Petition der Woche: Gegen die frühe Einschulung
Ob ein Kind schulfähig ist, entscheidet der Schuleignungstest. Die emotionale und soziale Schulreife wird dabei aber nicht getestet.

Kathrin Friedrichs Sohn ist fünf Jahre alt. Geburtstag hatte er gerade erst, Ende September. Nächstes Jahr soll er eingeschult werden – mit immer noch fünf Jahren. Das empfindet Friedrich als zu früh für ihr Kind und bemüht sich deswegen um eine Rückstellung.
Ob ein Kind schulfähig ist oder nicht, entscheidet der Schuleignungstest bei einem Arzt. Die Eltern werden dabei zwar angehört, sie können aber nicht allein entscheiden, dass ihr Kind ein Jahr später eingeschult werden soll. In Nordrhein-Westfalen, wo Kathrin Friedrich wohnt, gilt das selbst dann, wenn das Kind erst Ende September Geburtstag hat. „Die Schulfähigkeit eines Kindes wird zwar überprüft, aber ob ein Kind tatsächlich emotional oder sozial schulreif ist, wird kaum berücksichtigt“, sagt sie.
Kathrin Friedrich will diese Erfahrung anderen Eltern ersparen und hat deshalb eine Petition gestartet. Sie fordert, aus den sogenannten Muss-Kindern, die im Juli, August oder September geboren wurden und im Schuljahr 2021/22 schulpflichtig werden, sogenannte Kann-Kinder zu machen. Dann könnten die Eltern entscheiden, ob sie ihr Kind ein Jahr später einschulen. Auf lange Sicht will Friedrich den Stichtag für Muss-Kinder in NRW wieder zurückführen. Ihre Petition richtet sie an den Landtag NRW und das Landesministerium für Schule und Bildung.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Aktuell liegt der Stichtag in Nordrhein-Westfalen am 30. September. Das bedeutet, dass alle Kinder, die bis zum Stichtag das sechste Lebensjahr vollenden, am 1. August desselben Jahres schulpflichtig werden. Dieser Beschluss ist auf das Jahr 2008 zurückzuführen, als NRW und andere Bundesländer wie Bayern ihren Stichtag schrittweise nach hinten verlagert haben.
Eine Begründung damals: Kinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen, sollten früher in die Schule kommen. Seitdem wurde der Stichtag jedoch in den meisten Bundesländern außer in NRW und Berlin wieder auf den 30. Juni verlegt, oder es wurde eine Korridor-Lösung für die Eltern eingebaut. Diese Korridorregelung ermöglicht den Eltern, deren Kinder zwischen dem 30. Juni und dem 30. September Geburtstag haben, frei darüber zu entscheiden, ob sie ihre Kinder einschulen lassen wollen.
Friedrich hält von der strengen Regelung in ihrem Bundesland nichts: „Die Änderung des Stichtages ab dem Jahr 2008 war meiner Meinung nach ein Fehler.“ Damit ist sie nicht alleine. Viele Kinderärzte, Lehrer und Eltern berichten, dass die mit fünf Jahren eingeschulten Kinder häufig mit dem Stoff in der Schule überfordert seien, öfter Klassen wiederholen müssten und tendenziell einen niedrigeren Schulabschluss erhielten. Hinzu kommt, dass Kinder, die aktuell vor der Einschulung stehen, durch die Kita-Schließungen im Frühjahr wichtige Monate im Kindergarten verloren haben.
Durch diesen Bezug auf Corona unterscheidet sich die Petition von einer bereits 2019 zum selben Thema gestarteten Petition. Diese wurde damals von 42.000 Unterstützern unterschrieben und an den Petitionsausschuss von NRW herangetragen. Dort wurde sie knapp ein Jahr lang nicht bearbeitet und schlussendlich abgelehnt.
Kathrin Friedrichs Petition wurde bisher von 6.000 Personen unterschrieben. „Ich hoffe, unter den geänderten Bedingungen jetzt mehr Beachtung für die extrem jungen Einschulungskinder zu bekommen.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links