Petition der Woche: Kein Platz für Geflüchtete
Geflüchtete bekommen trotz Traumata nur selten einen Therapieplatz. Das System ist unterfinanziert, kritisiert Diana Ammann.
Eine Petition fordert nun von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, sich der Problemlage anzunehmen. Initiiert hat sie Diana Ammann, gemeinsam mit Julia Darboven, Psychologiestudentin aus Tübingen, sowie mit Joéva Lemieuvre, die als Schulpsychologin in Berlin tätig ist. Ammann startete bereits im Februar 2021 die Petition. Nun, durch den Krieg in der Ukraine, ist sie noch relevanter geworden.
Vor zwei Jahren wurde Ammann durch einen Bericht im Fernsehen auf die Versorgungslücke aufmerksam, sie war zunächst ungläubig, dann entsetzt. „Da ging es unabhängig von der Situation Geflüchteter zunächst darum, dass es zu wenige psychotherapeutische Kassensitze gibt.“ Als sie sich weiter informierte, habe sie gemerkt, dass es für Geflüchtete noch viel schwieriger ist, einen Therapieplatz zu bekommen.
Es gibt in Deutschland die sogenannten Psychosozialen Zentren, die auf Geflüchtete spezialisiert sind. Doch schon 2020 habe man dort auf einen Therapieplatz sieben Monate warten müssen, teilte die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) auf taz-Anfrage mit. 10.000 Geflüchtete habe man ablehnen müssen.
Lange Wartelisten und Sprachbarrieren
Laut Studien weisen jedoch rund ein Drittel aller Geflüchteten in Deutschland eine Traumafolgestörung auf. Die Psychosozialen Zentren konnten laut eigener Aussage nur knapp fünf Prozent des Bedarfs abdecken. Zwar können anerkannte Geflüchtete auch niedergelassene Therapeut:innen besuchen, doch auch dort sind Wartelisten lang, zudem haben viele dieser Therapeut:innen weder die nötigen Sprachkenntnisse noch die nötigen Schulungen, um Geflüchtete zu behandeln. Die Initiatorinnen der Petition fordern daher einen unbürokratischen und schnellen Zugang zu Therapieplätzen. „Jeder Mensch sollte unkompliziert und schnell psychologische Hilfe erhalten, wenn er sie benötigt. Da ist es doch ganz egal, ob geflohen oder nicht“, sagt Ammann. Es brauche finanzielle Mittel für geschulte Sprachmittler:innen. Außerdem müssten Schulungen zur Versorgung Geflüchteter Bestandteil der therapeutischen Ausbildung werden.
In den ersten Wochen des Kriegs sind bereits über 220.000 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) rechnet damit, dass sie psychotherapeutische Hilfe „in erheblichem Umfang“ benötigen. Die neue Fluchtsituation „kracht auf ein überlastetes System“, sagt Hans Strömsdörfer, Pressesprecher der DPtV, im Gespräch mit der taz. Pro Asyl schließt sich an: „Wir müssen damit rechnen, dass der Bedarf steigt und nun viele Menschen nach Deutschland kommen, die eine Akuttraumatisierung mitbringen“, so Andrea Kothen, Referentin von Pro Asyl.
Die Initiatorinnen der Petition hoffen auf Besserung. Das Thema in die Diskussion zu bringen ist dafür der erste Schritt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg