Pazifismus und Erziehung: Gewaltfrei gegen wunde Babypopos
Ist es schon Gewalt, wenn man die eigenen Kinder zu ihrem Besten zwingt? Der Kampf mit der Tochter führt die Autorin zur kritischen Selbstbetrachtung.
I ch bin im Kampfmodus. Vier Wochen waren wir mit dem Kind in Israel, vier Wochen hab ich jeden Morgen gekämpft. Wegen der blutigen Anschläge, der staubtrockenen Matzot (es war ja Pessach), wegen der endlosen Staus? Nö. Ich hab mit der Sonnencreme und gegen meine Tochter gekämpft. Dieses kleine Kraftpaket, das immer lacht – es sei denn, man möchte es vor Hautkrebs oder einem wunden Po schützen.
Es ist zu ihrem Besten, denke ich, auch heute Morgen, und arbeite mich stoisch vor von der winzigen Nase zu den Ohren, als mir das Universum eine kleine Backpfeife verpasst hat. An diesem Samstag ist Tag der gewaltfreien Erziehung, vernehme ich aus dem Radio. Um die ist es auch in Deutschland im Jahr 2022 nicht so wahnsinnig schnuffig bestellt. Bäm.
Klar bin ich überzeugt, nie, wirklich niemals Gewalt gegen dieses kleine Wesen anzuwenden. Aber wo fängt die eigentlich an? Schon klar, ich kann sie weder über jede Kante in den Abgrund krabbeln lassen, wie sie es gerne möchte, noch fröhlich vor sich hin brutzeln lassen. Aber wenn man ehrlich ist, steckt schon in der Haltung: „Ich weiß, was gut für dich ist“, ein winziges Fünkchen Gewalt.
Gut möglich, dass ich gerade genau das tue, was an den meisten Erwachsenen so unglaublich nervt: glauben, es besser zu wissen, andere bevormunden, sie klein machen. Die allermeisten machen das ohne Fäuste und Raketen, sie machen es mit hochgezogenen Augenbrauen, langen Argumentationsketten, mit guten Ratschlägen oder mit Liebe, die zum latenten Druck wird.
Puh, bla bla, denken Sie jetzt bestimmt. Was soll das pazifistische Gelaber, jetzt, wo es darum geht, endlich schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Glauben Sie mir, ich bin selbst überrascht. Ich war nie Pazifistin, schon vor dieser gefühlten Ewigkeit nicht, als es noch um den syrischen Despoten Assad ging und nicht um Putin. Wenn überhaupt, ist mein Hass auf die, die glauben, den Rest der Welt zu Tode terrorisieren zu dürfen, weil sie im Besitz irgendeiner Wahrheit seien, nur noch größer geworden.
Oben ohne darf nicht sein
Aber irgendwie ist mir der Glaube abhandengekommen, dass irgendjemand in diesem aktuellen, schrecklichsten Dilemma zwischen ethischem und realem Super-GAU irgendwas besser weiß. Um nicht den Verstand zu verlieren darüber, lese ich viel Vermischtes. Der Prozess Johnny Depp gegen Amber Heard (oder ist es umgekehrt? Beide verklagen sich gegenseitig) – da geht’s auch um Gewalt und Liebe, aber auf irgendwie doch sehr unterhaltsame Art. Oder, noch besser: der „Busenzoff“ von Berlin und Göttingen.
So bieder wie der Berliner Kurier darüber titelt, ist der Fall tatsächlich. Denn während in der Metropole Göttingen bald auch nicht-männliche Personen oben ohne ins Freibad dürfen – allerdings nur am Wochenende, wurde im Provinzkaff Berlin die Architektin Gabrielle Lebreton von zwei Security-Typen einer Liegewiese verwiesen, weil sie sich oben ohne gesonnt hat – während die Männer natürlich halb nackig bleiben durften. Wie beruhigend, dass, während die Welt in Stücke fällt, manches sicher bleibt. Die Zuständigkeiten über weibliche Körper zum Beispiel.
Vielleicht bin ich nach elf Monaten Elternzeit aber auch nur sehr empfindlich gegenüber schrillen Tönen, moralischen allerdings insbesondere. Kein 13-Stunden-Flug mit 30 durchbrüllenden Babys kann so ätzend sein wie der Furor, der floriert, wenn andere schon vor zwei Wochen etwas hätten tun müssen oder vor acht Jahren und überhaupt man selbst ja schon immer gesagt hat.
Aber nun, für Mütter und ihre Meinung interessieren sich die Leute ja eigentlich nur, wenn sie sich freundlicher- und ausnahmsweise mal um Kinder sorgen. Wer aber, wie meine Freundin L., die immer die schlausten Sachen sagt und in ihre Romane schreibt, als Mutter selbst was zu sagen zu haben glaubt, wird mit Schweigen belohnt. Schreib nie, nie was über Kinder, das killt die Karriere, hat sie mir eingeschärft. Wie schade, dass sie selbst genau das gemacht hat.
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