Mittlerweile ist Christopher eigentlich nur noch auf dem Papier im Landesvorstand. Er kommt zu keiner Landesvorstandssitzung mehr“, so Karek.
Ämtersperre für zwei Jahre
Als Konsequenz wollte der Bundesvorstand Lauer als Landesvorsitzenden absetzen und ihm zudem verbieten, innerhalb der nächsten zwei Jahre nochmal auf ein Amt anzunehmen, egal welcher Art. Für das Verfahren hatte der Bundesvorstand offenbar seit Monaten Material und Vorwürfe gesammelt und bis jetzt gewartet.
Das Schreiben an Lauer hatte der Bundesvorstand in dieser Woche abgeschickt, Lauer sollte bis zum nächsten Donnerstag Zeit haben, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Lauer hätte die Möglichkeit gehabt, sich vor dem Schiedsgericht zu wehren. Mit seinem Rücktritt als Landesvorsitzender und dem Austritt aus der Partei hat sich das Verfahren erledigt.
Gleichzeitig eskaliert damit die parteiinterne Auseinandersetzung um den Kurs der Piratenpartei weiter. Auf den Wahlen auf dem Bundesparteitag hatte sich der „sozialliberale“ Flügel durchgesetzt, der auf die Kernthemen der Piraten setzt: Datenschutz, Transparenz, Reform des Urheberrechts, mehr direkte Mitbestimmung der Bürger. Der Berliner Landesverband gehört dagegen mehrheitlich dem linkeren, „progressiven“ Flügel an, der stärker auch Themen in den Vordergrund wie ein bedingungsloses Grundeinkommen, die Legalisierung von Drogen sowie den Kampf gegen Neonazis, Rassismus und Sexismus.
Auf dem Parteitag hatte der Bundesvorsitzende Stefan Körner noch betont, er wolle integrativ wirken und alle Strömungen in der Partei müssten zusammen für das gemeinsame Ziel arbeiten. Inzwischen ist dies offenbar nicht mehr möglich oder gewollt.
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