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Performerin Bianchi über sexuelle Gewalt„Keine Vergewaltigung reproduzieren“

Carolina Bianchi untersucht in ihrer neuen Performance sexuelle Gewalt gegen Frauen. Dafür nimmt sie K.-o.-Tropfen auf der Bühne des Berliner HAU ein.

Künstlerin Carolina Bianchi bei ihrer Performance „The Bride and The Goodnight, Cinderella“ Foto: Christophe Raynaud
Interview von Tom Mustroph

taz: Carolina Bianchi, in Ihrem Stück „The Bride and The Good Night, Cinderella“, das gerade am Berliner HAU läuft, nehmen Sie während der Vorstellung K.-o.-Tropfen ein. Welchen Effekt hat das?

Carolina Bianchi: Ich nehme „Good night, Cinderella“, das ist eine Mischung aus verschiedenen Schlafmitteln und ein klassischer Vergewaltigungscocktail. Nach der Einnahme fühle ich mich sehr schläfrig und schlafe während der Show auch ein.

Bild: Mehdi_Benkler
Im Interview: Carolina Bianchi

ist eine brasilianische Theatermacherin, Autorin und Performerin, die derzeit in Amsterdam lebt. In ihrer Arbeit mit dem Theater sind Theorie und Praxis untrennbar miteinander verbunden. Sie ist Leiterin des Kollektivs CARA DE CAVALO aus São Paulo, mit dem sie unter anderem Stücke wie „The Cadela Força Trilogy“ und „O Tremor Magnífico (The Magnificent Tremor)“ geschaffen hat.

Was ist das Erste, das Sie wahrnehmen, wenn Sie erwachen?

Konfusion und Schläfrigkeit. Die ­K.-o.-Tropfen beeinflussen das Erinnerungsvermögen. Und darum geht es in dem Stück auch: Wie rekonstruiert man eine Erinnerung an etwas, das von einem genommen wurde? Im Falle einer Vergewaltigung gibt es die Tat, aber auch Dinge jenseits davon. Und man hat keinen Zugang mehr zu dem, was passiert ist.

Was gab für Sie den Ausschlag, sich dem Thema zu widmen, und wie sind Sie auf die Geschichte der italienischen Aktionskünstlerin Pippa Bacca gestoßen?

Ich habe mich schon viele Jahre mit dem Thema auseinandergesetzt. Meine früheren Arbeiten in Brasilien kreisten darum. Als ich „The Magnificent Tremor“ beendete, beschäftigte ich mich bereits mit der Idee, wie Frauen mit ihren Gewalterfahrungen umgegangen sind. Ich recherchierte zur Performerin Ana Mendieta (eine kubanisch-amerikanische Künstlerin, die stark körperbasiert arbeitete und 1985 nach einem Streit mit ihrem Ehemann durch einen Sturz aus dem Fenster ums Leben gekommen ist, Anm. d. Red.). In dem Zusammenhang stieß ich auf Pippa Baccas Geschichte und wurde regelrecht besessen davon.

Inwiefern besessen?

Besessen von ihrer Geschichte und all den Widersprüchen in ihr als Person. Für mich ist ausschlaggebend, dass sie Performerin war, vergewaltigt und umgebracht wurde, während sie quasi eine Performance machte. Die künstlerische Arbeit ist etwas, was uns verbindet. Es handelt sich aber nicht um eine Hommage, sondern um ein Sprechen über eine Person, die gestorben ist. Das ist ja auch ein Tabu. Wir denken oft, wir müssen über Tote als perfekte Menschen sprechen, eben weil sie gestorben sind. Ich versuche sie aber wieder menschlicher zu machen. Sie ist nicht nur Opfer. Sie ist auch Künstlerin, hat ihre Erfahrungen gemacht, ihre künstlerischen Entscheidungen getroffen.

2008 ist Bacca in einem Brautkleid auf einer „Friedensreise“ per Anhalter von Europa bis in den Nahen Osten gereist. Nahe Istanbul wurde sie von einem Lastwagenfahrer ermordet. Im Anschluss schlug eine türkische Zeitung vor, aus Respekt ihr gegenüber und auch als eine Art Wiedergutmachung der türkischen Gesellschaft solle eine Künstlerin aus der Türkei die Reise fortsetzen. Haben Sie jemals daran gedacht, Baccas Friedensprojekt zu vollenden?

Die Performance

Am 4. und 5. Oktober um 19 Uhr im HAU1

Nein, ich hätte davor zu viel Angst. Ich komme aus Brasilien, wo es täglich Vergewaltigungen und Femizide gibt. Auch wenn ich mittlerweile in Europa lebe, prägt einen diese Realität. Die unterschiedlichen Kontexte, aus denen Bacca und ich stammen, spielen ebenfalls eine Rolle im Stück.

Bei der Darstellung sexueller Gewalt stellt sich auch die Frage nach deren Reproduktion. Wie stellt man künstlerisch sexuelle Gewalt gegen Frauen dar?

Eine Sache möchte ich klarstellen: Ich reproduziere in meiner Arbeit keine Vergewaltigung. Ich nutze die Mittel von Theater und Performance, um über die Erinnerungsformen meines Körpers zu spekulieren. Ich bin in diesem Sinne Forscherin. Ich möchte untersuchen, ob Theater diese Art von Sprache über Gewalt bewahren kann.

Es ist wichtig, sich mit Gewalt zu beschäftigen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was sie im eigenen Inneren auslöst

Carolina Bianchi

Wie gehen Sie mit dem Risiko um, Menschen, die Gewalterfahrungen erlitten haben, durch die Performance zu retraumatisieren?

Ich will selbstverständlich nicht retraumatisieren. Ich denke eher darüber nach, welche Art von Konversation man mit dem Publikum eröffnen kann. Im Stück geht es um Gewalt, und das kann natürlich durchaus triggern. Wenn Menschen spüren, dass sie damit nicht in Berührung kommen wollen, können sie die Vorstellung verlassen. Niemand ist gezwungen, zu bleiben. Ich denke aber auch, dass es wichtig ist, sich mit Gewalt auseinanderzusetzen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was sie im eigenen Inneren auslöst.

Die Arbeit ist Teil I Ihrer geplanten „The Cadela Força“-Trilogie, die sie gemeinsam mit ihrem Kollektiv Cara de Cavalo erarbeiteten. Worum wird es in den anderen beiden gehen?

Das nächste Kapitel wird die Täterseite beleuchten und der dritte Teil wird nichts abschließen, so viel kann ich sagen.

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