Pharma-Forschung: Ein Mensch aus Chips
Ein Großteil der Tierversuche könnte in Zukunft überflüssig werden. Wichtige Forschungsergebnisse liefern auch künstliche Organe – wie die „Chip-Lunge“ zeigt.
BERLIN taz | Die Idee klingt verlockend. Wenn es gelingen würde, den menschlichen Körper komplett zu simulieren, könnte die medizinische Forschung weitgehend auf Tierversuche verzichten. Wissenschaftler des Wyss Instituts der Universität Harvard haben nun einen wichtigen Schritt gemacht: Die Bio-Ingenieure haben ein daumengroßen Chip gebaut, der die menschliche Lunge samt Atemweg und Blutgefäß simuliert, berichtet das Fachmagazin Technology Review.
Mit dem künstlichen Atmungsorgan wurden in einer Studie Lungenödeme untersucht, die unter anderem als Nebenwirkung von Krebsmedikamenten auftreten können. Bei solchen Ödemen tritt Blutflüssigkeit aus den Kapillargefäßen in die Lunge ein. Die Folge ist eine reduzierte Sauerstoffaufnahmefähigkeit, die tödlich sein kann.
Analog zur echten Lunge befindet sich in der „Chip-Lunge“ ein mit Luft gefüllter und mit menschlichen Lungenzellen ausgekleideter Kanal, der durch einem Membran von einem mit Blutersatzstoff gefüllten Kanal getrennt ist. Das Team um Dongeun Huh spritzte den Wirkstoff eines Krebsmedikaments in das „Blutgefäß“ und stellte fest, dass Flüssigkeit und Blutplasmaproteine durch die Membran in den Luftkanal gelangten. Die Durchlässigkeit der Zellmembran hatte sich durch den Wirkstoff verändert.
Die weit verbreitete Annahme, das Immunsystem spiele eine wichtige Rolle bei der Membranveränderung, hat sich demnach nicht bestätigt – denn die künstliche Lunge hat gar keines, betont Koautorin Geraldine Hamilton. In einem nächsten Schritt testeten die Wissenschaftler ein Medikament, dass die Durchlässigkeit der Membran erfolgreich dämmt. Die Wirkung wurde in einer früheren Studie im Tierversuch getestet und zeigte, dass das Ödemrisiko bei Mäusen mit Herzproblemen sinkt.
Organ-Chips reichen nicht
„Natürlich werden auch noch in vielen Jahren Versuchstiere eingesetzt“, sagt Hamilton. Denn simulierte Organe stellen lediglich eine sehr stark vereinfachte Imitationen der biologischen Vorgänge im Körper dar. Vor allem die hormonelle Steuerung fehlt, betont Michael Hayward von der Biotechnikfirma Taconic. Die meisten Krankheiten betreffen viele Organe, betont er. Entsprechend wichtig sei es, deren Wechselwirkungen untereinander zu verstehen – das kann aber nur mit echten Organen funktionieren.
Hamilton glaubt trotzdem an den großen Wurf: „Nicht nur konnten wir klinische Reaktionen des Körpers nachbilden, wir fanden sogar etwas Neues heraus. Das zeigt, welche Auswirkungen solche Chips für die Medikamentenentwicklung in Zukunft haben könnten.“
Die „Chip-Lunge“ war nur der Anfang. Die Wissenschaftler des Wyss Instituts arbeiten bereis an Simulationen von Magen, Herz und Niere.
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