Performance „War Games“ in Hamburg: Krieg in der Spielwelt
„War Games“ fragt, wie Kinder Krieg und Gewalt erleben, und zeigt bildstark mit überraschenden Perspektiven, wie tief Konflikte unser Handeln prägen.
Die Liste mit den Triggerwarnungen, die im Kampnagel-Foyer in Hamburg vorher verlesen wird, ist lang: schnelle Lichtwechsel, Stroboskop, Dunkelheit, laute Sounds, Pyroeffekte, Schüsse aus einer Druckluftwaffe (ohne Projektil) und vor allem: „Krieg, Gewalt und Tod sind zentrale Themen des Stücks und werden szenisch dargestellt.“
Empfohlen ist „War Games“, Kriegsspiele, vom altersgemischten Hamburger Ensemble Skart & Masters of the Universe, ab 12 Jahren. Viele Kinder sitzen im Publikum und auch drei der Performer:innen sind Kinder. Mit Krieg und Waffengewalt sind sie spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine überall konfrontiert: im Fernsehen, in der Schule, in Videospielen. Waffen und Krieg erscheinen fast selbstverständlich.
Aber wie erleben Kinder diesen von Erwachsenen geprägten Gewaltdiskurs, wie die Anziehungskraft von Gewalt oder die Lust an der Angst, die ihnen in Kriegsspielen begegnet?
Damit haben sich die Theatermacher:innen zwei Jahre lang mit Siebt- bis Elfklässler:innen der Stadtteilschulen Altona und Eidelstedt in Arbeitsgruppen beschäftigt, haben Expert:innen eingeladen und sich Gedanken über Bühnen- und Kostümbild gemacht. Schließlich wurde all das zusammengebracht und mit Performer:innen des inklusiven Ensembles Meine Damen und Herren zu einem Theaterabend entwickelt.
Es knallt und raucht
Der beginnt leise. Nach frischem Gras riecht es, die Bühne ist eine Spielwiese mit Rollrasen. Da ist noch ein anderer Geruch, vielleicht vom Schleim, der aus einem Behälter auf einen gut getarnt auf dem Gras liegenden Heckenschützen tropft. Später wird es immer wieder verbrannt riechen. Im Hintergrund steht ein riesiges Mauersegment, darauf groß das Wort „Reue“.
Mit einem Metallsuchgerät betritt eine Figur in weißer Uniform den Rasen. Ist das ein Kampfanzug oder der Schutzanzug einer Forscherin? Vorsichtig sucht sie den Boden ab, schreckt zurück, wenn das Gerät piept. Dann knallt es hinter ihr und ein Rauchpilz steigt zur Decke. Sie sucht weiter, es knallt wieder. Dunkelheit.
Eine Stunde lang reihen sich solche Szenen aneinander, oft ohne Worte, bildstark, toll beleuchtet und choreografisch. Dazu erklingen mal ruhige Ambientsounds, mal ballert Technoides wie ein Gewehr. Loops nennt der Abendzettel diese Szenen, auch die dazu auf die Mauer projizierten Worte wiederholen sich bald: Reue, Vergessen, Macht, Exzess.
Mal liegen die Performer:innen auf dem Boden und winden sich wie gefangen, die Uniformen sehen dann aus wie Anzüge von Insass:innen einer Anstalt, schließlich werden sie mit einer Pistole erschossen. Dann tanzen sie wild oder marschieren militärisch. In extremer Zeitlupe verprügeln sie einen von ihnen brutal. In einer beeindruckenden Szene steht die Kleinste von ihnen in der Mitte der Bühne, mit riesigen Flügeln aus Wahlplakaten von Parteien.
Berührende Geschichten
Zu den eindringlichen Bildern gibt es auch Geschichten wie die vom Jungen aus der Schule, der immer drangsaliert wird. Nur einer versucht, die anderen zurückzuhalten. Doch einmal, erzählt dessen Stimme aus dem Off, sei auch er gewalttätig geworden, als der Junge nicht aufgehört hatte zu nerven. Heute denke der Erzähler, dass er bloß noch kindlich gewesen war und tief in seiner Spielwelt steckte. Seinen Blick könne er nie vergessen: Von dir hätte ich das nicht erwartet …
Oder die skurrile Geschichte, die einer der Performer als Fliegerbombe erzählt, die als Blindgänger unter der Erde schlummerte, bis sie entdeckt wird. „Ich liege mit anderen Fliegerbomben auf einem Tisch. Ich spüre eine starke Verbundenheit mit ihnen. Auch sie haben es geschafft, nicht sofort hochzugehen.“ Doch mit ihnen zu „connecten“ klappt nicht und sie fühlt sich verletzlich wie eine Kartoffel. Als Kartoffelbrei landet sie im Schlund eines Flugzeugs.
Fr, 11.4., 19 Uhr (Tastführung ab 18 Uhr), und Sa, 12.4., 19 Uhr, Hamburg, Kampnagel
Es sind diese Perspektivwechsel, die „War Games“ nie langweilig werden lassen und am Ende einen eigentümlichen Eindruck hinterlassen vom Spielen mit dem Krieg: Unfassbar bleibt all das, aber Spaß macht es ja schon, und man staunt und denkt und ist fasziniert – und sorgt sich, wie tief der Krieg unser Miteinander und die Spielwelt unserer Kinder schon prägt.
Und dann hat man wieder viel Hoffnung: Wenn ganz unterschiedliche Menschen gemeinsam einen so schönen Abend über so etwas Schreckliches wie Krieg hinbekommen, dann ist ja doch noch lange nicht alles verloren. Oder?
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