Peinliche Denkmäler: Steine des Anstoßes

Die Bürgerinitiative Braunschweig (Bibs) fordert, sämtliche Denkmäler der Stadt kritisch zu bewerten. Drei gelten als besonders problematisch.

Halbrund aus aufgerichteten Natursteienen mit Inschriften, davor eine Sitzbank dahinter eine Baumreihe

Erst 2012 errichtet: Ehrenhain des Braunschweiger Roselies-Viertels Foto: Bettina-Maria Brosowsky

BRAUNSCHWEIG taz | Selbstverständlich gibt es sie auch in Braunschweig: „belastete Denkmäler“, die kolonialen oder militärischen Geschehnissen gewidmet wurden. Hinzu kommen, wie bundesweit, Namen von Straßen, Plätzen, Stadtquartieren und besonders gerne ja von Kasernen, die nach historisch heute anders zu bewertenden Akteuren, Orten oder Kriegsschauplätzen benannt sind.

Diese materiellen wie immateriellen Manifestationen sind eigentlich konstant diskussions- und revisionswürdig, denn Geschichte kann sich ja nicht auf einem historischen Erkenntnisstatus ausruhen, und sei er auch erst ein paar Jahre alt. Geschichte muss sich immer wieder aus dem aktuellen Bewusstseinshorizont neu bewerten und neu schreiben lassen.

Durch die weltweite „Black Lives Matter“-Bewegung kommt derzeit eine Dynamik in die Diskussion kolonialistischer und rassistischer Machtsymbole, überall purzeln Denkmäler von ihren Sockeln. Wie gedenkt also die Stadt Braunschweig, darauf zu reagieren?

Einen Vorstoß unternimmt gerade die Bürgerinitiative Braunschweig (Bibs) und bringt am heutigen Dienstag ihren Antrag in den Rat der Stadt ein, „dass sämtliche Denkmäler in Braunschweig untersucht und kritisch bewertet werden. Anschließend soll über ihren Verbleib, den Umgang und gegebenenfalls ihre Entfernung beraten werden“.

Kein Bildersturm geplant

Mit dem Antrag, wenn er denn angenommen wird, ist allerdings noch nichts erreicht. Er dient lediglich dazu, dass die Thematik in die Ausschüsse, in diesem Fall den für Kultur, verwiesen werden kann, auf dass dort die richtigen Schritte unternommen, etwa auch Gutachten beauftragt werden.

Peter Rosenbaum, Ratsherr der Bibs und seit langem mit der geschichtlichen Aufarbeitung dunkelster Flecken in Braunschweigs Vergangenheit beschäftigt, geht es ausdrücklich nicht um einen Bildersturm, wie er betont. Aber er sieht drei Denkmäler, die vorrangig der Prüfung harren.

Da wäre das Schill-Denkmal in der gleichnamigen Straße, gewidmet dem preußischen Major Ferdinand von Schill, der 1809 einen Aufstand gegen die napoleonische Besatzung anführte. Er fiel, sein Kopf diente den Siegern als Trophäe, 14 seiner Getreuen wurden erschossen. Am Hinrichtungsplatz steht seit 1837 ein martialisches Monument inklusive beigesetztem Schill-Kopf, seit 1955 dient es dem erweiterten Gedenken auch der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Braunschweiger Soldaten.

Unter dem NS-Regime gab es in direkter Nachbarschaft ein Außenlager des KZ Neuengamme, sodass seit 2000 unter anderem eine künstlerische Installation auch deren Opfer gedenken will: Eine erinnerungskulturelle Gemengelage, die schlechterdings nicht zu bewältigen ist. Rosenbaum sieht das Schill-Denkmal als nicht zu halten.

Braunschweig duckt sich weg

Eine von allen guten Geistern verlassene Geschichtsmelange ist erst recht der gerade mal 2012 errichtete und wirklich so bezeichnete „Ehrenhain“ am Neubaugebiet Roselies-Viertel, den Rosenbaum derzeit noch mit gewisser Milde betrachtet. Roselies bezieht sich auf einen Ort in Belgien, in dem braunschweigische Truppen zwischen dem 21. und 23. August 1914 Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung begingen. Eine Linde, von der Bibs gepflegt, gedenkt im Neubaugebiet der Opfer.

Seit 1938 trug ein Kasernen­areal im Süden Braunschweigs den Namen Roselies. Bei deren Auflassung zugunsten des Wohngebietes fanden sich dort allerlei Gedenksteine, die, zu einem Halbrund versammelt, nun an die „Historische Garnisonsstadt“, die Braunschweig zwischen 1671 und 2003 war, erinnern sollen, so eine Erläuterungstafel der Stadt zur Intention des Ortes.

Unter den Gedenksteinen findet sich auch ein erstmals 1974 eingeweihter, der unter anderem die „Schutz-Truppe Deutsch Südwest“ in die ehrenhaften Reihen seiner „Traditionsregimenter“ aufnimmt. Diese Militäreinheit hat den Genozid an den Herero und Nama im heutigen Namibia zu verantworten, dem 1904 geschätzt über 60.000 Menschen zum Opfer fielen.

Wobei die Einschätzung dieser militärischen Verbrechen als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts, wie sie Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) im Juli 2015 offiziell in die Debatte einbrachte, in Braunschweig im September 2015 explizit abgelehnt wurde, da eine entsprechende Bundestagsdebatte noch ausstehe.

Denkmäler oder Straßennamen sind nur die Spitze des Eisbergs, in Braunschweig eines lokalen und politischen Geistes, der immer noch dem verlorenen Glanz der Welfenresidenz nachtrauert, militaristische und monarchistische Zirkel hofiert

Womit ein drittes Denkmal ins Visier gerät, das Kolonialdenkmal am Stadtpark. Im Juni 1925 eingeweiht, sollte es, wie andernorts auch, den legitimen und vitalen Anspruch des Deutschen Reiches auf Kolonien propagieren. Unter dem NS-Regime musste es einer städtebaulichen Sichtachse weichen, wurde an den jetzigen, wenig exponierten Standort versetzt und fiel dort in Vergessenheit.

Ein Schulprojekt sowie eine Seminararbeit der TU Brauschweig haben seit 2004 seine Geschichte aufgearbeitet, Tafeln vor dem Denkmal sind der Niederschlag. Eine per QR-Code abzurufende Erläuterung der Stadt schlägt immerhin schon den Bogen zum Tod George Floyds in den USA.

Die Bibs will mit ihrem Antrag aber mehr, ihr geht es um den Beginn einer größeren Debatte, sagt Peter Rosenbaum. Denn in der Tat wären Denkmäler oder Straßennamen in Braunschweig nur die Spitze des Eisbergs, eines lokalen und politischen Geistes, der immer noch dem verlorenen Glanz der Welfenresidenz nachtrauert, militaristische und monarchistische Zirkel hofiert. Da werden etwa Reiterstandbilder vor das Shoppingschloss gehievt, die ehemalige Kaiser-Wilhelm-Allee mit einer Lindenformation nach historischem Vorbild aufgerüstet, da ist der Schwarze Herzog bis in die Niederungen einer Biermarke präsent.

Niemand, schon gar nicht die Welfen in Hannover, stellen sich historischer Verantwortung, die Parteien im Rat bleiben gerne untätig, beklagt Peter Rosenbaum. „Wir wollen nicht vorpreschen“, betont er, „wir können allerdings einiges zu einer differenzierten Diskussion beitragen“.

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