Philosophin über Tierrechte: „Will ich dieses Wesen vernichten?“
Ob und wie Tiere fühlen, ist umstritten. Friederike Schmitz über tierisches Bewusstsein und das Recht, niemandem zu gehören.
taz: Frau Schmitz, wann ist es okay, Tiere zu töten?
Friederike Schmitz: Klare Fälle sind Notwehr und Nothilfe. Auch wenn wichtige, eigene Interessen auf dem Spiel stehen. Ich baue selber Gemüse an, bei der Gartenarbeit lässt es sich kaum vermeiden, Insekten zu töten.
Und das ist in Ordnung?
Ich töte keine Fliege, nur weil sie mich nervt. Aber Essen muss ich halt. Irgendwann wird es zu umständlich: Schnecken kann man wegtragen, aber nicht alle Blattläuse. Bei den Insekten und Weichtieren ist auch nicht so klar, ob sie empfindungsfähig sind. Das ist aber das entscheidende Kriterium.
Welche Tiere sind empfindungsfähig?
Eindeutig ist: Wirbeltiere sind empfindungsfähig.
Woran machen Sie das fest?
Diese Tiere sind uns in vielem ähnlich: In ihrer Anatomie, ihrem Nervensystem und der Schmerzübertragung, auch in ihrem Schmerzverhalten. Ein Schwein, dass sich am Bein verletzt, erschrickt, schont das Bein und versucht, der Schmerzursache aus dem Weg zu gehen. Bei so vielen Ähnlichkeiten auf der körperlichen und Verhaltensebene sollten wir davon ausgehen, dass Tiere auch ähnlich empfinden. Man sieht es, wenn ein Schwein oder ein Hund leidet. Das leugnet kaum jemand. Das gilt nicht nur für offensichtliche Schmerzen, sondern auch für komplexere Gefühle wie Trauer oder Zuneigung.
36, studierte Philosophie in Heidelberg, Cambridge und Berlin und arbeitet als Autorin und Referentin zu Ethik und Politik der Mensch-Tier-Beziehung. Sie ist Herausgeberin des Sammelbandes „Tierethik. Grundlagentexte“ im Suhrkamp Verlag, Mitbegründerin des Vereins Mensch Tier Bildung e. V. und Mitglied der Gruppe Tierfabriken-Widerstand.
Wenn ein Schwein sich verletzt oder eine Kuh sich nicht von ihrem Kalb trennen möchte: Ist das nicht Instinkt?
So kann man das nennen. Auch bei „instinktivem“ Verhalten kann ich etwas empfinden: Es leidet trotzdem jemand. Dass sich Mütter um ihre Kinder kümmern, ist nicht unbedingt eine überlegte Entscheidung, sondern hat viel mit hormonellen Prozessen zu tun, die man auch mit „Instinkt“ beschreiben könnte.
Und weil diese Tiere uns ähnlich sind, dürfen wir sie nicht töten?
Das ist kein abstraktes, ethisches Gesetz. Es geht erst einmal darum, was ich überhaupt will. Will ich dieses Wesen, das mir so ähnlich ist, einfach vernichten? Ich finde es auch komisch zu sagen, Tiere zu quälen sei schlecht, aber sie zu töten sei in Ordnung. Ich lösche ein anderes Bewusstsein komplett aus, nehme dem Tier damit alles.
Haben Tiere ein Bewusstsein?
Da gibt es verschiedene Definitionen. Die einfachste: Es fühlt sich auf eine bestimmte Weise an, da zu sein. Bewusstsein ist der Unterschied zwischen „jemand“ und „etwas“. Das ist nicht mit „Selbstbewusstsein“ oder absichtlichem Handeln zu verwechseln. Mit einem einfachen Bewusstsein kann ich mich und die Welt wahrnehmen – auch ohne Absicht.
Aber das können wir nicht messen …
Das gilt für unsere Mitmenschen genauso wie für Tiere: Wir können das Gehirn ausmessen oder die Signale darin messen. Aber das Bewusstsein selbst können wir so nicht erfassen. Es zu leugnen, nur weil wir es nicht mit solchen Methoden feststellen können, wäre absurd.
Sie sprechen von „anderen Tieren“…
Menschen sind biologisch Säugetiere. Wir haben wichtige Ähnlichkeiten zu anderen Tieren – was nicht heißt, dass es keine Unterschiede gäbe. Eine klare Linie zieht der Mensch aber immer dann, wenn er eine moralische Überlegenheit feststellen will.
Sind wir nicht moralisch überlegen?
Auch Tiere zeigen Verhalten, das wir mit moralischen Begriffen beschreiben können: Altruismus oder Empathie, etwa. Ein ausgeprägtes Verständnis von Moral haben tatsächlich nur gesunde, erwachsene Menschen: Ich denke darüber nach, wie ich handeln sollte, kann Prinzipien aufstellen und danach handeln. Aber warum sollten Wesen mit Moralverständnis mehr wert sein als Wesen ohne? Viel wichtiger ist, ob jemand leiden kann und ich ihm Schaden zufüge. Säuglinge oder Menschen, denen bestimmte geistige Fähigkeiten fehlen, denken auch nicht darüber nach, nach welchen Prinzipien sie handeln sollten. Trotzdem zählen sie nicht weniger als gesunde, erwachsene Menschen.
Was, wenn wir Tiere so töten, dass sie nichts davon mitbekommen?
Ich lösche ein Wesen aus, das nach allem, was ich weiß, nicht sterben möchte. Wir merken doch, dass Tiere gerne leben, wenn sie zum Beispiel herumrennen oder ihre Kinder versorgen. Tötet man das Tier, auch überraschend, nimmt man ihm die ganze Zukunft. Auch da sehe ich keinen großen Unterschied zu Menschen: Einen Menschen zu töten ist natürlich auch dann falsch, wenn er es nicht kommen sieht.
Wissen Tiere, das es eine Zukunft gibt?
Ein Hund freut sich, wenn der Mensch nach Hause kommt – auch schon, wenn er das Auto hört und der Mensch noch gar nicht da ist. Ein Bezug auf die unmittelbare Zukunft ist da. Und selbst wenn nicht, wäre das kein Grund, Tieren die Zukunft wegzunehmen.
Also ist es falsch, sich für bessere Tierhaltung und andere Tötungsmethoden einzusetzen?
Das kommt auf das Ziel an. Für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der wir Tiere zwar besser, aber immer noch töten, finde ich nicht ausreichend. Wir müssen auf eine gerechte Gesellschaft hinarbeiten, in der wir Tiere nicht mehr ohne Not töten oder ausbeuten. Solange das noch passiert, möchte ich natürlich auch, dass die Tiere, die jetzt grausam sterben, weniger leiden. Aber ich frage mich, wie sinnvoll es ist, Energie in solche Reformkampagnen zu stecken. Man läuft damit auch Gefahr, das bestehende System zu legitimieren und zu stabilisieren. Wir müssen über den Abbau und das Ende der Tierhaltung, nicht über die Reform von Tötungsmethoden sprechen.
Wie stellen Sie sich das vor?
Statt Programme für artgerechte Tierhaltung oder bessere Tötung zu fördern, sollte die Politik Bäuer*innen unterstützen, die aus der Tierhaltung aussteigen wollen. Wir brauchen eine Ernährungsumstellung hin zu pflanzlicher Ernährung und eine entsprechende Veränderung in der Landwirtschaft. Das wird nicht ausschließlich über den Markt oder den Konsum geschehen.
Sondern?
Natürlich kann ich vegan, ökologisch und regional einkaufen – aber damit werde ich nicht die Agrarindustrie umkrempeln. Momentan essen Menschen so viel Fleisch, weil die Industrie es unter brutalen Bedingungen herstellt, es deshalb billig verfügbar ist, beworben wird und die Politik das auch noch unterstützt. Nur mit größerem Druck aus der Gesellschaft, mit Protest und Widerstand können wir die Politik dazu bringen, diese Rahmenbedingungen zu ändern. Das ist auch in Anbetracht der dramatischen Klimakrise dringend nötig.
Genau wie ein Löwe eine Gazelle tötet, haben Menschen sich die Fähigkeit angeeignet, Tiere zu töten. Wieso sollten wir jetzt damit aufhören?
Die Natur ist grausam, zu Mensch und Tier. Sonst nehmen wir uns daran kein Vorbild: Wir achten die Rechte von anderen und streben eine gerechte Gesellschaft an – das hat mit Naturbedingungen nichts zu tun. Der Löwe hat keine andere Wahl, als die Gazelle zu töten, und kann nicht darüber nachdenken, ob er lieber etwas anderes essen würde. Wir haben ein Moralverständnis und sollten deshalb Tiere, die das nicht haben, entsprechend behandeln.
Demnach stehen wir doch irgendwie über Tieren …
Nein, aus unserer Moralfähigkeit folgt das nicht – wir haben damit einfach eine Fähigkeit, die sie nicht haben. Ich kann mir allerdings schon eine gewisse Abstufung zwischen Menschen und anderen Tieren, vielleicht je nach Komplexität und Ausprägung der Empfindungsfähigkeit und des Bewusstseins vorstellen. Dann könnte man sagen, dass bei echten Interessenkonflikten die Menschen doch mehr zählen als Schweine und Hunde. Da kommt man rein intuitiv gar nicht herum: Man hat mehr Schuldgefühle, wenn man einen Menschen überfährt, als eine Maus.
Stellen wir das menschliche Interesse, Fleisch zu essen, dem Interesse des Tiers, weiterzuleben, gegenüber.
Selbst wenn der Mensch im Notfall mehr Wert ist, heißt das lange nicht, dass ich den Hund töten kann, nur weil er lecker oder lästig ist. Tierbefreiung funktioniert auch ohne Egalitarismus. Einigen Tierethiker*innen zufolge sollten Haus- und Nutztiere in der besseren Gesellschaft Bürgerrechte haben. Dann dürfte man sie nicht einfach töten.
Welche Existenzberechtigung haben Nutztiere ohne die Fleischindustrie?
Die Individuen haben als empfindungsfähige Wesen eine Existenzberechtigung. Es stimmt: Würden wir sie nicht mehr künstlich vermehren und für unsere Zwecke züchten, würde die Zahl der Tiere drastisch sinken. Darin sehe ich kein Problem. Das Aussterben einer Tierart tut keinem individuellen Tier weh. Im Gegenteil: Arten, die wir für die Mast gezüchtet haben, leiden so sehr, dass das sicher kein Verlust wäre.
Wir schützen doch auch Sprachen vorm Aussterben.
Es mag schade sein, wenn alte Nutztierrassen aussterben. Die sind auch ein Teil menschlicher Kultur. Wenn ich aber diesen Wert nur erhalte, indem ich Individuen ausbeute und töte, dann nehme ich lieber den Verlust in Kauf. Manche Tierethiker*innen argumentieren so: Weil Nutztiere immer abhängig vom Menschen bleiben, sollte es sie gar nicht mehr geben. Praktisch hieße das auch, dass wir sie an der Fortpflanzung hindern sollten, indem wir sie kastrieren und sterilisieren. Das wäre wieder ein Eingriff in die Freiheit des Tieres. Wir könnten auch einfach aufhören, diese Tiere zu vermehren – und zulassen, dass sie sich aus eigenem Entschluss fortpflanzen, zumindest in dem Maße, wie wir die Tiere dann auch gut versorgen könnten.
Können wir Tieren die gleichen Rechte zusprechen wie Menschen?
Tiere brauchen nicht die komplizierten Rechte, die Menschen haben – eine Religion ausüben oder heiraten zu dürfen, etwa. Was sie brauchen, ist klar genug: Sie zeigen uns, dass sie nicht verletzt werden und nicht von ihrer Familie getrennt werden wollen. Daran können wir schon basale Rechte festmachen. Schwieriger ist die Frage, ob wir gegenüber Tieren auch eine Pflicht zur Hilfeleistung haben wie gegenüber Menschen.
Und, wie ist es?
Das sind alles noch ethische Diskussionen. Viele Tierrechtler*innen wollen ja Tierrechte auch gesetzlich verankern. Ich frage mich, ob wir in der idealen Gesellschaft überhaupt noch unser Zusammenleben mit Gesetzen und Strafen regeln würden. Das zentrale Problem für Tiere heute ist ihr Status in der aktuellen Wirtschaft. Tiere gelten als Sachen, als handelbare Waren, mit deren Ausbeutung man Profit machen kann. Das zu ändern, wäre der entscheidende Schritt. Gar nicht mal, dass sie ein gesetzlich verankertes Recht auf Leben brauchen – das erste Grundrecht wäre, kein Eigentum zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül