Petition gegen Nazi-Ehrenmal: Dem keine Ehre gebührt
Auf der Fraueninsel im Chiemsee ehrt seit Jahrzehnten ein Kreuz einen Nazi-Kriegsverbrecher. Kriegt man es jetzt endlich los?
„Fred Odl“ liest man. In Wirklichkeit heißt es natürlich „Alfred Jodl“, doch ein Teil des Namens wird von zwei kleinen Thujen verdeckt, ebenso der militärische Rang. „Generaloberst“ steht da noch, sowie das Geburts- und Sterbedatum. Darüber ist ein Eisernes Kreuz eingraviert. Alfred Jodl? Richtig, der Alfred Jodl.
Der Wehrmachtsgeneral, den der Spiegel als „Organisator des Vernichtungskriegs“ bezeichnete, der für die Zerstörung Nordnorwegens in der „Operation Nordlicht“ und auch für die Deportation von Juden verantwortlich war. Am 1. Oktober 1946 wurde er in Nürnberg als einer der Hauptkriegsverbrecher verurteilt, zwei Wochen später durch den Strang hingerichtet.
In dem Familiengrab der Jodls sind die beiden Ehefrauen des Nazis begraben sowie sein Bruder und dessen Frau. Nur: Alfred Jodl selbst liegt nicht hier. Seine Asche wurde in einen Zufluss der Isar gekippt. Die Alliierten wollten vermeiden, dass ein Gedenkort für Unverbesserliche entsteht. Und hier auf der Fraueninsel im Chiemsee ist er nun: der Gedenkort, der nicht sein darf.
Eine erste Petition wurde abgewiesen
An diesem Mittwoch wird der Innenausschuss im bayerischen Landtag über eine Petition beraten. Das Denkmal müsse nun unverzüglich beseitigt werden, verlangt der Münchner Aktionskünstler Wolfram Kastner darin. „Es ist unerträglich, wenn 75 Jahre nach der Befreiung von der Nazidiktatur Protagonisten dieser verbrecherischen Diktatur immer noch öffentlich gehuldigt wird.“
Georg Wieland schüttelt nur den Kopf. Er selbst hatte vor sechs Jahren die erste Petition gegen das Kreuz gestartet. Damals wurde er mit der Begründung abgewiesen, die gesamte Grabstelle werde im Januar 2018 ohnehin aufgelassen.
Wieland ist einer der knapp 250 Bewohner der Fraueninsel, dieses herrlichen Flecks purer bayerischer Idylle mitten im Chiemsee. Hier gibt es keine Autos, keine Fahrräder, nicht einmal Füchse. Im Sommer dafür jede Menge Touristen und frischen Fisch. Gemeinsam mit der Herreninsel, auf der noch eine Handvoll Menschen leben, und der unbewohnten Krautinsel bildet sie die Gemeinde Chiemsee, die kleinste Gemeinde Bayerns. Erich Kästner soll auf der Fraueninsel 1948 das „doppelte Lottchen“ vollendet haben. Nebenan auf der Herreninsel wurde gerade das Grundgesetz beraten.
Seit Generationen ist Wielands Familie auf der Insel beheimatet. Seine Eltern und Großeltern sind hier begraben. Für den Großvater mütterlicherseits, der im See verschollen ist, haben sie eine Gedenksäule aufgestellt. Alles nur ein paar Schritte von diesem Kreuz entfernt. Auch die Angehörigen der Verstorbenen im Grab gleich neben dem Jodl-Grab seien erschüttert, dass es noch immer steht, erzählt Wieland. Grabmäler, heißt es in der Friedhofssatzung, dürften „nicht geeignet sein, Ärgernis zu erregen oder den Friedhofsbesucher im Totengedenken zu stören“.
Steht die Selbstbestimmung der Kommunen im Weg?
Karl Freller kann die Wut dieser Menschen nur zu gut verstehen. „Ich kenne das selber. Die Großeltern meiner Frau sind in Wunsiedel beerdigt“, erzählt der Vizepräsident des bayerischen Landtags, der auch Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten ist. Das Grab von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß sei nur zwei oder drei Gräber entfernt gewesen – über viele Jahre eine Pilgerstätte für Neonazis.
Trotzdem glaube er nicht, dass der Freistaat da etwas ausrichten könne. Da stehe die Selbstbestimmung der Kommunen dagegen. Deshalb würde er es begrüßen, wenn die Gemeinde von sich aus alle Mittel ausschöpfen würde, damit das Kreuz endlich entfernt würde. Natürlich komme es immer mal wieder vor, dass einen die Vergangenheit einhole. Aber dann müsse man eben reagieren. Im fränkischen Schwabach, Frellers Heimatstadt, hätten sie vor zwölf Jahren entdecken müssen, dass dort über Jahrzehnte noch immer Adolf Hitler als Ehrenbürger geführt wurde. Keiner hat’s gemerkt.
Georg Wieland hat das Jodl-Kreuz auch lange Zeit nicht bewusst wahrgenommen. Aber irgendwann hörte er dann seine Mutter schimpfen: „Warum ist der denn immer noch da oben, der alte Nazi?“ Vor rund 30 Jahren war das. Da habe er begonnen, sich zu informieren, unbequeme Fragen zu stellen, erzählt Wieland nach dem Friedhofsbesuch in seinem Haus. Auf dem Esstisch liegt schon ein dicker Aktenordner. Darin hat der Architekt alles gesammelt, dessen er in Sachen Jodl habhaft werden konnte. Vom Tisch aus kann man auf den See blicken.
1953 lässt Jodls Witwe Luise das Kreuz errichten. Zuvor lag hier lediglich seine erste Ehefrau Irma. Sie war im März 1944 in Königsberg gestorben, ihre Asche wurde in einem Sonderzug zum Chiemsee gebracht. Als Luise Jodl 1998 mit über 90 Jahren stirbt, wird auch sie auf der Fraueninsel begraben. Kinder hat sie keine, das Grabnutzungsrecht geht an verschiedene Angehörige über, zuletzt ist einer ihrer Großneffen alleiniger Inhaber.
Der Streit eskaliert
Wieland macht sich mit seiner Petition und seinen ständigen Nachfragen nicht gerade beliebt auf der Insel. Georg Huber, der Bürgermeister, der zwei Häuser weiter wohnt, grüßt ihn schon längst nicht mehr. Andere sind freundlich, wenn sie ihm alleine begegnen. Sobald sie aber in der Gruppe sind, schauen sie weg. Die Schlösser der Haustür wurden schon einmal mit Sekundenkleber zugeklebt, die Leinen des Bootes nachts losgemacht.
Kurz nach Wielands Petition tritt der Aktionskünstler Wolfram Kastner auf den Plan. Nachdem auch er mit einer eigenen Petition und einer Eingabe an den Gemeinderat erfolglos ist, verleiht er dem Anliegen auf seine Art Nachdruck. Und Kastners Art ist gern mal provokativ.
So folgen im Laufe der nächsten Jahre Aktionen, bei denen Kastner ein Schild mit der Aufschrift „Keine Ehre dem Kriegsverbrecher!“ an dem Kreuz anbringt, es mit blutroter Farbe überschüttet oder das bronzene „J“ entfernt, sodass dort nur noch „Odl“ steht, das bairische Wort für Gülle. Das „J“ schickt er an das Deutsche Historische Museum nach Berlin, das mit der Gabe aber wenig anzufangen weiß.
Der Streit beginnt zu eskalieren. Einmal versucht eine Abordnung der NPD, das Kreuz zu reinigen – vergeblich. Mehrfach verklagt der Großneffe der Witwe Jodl den Künstler – mit Erfolg. Kastner wiederum geht nach Karlsruhe. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts steht noch aus.
Ein abgekartetes Spiel?
Dass das Ehrenkreuz überhaupt noch steht, liegt an einer Beschwerde des Großneffen gegen die für 2018 geplante Beendigung des Grabnutzungsrechts. Da es noch genügend freie Grabstellen gebe, könne die Gemeinde die Verlängerung der Grabnutzung nicht aus Platzgründen ablehnen, befand das Verwaltungsgericht München und regte einen Vergleich an: Der Schriftzug auf dem Kreuz sollte mit einer Platte verdeckt werden, auf der sich nur ein allgemeiner Hinweis auf die „Familie Jodl“ findet.
Zunächst nahmen beide Parteien den Vergleich an, doch dann widerrief ihn die Gemeinde, woraufhin das Gericht zugunsten des Klägers urteilte. Gegen dieses Urteil legte die Gemeinde allerdings keine Berufung ein.
Kastner und Wieland vermuten deshalb ein abgekartetes Spiel: Die Gemeinde habe mit Absicht einen nicht stichhaltigen Grund angegeben, um damit vor Gericht nicht durchzukommen. Fragt sich nur: Warum? Aus Trotz? Überhaupt herrscht ein eklatanter Mangel an plausiblen Erklärungen für das, was in den letzten Jahren in der Causa Jodl geschah – und nicht geschah. „Es muss da Verbindungen geben, Seilschaften“, mutmaßt Wieland.
Natürlich ist die Fraueninsel kein Nazi-Nest. Auch wenn es schon mal einen geben soll, der stolz ein Exemplar des Buches zeigt, in dem Luise Jodl auf schwülstige Weise die Ehrenrettung ihres Mannes versucht – mit einer persönlichen Widmung der Autorin. Und auch wenn eine Schwester des einflussreichen Benediktinerinnenklosters auf der Insel von ihren interessanten Erfahrungen mit der Jungen Alternativen erzählt. Schon zwei Mal habe man die AfD-Jugend im Kloster zu Gast gehabt.
Was bewegt den Großneffen?
Doch die Fragen bleiben. Auch diese: Was bewegt den Großneffen von Luise Jodl? In seiner Hand läge es, das Kreuz von heute auf morgen verschwinden zu lassen.
Nur einmal, nach einer Demonstration gegen das Kreuz im vergangenen Sommer, meldet er sich mit einer Stellungnahme zu Wort. Von einem „Aufmarsch“ der Demonstranten spricht er darin, die Grabstätte sei „ein normales gemeinsames Familiengrab“ und ein „stiller Rückzugsort für mich und meine Familie“. Er sei „gewillt, alles dafür zu tun, dass gerade keine,Wallfahrtsstätte' für Neo-Nationalsozialisten entsteht“.
Nachfragen der taz, warum er dann nicht beispielsweise – wie vom Gericht vorgeschlagen – einfach den Namen Alfred Jodls mit einer Platte verdeckt, bleiben unbeantwortet. Auch Bürgermeister Huber ist nicht erreichbar.
Für Georg Wieland jedenfalls steht fest: Solange dieses Kreuz oben auf dem Friedhof steht, will er dort nicht begraben werden.
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