Pat Nehls über Geschlechterzwang: „Das ist keine Meinung“
Pat Nehls hat das Geschlecht aus dem Personenregister streichen lassen. Ein Gespräch über den Kampf um Anerkennung der eigenen Identität.
taz: Pat Nehls, Ihr Antrag auf Streichung Ihres Geschlechtseintrags und Änderung des Namens war erfolgreich. Was ist das für ein Gefühl?
Pat Nehls: Es ist eine große Erleichterung. Die Bestätigung kam ja erst vor Kurzem und ich realisiere jetzt erst: Es geht mir ziemlich gut! Ich kann mich gar nicht erinnern, wann das das letzte Mal so war.
Hatten Sie befürchtet, abgelehnt zu werden?
Auf jeden Fall. Ich habe mich im Vorfeld mit anderen ausgetauscht und Artikel gelesen. Da merkt man schon, dass es einem oft schwer gemacht wird, obwohl es eigentlich ganz unkompliziert ist. Nach intensiver Vorbereitung habe ich mich entschlossen, den Antrag zu stellen.
Ganz so unkompliziert war es dann aber doch nicht?
Es war ein Hürdenlauf. Man braucht ja einen Arzt, der einem eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ bescheinigt. Mein Arzt war verunsichert und wollte sich erst informieren, weil er so ein Attest noch nie ausgestellt hatte. Allein das hat schon zwei Monate gedauert. Dann musste ich auf einen Termin beim Standesamt warten und als ich den hatte, tauchten die nächsten Probleme auf.
Pat Avery Nehls, 26, hat Anglistik und Germanistik studiert und macht Slam Poetry. Nehls wohnt in Hamburg, zieht bald aber für einen Linguistik-Master nach Schottland.
Welche?
Obwohl mein Arzt, so wie verlangt, approbiert ist, hieß es vom Standesamt, ich bräuchte ein Attest von einer_m Internist_in oder Gynäkolog_in. Ich musste dann herumfragen, wer eine_n Ärzt_in kennt, der oder die schnell Zeit hat und nicht nur trans, sondern auch nicht-binären Menschen gegenüber offen ist. Als ich dann das zweite Attest hatte, sagte mir der Standesbeamte, er würde nur ein Attest akzeptieren, in dem genau drinsteht, wie sich die Variante der Geschlechtsentwicklung bei mir äußert.
Mit welcher Begründung?
Es gibt dieses Rundschreiben vom Innenministerium zu dem Gesetz über die Änderung des Geschlechtseintrags (siehe Kasten). Darin steht, dass das Gesetz nicht für trans Menschen gelte und bei berechtigen Zweifeln, ob jemand wirklich ein Anrecht auf die Änderung hat, die Beamten das aufklären müssten.
Ende vergangenen Jahres beschloss der Bundestag eine Reform des Personenstandgesetzes, welche neben männlich und weiblich auch die Geschlechtsbezeichnung divers vorsieht.
Hintergrund war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, wonach die alte Gesetzeslage rechtswidrig war. Der Eintrag des Geschlechts kann nun geändert oder ganz gestrichen werden.
Notwendig dafür ist ein ärztliches Attest, das eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ bescheinigt.
Mit einem Rundschreiben wies das Innenministerium im April daraufhin, dass das Gesetz nur für intersexuelle Menschen gelte und transsexuelle Menschen ausschließe. Es gebe Hinweise, dass Transsexuelle das Gesetz für sich nutzen.
Die Standesämter wurden angewiesen, die Atteste zu prüfen.
Das Gesetz stand von Beginn an in der Kritik, weil es Geschlecht immer noch biologisch definiert und ein Attest notwendig ist. Außerdem würden Transsexuelle diskriminiert.
Was haben Sie getan?
Ich habe meinen Antrag mit beiden Attesten eingereicht und einen langen Brief dazu geschrieben. Ich habe genau dargelegt, warum das Gesetz für mich gilt und dass ich eine ausführliche Begründung will, wenn sie mich ablehnen. Ich glaube, das hat klar gemacht, dass ich mich nicht unterbuttern lasse und klagen werde, wenn es nicht klappt.
Was hat sich in Ihrem Leben nun geändert?
Ich kann jetzt überall einfach Pat sein. Wenn man den Menschen erzählt, dass man weder Frau noch Mann ist, dann brauchen sie oft irgendetwas, woran sie das festmachen können. Es reicht nicht zu sagen: Das ist, wer ich bin und ich möchte, dass ihr mich so wahrnehmt und respektiert. Auf einer Party habe ich mich mal als Pat vorgestellt und musste dann erst einmal eine Diskussion führen, ob das mein richtiger Name sei und der auch in meinem Personalausweis stehe. Wenn mir das jetzt passiert, kann ich sagen: Ja, das steht in meinem Perso.
Sind Sie immer offen mit Ihrer Identität umgegangen?
Unter Freunden und mit anderen Studierenden an der Uni schon. Gegenüber Professor_innen eher nicht. Die waren meine Gutachter_innen und Vorgesetzte und ich wollte nicht riskieren, dass Unverständnis aufkommt. Allein das sorgt mindestens für Distanz oder sogar geringere Wertschätzung. Man muss immer mit Feindseligkeit rechnen – oder damit, dass jemand sagt: Ich bin anderer Meinung, die musst du auch akzeptieren. Das ist keine Meinung, das ist meine Identität.
Haben Sie ein Doppelleben geführt?
Ja, das war total hart und psychisch enorm belastend. Wenn man sich zu sehr auf das authentische Leben im Freundeskreis einlässt, dann tut es umso mehr weh, mit Situationen und sozialen Kreisen konfrontiert zu werden, in denen man nicht man selbst sein kann. Man ist dazwischen gefangen und nur noch vorsichtig. Dass ich jetzt auch auf dem Papier Pat bin, hilft ungemein. Dass ich heute ein Kleid trage, ist ein Zeichen, wie viel gefestigter ich mich jetzt in meiner Identität fühle.
Inwiefern?
Jahrelang hat es bei mir Panikattacken ausgelöst, mit einem Rock in die Öffentlichkeit zu gehen. Ich habe gedacht, alle, die mich angucken, denken, ich sei eine Frau. Nicht-binär ist den meisten Menschen ja nicht präsent, deshalb habe ich versucht, durch mein Aussehen das Einordnen in ein binäres Geschlecht zu verkomplizieren. Ich habe mich so männlich wie möglich präsentiert, um so weit wie möglich von meinem zugewiesenen Geschlecht wegzukommen.
Sie haben sich verkleidet?
Ja. Ich habe eine Zeit lang auch versucht, Binder zu tragen, um meine Brust flacher zu machen, aber das hat so starke Rückenschmerzen verursacht, dass ich damit aufhören musste. Das ist die Realität von vielen, die ständig damit konfrontiert sind, nicht als diejenigen wahrgenommen zu werden, die sie sind.
Das Gesetz, nach dem Sie Ihren Antrag gestellt haben, trat schon Ende letzten Jahres in Kraft. Warum haben Sie denn so lange gewartet, es zu nutzen?
Erst mal war es schwierig, an Informationen zu kommen, wie das nun wirklich läuft. Es braucht ja auch viel Überwindung und Nachdenken: Ich war dafür ja auf andere Menschen angewiesen. Ich muss mich da Leuten öffnen, die ich gar nicht kenne und von denen ich nicht wusste, ob sie vielleicht Arschlöcher sind. Und dann habe ich gedacht, bevor ich das offiziell mache, muss ich auch ein Coming Out vor meiner Familie haben und das hatte ich mich bis dahin nicht getraut.
Wie hat Ihre Familie reagiert?
Ich hatte schon vorher mit meiner Mutter darüber gesprochen. Sie war sich nicht sicher, ob meine Oma das verstehen würde. Im Februar habe ich es dann einfach gemacht und meine Oma war sehr verständnisvoll. Sie sagte, sie hätte schon geahnt, dass irgendwas mit mir sei, aber hätte mich nicht unter Druck setzen wollen, indem sie nachfragt. Ihre Reaktion hat mir Mut gemacht für den Rest der Familie. Meine Mutter wollte nur sichergehen, dass ich ganz sicher bin, weil es kein Zurück mehr ins „Normale“ gibt.
Sie waren sich sicher.
Ich hatte auch keine andere Möglichkeit, weil ich endlich authentisch leben wollte. Und ich merke jetzt schon, wie viel besser es mir geht, obwohl es viel Arbeit bedeutet.
Immer noch?
Ich lasse jetzt überall meine Daten ändern, bei der Krankenkasse, der Bank, und ich muss sagen, das hat noch nirgends ohne Probleme geklappt. Ich sollte beispielsweise ein Online-Formular ausfüllen und bei der Frage nach Mann oder Frau habe ich eine Lücke gelassen. Ich konnte das Formular dann aber nicht hochladen, weil es ein Pflichtfeld war. Mir wurde gesagt, dass das System diesen Fall noch nicht kennt.
Es kostet Sie viel Energie, so zu leben, wie sie wollen.
Ganz klar braucht man viel Durchhaltevermögen, um als Nicht-Cis-Mensch zu leben. Und dann braucht man auch noch extra Energie, um seine Rechte einzufordern. Ich möchte einfach frei sein und als ich selbst leben. Ich bin ja viel mehr als irgendein Geschlecht, meine Persönlichkeit macht viel mehr aus. Manchmal habe ich das Gefühl, dieses Thema blendet alles andere aus.
Stört Sie das an diesem Interview?
Nein, ich wusste ja, worum es geht. Ich wollte das nur klar machen: Natürlich nimmt das einen großen Teil meines Lebens ein, dazu bin ich gezwungen. Aber wenn wir aufhören, es zum Thema zu machen, machen wir keine Fortschritte mehr. Es wäre schön, wenn wir irgendwann an den Punkt kommen, an dem jede_r die Wahl hat, in welchem Ausmaß das Geschlecht die eigene Person bestimmt.
Was ist dafür denn nötig?
Wir müssen uns viel mehr Richtung Selbstbestimmung bewegen und von der Pathologisierung wegkommen. Was ist so schlimm daran, mein Geschlecht und meinen Namen selbst bestimmen zu können? Warum ist es wichtig, auf welche Weise jemand trans oder inter ist? Grundlage unseres Staates ist doch eigentlich, dass wir alle die gleichen Rechte haben. Es braucht mehr Wissen darüber, was es heißt, nicht in diese Geschlechter-Schubladen zu passen. Mehr Wissen führt zu Normalisierung und das führt zu weniger Benachteiligung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung