Pflegemängel in privaten Heimen: Wer kümmert sich um die Senioren?
Um die Pflegeheime in Bremen steht es nicht zum Besten – auch, weil deren Betreiber am Personal sparen. Zu ihnen gehört die Altenheim-Kette Alloheim.
Nein, sagt der Altenpfleger Alexander Wendt, Mitarbeitervertreter beim Bremer Pflegeheimbetreiber Friedehorst. „Man muss sich vorstellen, dass man ganz alleine ein Haus mit 40 teils schwerkranken Personen zu versorgen hat, die teilweise drei- oder viermal pro Nacht gelagert werden müssen, wo es Ernährungspumpen, Beatmungsgeräte und so weiter gibt.“ Wendt plädiert für eine Quote von eins zu 30, die schrittweise noch verbessert werden müsse.
Alte Menschen bleiben heute länger zu Hause, nutzen Nachbarschaftshilfen, Tagespflegeangebote und ambulante Pflege- und Betreuungsdienste. „Ambulant vor stationär“ wird nicht erst durch das seit 2017 geltende „Pflegestärkungsgesetz II“ gefördert. Erst wenn gar nichts mehr geht, wird ein Pflegeheim in Anspruch genommen.
Vermehrt kommen alte Menschen auch direkt aus Krankenhäusern in Pflegeeinrichtungen. Denn seit Einführung der Fallpauschalen ist es für PatientInnen nicht mehr möglich, so lange im Krankenhaus zu bleiben, bis sie wieder eigenständig leben können.
Auf die Folgen für die Heime ist bis heute nur unzureichend reagiert worden. Denn die in Heimen Beschäftigten haben es nicht mehr „bloß“ mit alten Menschen zu tun, die beim Essen, Waschen, Anziehen und beim Toilettengang Hilfe benötigen, sondern mit schwerst Pflegebedürftigen, die aufwendige medizinische Hilfe und lückenlose Betreuung brauchen. Die kann nur Fachpersonal leisten – aber das ist Mangelware.
Viele AltenpflegerInnen satteln vorzeitig um
Dabei ist es keineswegs so, das niemand den Beruf erlernen will. Aber viele steigen bereits während der Ausbildung wieder aus oder arbeiten nur kurz als AltenpflegerInnen und satteln dann um. Manche wechseln in die ambulante Pflege, sehr viele arbeiten nur in Teilzeit.
AltenpflegerInnen verdienen im Schnitt 30 Prozent weniger als KrankenpflegerInnen und arbeiten regelhaft in Einrichtungen, die zu wenig Personal vorhalten. Überstunden, Stress und Burn-out sind die Folgen – manchmal auch psychische Zusammenbrüche, die im schlimmsten Fall in Gewalt münden.
Dass Pflegeheime so schlecht ausgestattet sind, liegt daran, dass die Refinanzierung des Personals durch Pflege- und Sozialkassen recht wenig Spielraum bietet. Schuld ist aber auch die schiere Profitgier von Heimbetreibern: Pflegeheime werden zu Spekulationsobjekten, ihre Eigentümer sind vergleichbar mit Immobilien-„Heuschrecken“.
Kommerzielle Pflegeketten sparen gern am Personal
So ist „Alloheim“, die zweitgrößte kommerzielle Pflege-Kette Deutschlands, Anfang des Jahres an den schwedischen Private-Equity-Fonds Nordic Capital verkauft worden – der seinen Hauptsitz im Steuerparadies Jersey hat.
In solchen Fällen geht es nicht um gute Pflege, sondern um gutes Geld. Und dafür wird gespart, wo es möglich ist, also auch am Personal. Und an der Außendarstellung: Obwohl Alloheim bereits im Januar 2016 den Pflegeheimbetreiber „Senator-Gruppe“ aufgekauft hat, heißt eines dieser ehemaligen Heime in der Bremer Marcusallee bis heute „Senator Pflegezentrum Marcusallee“ – selbst die Kleidung des Personals ziert noch immer das alte „Senator“-Logo.
Vielleicht ist das aber auch Absicht, um Vertrauen vorzutäuschen, denn der Alloheim-Konzern ist nicht nur in Bremen bereits negativ aufgefallen. In Ludwigsburg wurde einem Heim der Kette im Herbst die Betriebserlaubnis entzogen: Die Hygiene war mangelhaft, in den Gängen stank es nach Urin, SeniorInnen wurden ans Bett gefesselt.
Im nordrhein-westfälischen Simmerath gab es ähnliche Vorwürfe, bis die Heimaufsicht im Oktober 2016 den Betrieb untersagte. Im Juni 2017 fühlte sich ein Alloheim-Pfleger in Hannover aus Verzweiflung über die Personalsituation so überfordert, dass er über den Notruf Polizei und Feuerwehr alarmierte. Und Missstände in zwei Alloheim-Häusern in Bredstedt und Niebüll sollen nach dem Willen der SPD jetzt Thema im Sozialausschuss des Landtags von Schleswig-Holstein werden.
Immer wieder Skandale im Bremer Einrichtungen
Auch in anderen Bremer Pflegeeinrichtungen gibt es immer wieder Skandale. Kontrolliert werden sie von der Heimaufsicht. Bloß scheint in Bremen deren personelle Ausstattung ähnlich schlecht zu sein wie in den Heimen, die sie beaufsichtigen soll: Neun MitarbeiterInnen plus eine (seit 2017 unbesetzte) Heimaufsichtsleitung müssen sich um die Kontrolle von 100 Heimen und rund 300 ambulanten und teilambulanten Betreuungseinrichtungen kümmern – und diesen zusätzlich beratend zur Seite stehen, sollten sie in Schieflage geraten sein.
Darüber hinaus ist die Heimaufsicht Anlaufstelle, um Missstände in Pflegeeinrichtungen melden zu können: „Aber so gut wie nie ist dort jemand erreichbar“, sagt Reinhard Leopold, der in Bremen die Angehörigen-Initiative „Heim-Mitwirkung“ gegründet hat.
Das neue Pflegegesetz hilft da nicht weiter, im Gegenteil: „Im alten Gesetz stand, dass die Prüfberichte der Heimaufsicht für jeden Interessierten im Internet veröffentlicht werden sollten – was aber nie geschah“, sagt Leopold. Nun ist der Passus im Gesetz komplett rausgeflogen.
Versorgung im Bremen besonders schlecht
An dem novellierten Gesetz ist nicht alles schlecht: So müssen Pflegeeinrichtungen künftig Konzepte zum Schutz vor Gewalt erstellen, Hospizdienste erhalten Zugang zu Pflegeheimen, und die Heimaufsicht hat nun das Recht, auch ambulante Pflegedienste zu überprüfen. Das durfte sie vorher nicht.
Ob sich die Lage in den Bremer Heimen jetzt verbessert? Nötig wäre es: Einem Vergleich der Pflegekassen vom Mai 2017 zufolg ist die medizinische Versorgung in Bremer Heimen so schlecht wie in keinem anderen Bundesland.
Mehr zum Schwerpunkt „Pflegeheime“ lesen Sie in der taz.am Wochenende am Kiosk oder im ePaper hier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin