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Pflege von AngehörigenDie doppelte Last

Angehörigenpflege zu Hause trifft Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen besonders hart. Ein Gutachten des Sozialverbands nennt Zahlen.

68 Prozent der rund 3,4 Millionen Pflegebedürftigen im Land werden von Angehörigen versorgt Foto: dpa

Berlin taz | Kornelia Schmid kennt die Schicksale. Die 59-Jährige pflegt ihren an Multiple Sklerose erkrankten Mann seit 25 Jahren zu Hause, früher hat sie als Verwaltungsangestellte gearbeitet, aber das ist vorbei. „Pflegende haben es nicht verdient, dass sie in Armut rutschen“, sagt Schmid.

Sie hat den Verein „Pflegende Angehörige“ mit Sitz in Amberg gegründet und eine Facebook-Gruppe eröffnet, in der sich inzwischen mehr als 8.000 Mitglieder über ihren Alltag mit einem pflegebedürftigen Angehörigen zu Hause austauschen. Wer sich in die Gruppe einliest, bekommt einen Eindruck davon, welche Anstrengung, welche Isolation, welche Liebe und auch welche Überforderung in diesem Kosmos der Pflegehaushalte herrschen. „Wer jahrelang pflegt, ist nervlich und körperlich kaputt“, sagt Schmid.

Zu 70 Prozent kümmern sich Frauen um die Pflegebedürftigen in der häuslichen Versorgung, geht aus einem Gutachten hervor, das der Sozialverband Deutschland am Dienstag vorgestellt hat. Die Erwerbsquote von Pflegenden liegt laut diesem Gutachten bei nur 54 Prozent, bei Nichtpflegenden hingegen bei 76 Prozent. Viele der Pflegenden arbeiten, wenn überhaupt, nur in Teilzeit. Wer im selben Haushalt pflegt und gleichzeitig arbeitet, hat im Schnitt nur 65 Prozent des Einkommens eines Nichtpflegenden, heißt es im Gutachten.

68 Prozent der rund 3,4 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden „ausschließlich von Angehörigen versorgt“, erklärte Katja Knauthe, Autorin des Gutachtens. In der Gruppe der Pflegenden befinden sich dabei „mehr Menschen mit tieferem und mittlerem Bildungsabschluss als mit einem hohen“, heißt es in dem Gutachten. Höher Qualifizierte pflegen weniger als 14 Stunden pro Woche, während gering Qualifizierte deutlich weniger arbeiten, „dafür aber öfter umfangreiche Pflegeaufgaben innerhalb der Familien übernehmen“, so das Gutachten.

Klassengesellschaft in der Pflege

Es gibt also auch eine Art Klassengesellschaft in der Pflege. Wer gut verdient, kauft sich mitunter durch privat bezahlte Pflegekräfte frei. Haushalte an der Armutsgrenze können das nicht stemmen. „Es gibt Familien, die sind auf das Pflegegeld angewiesen“, erzählt Schmid.

Im vierten Pflegegrad gibt es 728 Euro Pflegegeld von der Pflegeversicherung für die häusliche Pflege. Dieses Geld wird im Zweifelsfall nicht auf einen Bezug von Hartz IV angerechnet. Doch leisten ärmere Angehörige, die das Geld beziehen, die Pflegearbeit dann eben ganz allein.

Auch mittelschichtige Haushalte mit kleinen Renten geraten in Probleme, wenn ein Heimaufenthalt ansteht. Können sie die Eigenanteile von bis zu 2.000 Euro nicht zahlen, springt das Sozialamt ein. Die Kinder von HeimbewohnerInnen müssen bedingt durch ein neues Gesetz zwar kaum noch zuzahlen. Dies gilt aber nicht für EhepartnerInnen.

Sabine Bach, 67, zum Beispiel (Name geändert) hat nur noch 600 Euro im Monat plus Mietkosten zur Verfügung. Ihr Ehemann, der nur eine kleine Rente hat, musste aufgrund einer Parkinson-Demenz ins Heim. Die Bedarfsrechnung des Bezirksamts Berlin-Lichtenberg gestand der verrenteten Lehrerin nur den Hart-IV-Regelsatz plus Miete zu und den hälftigen Anteil ihres kleinen Honorars aus einer Dozententätigkeit. „Da war ich geplättet“, sagt Bach, die aus ihrem geringen Einkommen noch ein Auto für die Heimbesuche finanzieren muss.

„Für Menschen, die 45 Jahre lang gearbeitet haben, kann es ein Schock sein, im Alter durch die Pflege im Heim zum Sozialfall zu werden“, sagt David Kröll, Sprecher des Pflegeschutzbundes (BIVA). Fast ein Drittel der 82.000 Pflegebedürftigen in Heimen müssen Hilfe vom Sozialamt in Anspruch nehmen. Die SPD fordert eine Deckelung des Eigenanteils in der Pflege, um diese Zahl der Sozialhilfeempfänger zu verringern.

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3 Kommentare

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  • Ich muss hier an der Stelle einfach mal was los werden. Ich verfolge das eine geraume Zeit, da ich eine behinderte Tochter mit Pflegegrad 4 zu Hause habe. Was mir immer wieder sauer aufstößt ist, das es fast nur um Pflegeheime etc. geht... schön, soll ja auch keiner abstreiten das dies nicht wichtig wäre. ABER WAS IST MIT UNS , wie geht es später für meinen Mann und mich weiter . Sie ist jetzt 14 und wir bekommen so gut wie keine Rente, da einer von uns nicht arbeiten gehen kann. Es geht hauptsächlich um ältere Menschen. Aber was ist mit denen, die sich von um junge Leute kümmern , da hilft es wenig wenn es nur um Pflegeheime geht, man sollte dieses Thema mehr auf alle Altersgruppen beziehen und nicht nur auf die ältere Generation. Warum wird die Pflege ( wenn man schon nicht Arbeiten gehen kann, aber minimalen Rentensatz bekommt) nicht auch als JOB angesehen??? Wo das doch, Wenn ein Med. Pflegedienst kommt, dies doch auch ein Job ist??? !!!



    Ich kann das alles nicht nachvollziehen, was hier abläuft. Zumal die 728 € auch nicht ausreichen, Wenn man dann davon Zuzahlungen und Medikamente stemmen soll. Meine Tochter ist inkontinent und man hat für 30 / 31 Tage 1 Pck. Windeln zu Verfügung, (und das bei Pflegegrad 4!) wo nur 30 Stck. drin sind, Wenn mehr benötigt werden, muss man pro Paket schon 20 € zuzahlen... wie geht diese Rechnung auf???



    Es ist utopisch was sich da gedacht wird und den pflegenden gegenüber unmenschlich! ...

  • Zitat: "Es gibt also auch eine Art Klassengesellschaft in der Pflege. Wer gut verdient, kauft sich mitunter durch privat bezahlte Pflegekräfte frei. Haushalte an der Armutsgrenze können das nicht stemmen."

    Unsere "Klassengesellschaft" ist eine Art Perpetuum mobile: Sie hält sich selbst am Laufen.

    Wer einmal "unten" ist, kommt nicht mehr hoch. Er kann nämlich nichts delegieren. Alles, was wichtig ist, muss er allein machen, weil es ja Geld kostet, arbeiten zu lassen. Das hat vor allem zwei Folgen: Wer "unten" ist, kann sich nicht mehr "aufs Wesentliche" (reich werden) konzentrieren. Er ist zu dem fast permanent gestresst. Gerade deshalb ist er ein beliebtes Opfer.

    Nicht nur der Staat bedient sich lieber bei den Schwachen. Der aber auch. Die Starken, nämlich, können teure Rechtsanwälte finanzieren. Die Schwachen nicht. Die haben nicht mal Zeit, sich eine Strategie zu überlegen. Deswegen kommen sie (fast) immer deutlich schlechter weg, auch wenn "die Politik" neue Gesetze macht.

    Wem nützt die Ungerechtigkeit? Eindeutig denen, die was dran ändern könnten. Was sie natürlich lieber nicht tun wollen. Weil sie das Absteigen befürchten (müssen) – und so zum Opfer ihrer selbst werden könnten.

    Nein, eigentlich kann es für niemanden "ein Schock sein, im Alter [...] zum Sozialfall" zu mutieren. Auch und gerade für solche Leute nicht, die 45 Jahre lang gearbeitet haben und ihre Lieben pflegen wollten. Denn wie unsre Gesellschaft "tickt", wissen wir alle. Nur was das heißt, wollen die meisten Leute sich nicht überlegen. Wer glaubt schon, dass er es mit einem physikalischen Wunder aufnehmen kann?

  • "68 Prozent der rund 3,4 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden „ausschließlich von Angehörigen versorgt“

    Hätte ich nie gedacht. Nun ist das doch ambivalent. Natürlich ist es einerseits sehr sozial, ja bewundernswert wie sich hier Personen aufopfern, ich würde dies jedoch nicht wollen - weder aktiv noch passiv. Kenne nur einen Fall, Sohn pflegt(e) Mutter neben seinem Job. Da war keinerlei Privatleben möglich und das über 20 Jahre. Der Herr ist nun (Dame verblichen) über 50, keine Partnerin, keine ("echten") sozialen Kontakte. Es gibt nun sicherlich Abstufungen im Hinblick auf den Pflegeaufwand und ich habe auch für Oma eingekauft, zu Ärzten gefahren u.ä. aber würde mein Leben nicht gänzlich opfern und dies auch nicht erwarten. Liegt evtl. an dem wie Oma es vorgelebt hat, der war die Vorstellung ich würde Sie baden eben so unangenehm wie mir.