Performance über Reptiloide: Gefährliche Infektionen
Eine Annäherung an die Welt der Verschwörungen und der Manipulation bietet die Performance „Schöpferwissen“ von Internil im td Berlin.
![Die Rückenansicht einer Figur mit erhobenen Armen vor einem Flammenmeer Die Rückenansicht einer Figur mit erhobenen Armen vor einem Flammenmeer](https://taz.de/picture/5579692/14/Schoepferwissen-Plakatmotiv2-c-Christin-Striegler-1.jpg)
Mit Namensschild versehen und mit eigenem Becher und Stift bestückt sitzen wir, die Besucher:innen der Performance „Schöpferwissen“ im td Berlin, an einer langen Tafel. Dort versammelt, startet die Schulung. Erster Teil: Der programmierte Mensch. Es folgt eine Filmsequenz aus „Schöpferwissen TV“, in der die Stimmen der Protagonist:innen Thomas und Julia nachgesprochen werden. Die Filmsequenzen werden die Basis aller folgenden Lektionen sein.
Wir sehen, wie Seminarteilnehmer:innen in Thailand zu „Schöpferwissen“ kamen: Oft brachte sie dahin ein Gefühl des Scheiterns an den Forderungen der Gesellschaft, in der wir alle leben, und der Entfremdung von sich selbst. In der Folge hören wir Geschichten über den Einfluss der Matrix auf die Materie, Magnetismus und die Steuerung der Geschehnisse von außen. Vor allem geht es um unsere von „denen“ gesteuerten Gedanken und darum, wie es gelingen könnte, bewusst nicht zu denken.
Die Schulung, in der wir uns hier befinden, ist Teil der Performance „Schöpferwissen“ von internil, die am 21.Mai im td (vormals Theaterdiscounter) ihre Premiere hatte. Christopher Hotti Böhm, Marina Dessau, Christian Römer und Arne Vogelgesang von internil greifen die Videobotschaften und Schulungsinhalte der oben erwähnten Protagonist:innen, bei denen es sich um reale Personen handelt, auf und zeigen sie als Teil eines globalen Netzwerks, das ideologische Geschäfte mit der Wahrheit betreibt.
Die Besucher:innen werden hierbei selbst zu Teilnehmer:innen einer Schulung über die Schulung. Wichtiger Bestandteil: Wie bei „Schöpferwissen TV“ ist auch bei uns die Kamera immer mit dabei, wir werden permanent beobachtet. Beim Betreten des Raumes war es dem Publikum scheinbar freigestellt worden, zu Teilnehmer:innen der Schulung zu werden oder das Geschehen aus der Distanz von außen zu beobachten. Alle hatten sich für die Teilnahme entschieden. Im Nachhinein fragt man sich, wie die Performer:innen das eigentlich geschafft haben.
Vor Urzeiten auf der Erde gelandet
Zurück zu den von „denen“ gesteuerten Gedanken: Mit „die“ sind Reptiloide gemeint, die vor Urzeiten auf der Erde gelandet sein und seitdem die Menschheit manipulieren und versklaven sollen. Es war die Überzeugung von deren Existenz, die Thomas und Julia zusammenbrachte, lernen wir. Thomas entwarf daraufhin eine eigene Lehre inklusive mehrerer Youtube-Kanäle, verfasste ein Buch, das sich gut verkaufte und viel Geld einbrachte, und gründete ein Seminarzentrum in Thailand.
Insgesamt 3.800 Folgen gibt es allein vom Kanal „Schöpferwissen TV“, von dem aus Thomas und Julia seit 2015 über „den programmierten Menschen“, Nanobots, wahre Freiheit oder „das strukturierte Prinzip der Liebe“ aufklären. Der Begriff des „Schöpferwissens“ leitet sich übrigens ab aus der Lehre des russischen Wissenschaftlers Grigori Petrowitsch Grabovoi, welcher die Rettung und ewige harmonische Entwicklung der Menschheit anstrebt.
In den folgenden Lektionen der Schulung soll das Publikum die Psyche der Protagonist:innen begutachten. Während wir Strichmännchen malen, um Thomas' bevorzugte Körperhaltung darzustellen, studieren die vier internil-Performer:innen jede:n Einzelne:n von uns intensiv. Jede Änderung der Körperhaltung wird sofort registriert. Ein mulmiges Gefühl kommt auf.
Ekel verbindet
Der nun folgende Punkt im Programm ist womöglich die größte Herausforderung für das Publikum. Es geht um „Parasiten und Implantate im eigenen Körper“ und deren Entfernung. In der Filmsequenz sehen wir Thomas, wie er sich mithilfe einer Pinzette eine dicke eitrige Krone von einem seiner diversen Haut-Ekzeme abzieht. Parallel dazu sitzt ein internil-Performer direkt in unserer Nähe und tut Selbiges. Seine blutigen Tücher landen auf dem Tisch.
War bisher unter uns Besucher:innen eine deutliche Distanz zu den in den real existierenden Videos vermittelten Inhalten und auch zur eigenen Teilnahme an der Schulung über die Schulung spürbar, so scheint diese Distanz in dieser Lektion zu schwinden.
Die letzte Lektion der Schulung behandelt „das strukturierte Prinzip der Liebe“. Bei „Schöpferwissen TV“ erzählt Thomas etwas über die Übernahme der Menschen durch Nanobots. Julia, seine Freundin, hätte Tötungsmechanismen in ihrem Blut und hätte ihn beim Sex „infiziert“. Thomas bezeichnet Sexualität als „barbarisch“; „die“ (die Reptiloiden) würden die krankhafte Abhängigkeit der Menschen vom Sex nutzen, um ihre Tötungsmechanismen unter ihnen weiterzuverbreiten. Er selbst habe immer bedingungslose Liebe für alle gleichermaßen gelebt (das ist unter „strukturierter Liebe“ zu verstehen).
Dann erklärt er, er sei der einzige „echte“ Mensch und müsse laufend den Job der Transformation schlechter Energie erfüllen, da ja alle anderen eben kein reines Herz hätten. In einem direkt im Anschluss folgenden Video kommt Julia zu Wort. Sie glaubt Thomas und sagt, sie ließe sich deshalb auch bereitwillig von Thomas anschreien und beschimpfen. Schließlich meine Thomas ja nicht sie als Menschen, sondern nur ihre unmenschlichen, fremdgesteuerten Anteile.
Informationen gesammelt
Damit endet die Schulung. Die Performer:innen bedanken sich für unsere Teilnahme und dass wir ihnen so viele wertvolle Informationen über uns geliefert hätten: Wir sehen Videoaufnahmen unserer Schulung über die Schulung. Zurück bleibt ein verwirrtes Gefühl: Einerseits waren einige der uns in den Videosequenzen präsentierten Inhalte schlichtweg brüllend komisch, es fiel leicht, hier die Distanz zu wahren. Aber wir waren in der selben Situation wie die Teilnehmer:innen der real existierenden Schulungen in Thailand, und ganz sicher wurden auch wir auf die ein oder andere Art und Weise manipuliert, die wir vielleicht noch nicht einmal bemerkt haben.
Was bleibt? Ein leichter Grusel und eine Traurigkeit darüber, wie Menschen, die eigentlich „nur“ unglücklich waren und nach Erfüllung im Leben, nach Echtheit, nach „Wahrheit“ suchten, in derart destruktive Prozesse rutschen konnten. Vielleicht zeigt die Performance auch, dass Menschen gerade da manipulierbar sind, wo sie sich am sichersten wähnen und meinen, die Dinge zu durchschauen.
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