Partnerin von Polizeispitzel im Interview: „All die Jahre verschwinden“
Er schlief in ihrem Bett, nutzte ihren Computer, kannte ihre Gedanken – und spionierte sie und ihre Freunde aus. Lange wollte Lily darüber nicht öffentlich reden. Jetzt tut sie es.
Vor vier Jahren wurden in Großbritannien eine Reihe von Polizeispitzeln spektakulär enttarnt. Es war ein stattlicher Skandal, vieles davon ist bis heute nicht aufgeklärt. Jahrelang spionierten die Polizisten Aktivistengruppen in ganz Europa aus. Sie wohnten in alternativen Hausprojekten und gingen mit Aktivistinnen ins Bett. Einige betroffene Frauen gehen inzwischen juristisch gegen die zuständige London Metropolitan Police vor, darunter auch die heute 36-jährige „Lily“. Ihr früherer Partner – Klarname: Mark Kennedy – trat als Agent Provocateur auf und soll zahlreiche Straftaten begangen haben. In einem Interview räumte er im Jahr 2011 ein, er habe Polizeibehörden in 22 europäischen Ländern zugearbeitet. Lily erfuhr erst 2010, dass es sich bei ihrer „Beziehung“ um einen Polizeieinsatz gehandelt hatte. Ihren echten Namen möchte die Britin nicht veröffentlicht wissen.
taz: Lily, ich möchte mit Ihnen über etwas sehr Persönliches reden.
Lily: Ich weiß.
Danke. Woher kennen Sie Mark Kennedy?
Ich habe von 2003 bis 2005 eine Liebesbeziehung mit einem Mark Stone geführt. Damals lebte ich in Nottingham und war als Aktivistin an den Vorbereitungen zu den Protesten gegen den G-8-Gipfel beteiligt, der 2005 in Gleneagles stattfand. Wir zogen gemeinsam in ein Hausprojekt, später waren wir noch viele Jahre eng befreundet. Dass Mark Stone in Wahrheit Mark Kennedy hieß und ein bezahlter Undercover-Polizist der Metropolitan Police in London war, erfuhr ich erst Jahre später. Im Jahr 2010.
Wie haben Sie das erfahren?
Im April 2009 wurde Mark zusammen mit 112 Aktivisten verhaftet, kurz bevor sie im englischen Ratcliffe gegen ein Eon-Kraftwerk demonstrieren wollten. Viele fragten sich schon damals, wie die Polizei bereits im Vorfeld so genau wissen konnte, was dort geplant war. Ein Jahr später kam heraus, dass Stone eigentlich Kennedy war. Die Urteile gegen Protestteilnehmer mussten letztlich aufgehoben werden, weil Kennedy dort geplante Aktionen mit vorbereitet hatte.
Warum hat Kennedy ausgerechnet Sie ausgewählt?
Genau weiß ich das bis heute nicht. Ich bin als Aktivistin in Umwelt- und Sozialprotesten involviert gewesen. Dafür interessierten sich die Behörden.
Sie zogen später nach Berlin?
Ja, 2005 zog ich dort für einige Jahre in ein Hausprojekt. Mark besuchte mich oft. Er blieb immer wieder bei Aktivisten in Berlin und anderen Städten. Offenbar kam er zur Legendenbildung wiederholt nach Deutschland. Er schlief in unserer Wohnung, nutzte meinen Computer, kannte meine Gedanken. Es gibt in der Sache noch immer einige Unklarheiten.
Welche?
Bis heute verweigern die deutschen Behörden präzise Informationen darüber, was sie über diesen jahrelangen Einsatz wussten, inwiefern sie beteiligt waren und wer überhaupt den Auftrag gab. Angeblich war Kennedy für den G-8- und den Nato-Gipfel lediglich wenige Tage für deutsche Landespolizeibehörden tätig. Für wen arbeitete er aber über viele Jahre hinweg bei seinen Aufenthalten in Berlin?
Das Outing von Kennedy liegt vier Jahre zurück. Sie wollten mit Ihrer persönlichen Geschichte lange nicht an die Öffentlichkeit gehen. Wieso jetzt?
Auch jetzt, während ich mit Ihnen rede, bin ich nervös.
Warum?
Vom ersten Tag an waren Journalisten heiß auf diese Geschichte. Das Problem ist: Es geht nicht um den Sex, es ist keine James-Bond-Story. Es geht um etwas ganz anderes: Mein Leben wurde zum Gegenstand einer staatlichen Invasion. So viel von dem, was ich lebte, stellte sich als Lüge heraus. Es ist irreal. All die Jahre verschwinden, alles verschwindet. Der Blick auf dein Leben verändert sich komplett. Es ist schwer, wieder Vertrauen aufzubauen.
Wer war denn die Figur, mit der Sie zusammen waren?
Diese Figur gibt es nicht. Mark Stone war keine Person. Er wurde erfunden. Er bekam Pässe und einen Führerschein, hatte Befehle, reagierte auf Anweisungen. Seine Chefs haben operative Entscheidungen über mein Leben geführt. Sie haben entschieden, ob wir zusammen zu Abend essen. Er war keine Person, er war das Werkzeug.
Und doch: Es war ja ein Mensch, mit dem Sie zusammen waren. Gibt es nicht irgendetwas an der Person Mark Kennedy, das sie zu kennen glauben?
Das ist unmöglich zu wissen und es ist letztlich nicht wichtig.
Wieso?
Mein Leben wurde zu einem Polizeieinsatz gemacht. Für mich ist wichtig, dass die Leute dies verstehen. Es geht nicht um ein Kennenlernen, um meine Emotionen, um falsche Erwartungen. Es geht darum, dass eine Behörde vorsätzlich mein intimstes Recht auf Integrität und Privatsphäre in meinem engsten persönlichen Nahraum in massivster Weise ausgehöhlt hat – und sich am Ende nicht einmal dazu bekennt.
Heute klagen Sie gemeinsam mit anderen betroffenen Frauen dagegen in England.
Wir wollen, dass anerkannt wird, dass es sich hier um schwere Menschenrechtsverstöße handelt. Ich vergleiche diese Einsatztaktik mit dem Treiben der Stasi in Deutschland. Es ist politische Polizeiarbeit.
Wie hat sich das für Sie konkret geäußert?
Mark war mit mir auf dem 90. Geburtstag meiner Großmutter. Er erzählte mir von seiner angeblich so guten Beziehung zu seinem Onkel. Er berichtete mir von seinem Vater, der ein Tyrann gewesen sein soll, und erzählte, wie sehr er darunter litt. Heute weiß ich: Wenn er mit seinem Onkel telefonierte, war es tatsächlich sein Verbindungsoffizier. Seine echten Eltern sind bis heute verheiratet. Alles war Taktik. Sie lautet: Spiegele die Person.
Was bedeutet das? Wie hat er Sie „gespiegelt“?
Er liebte alles, was ich liebte. Er machte sich für mich perfekt. Wir hatten vermeintlich die gleichen Musikvorlieben und offenbar viele gemeinsame Interessen. Eine Frau, mit der er später zusammen war, hörte ganz andere Musik. Plötzlich hatte er ihren Musikgeschmack. Das ist eines der kleinen Details, die wir natürlich erst später rekonstruieren konnten.
Wer sind die anderen Frauen, die vor Gericht gezogen sind?
Jede von ihnen hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Der erste Fall stammt bereits aus den 80er Jahren, die letzten stammen aus dem Jahr 2010. Es sind Frauen, die unwissend Beziehungen zu verschiedenen verdeckten Ermittlern führten und von denen ausspioniert wurden. Zwei hatten ebenfalls Beziehungen mit Kennedy, zwei andere bekamen sogar Kinder von den Männern. In einem dieser Fälle aus den 80er Jahren verschwand der Papa von einem Tag auf den anderem aus ihrem Leben und meldete sich nie wieder zurück. Weder er noch der britische Staat hielten es für nötig, wenigstens Unterhaltszahlungen zu leisten. Sie machten sich einfach aus dem Staub.
In diesem Fall gab es inzwischen immerhin ein Urteil. Die Frau erhielt eine Schadensersatzzahlung über ein halbe Million Euro.
Ja, nach rund 30 Jahren. Es sollte aber nicht möglich sein, dass ein Staat das Privatleben von Menschen derart unterwandert. Und doch zeigt uns auch unser Prozess, dass sich nichts an der Politik zu ändern scheint. Es geht seit vier, fünf Jahrzehnten so, ohne dass sie es ändern. Im Rahmen dieses Skandals sind auch andere Details bekannt geworden. Stellen Sie sich vor: Die Polizei nutzte zur Legendenbildung in manchen Fällen die Geburtsdaten verstorbener Kinder.
Gibt es in Ihrem Verfahren irgendwelche Fortschritte?
Wir kämpfen noch immer dafür, diesen Prozess überhaupt ordentlich führen zu können. Die Polizei argumentiert, dass wir dieses Verfahren gar nicht und erst recht nicht vor öffentlichen Gerichten führen könnten. Sie will bis heute weder offiziell bestätigen noch dementieren, dass diese Männer für sie im Einsatz waren. Wir bekommen bis heute keinen Einblick in die Daten, die über uns gesammelt wurden. Alle, die ausgespitzelt wurden, müssen aber Zugang zu den über sie gesammelten Informationen erhalten. Nicht nur in Großbritannien oder Deutschland, sondern in allen Ländern, in denen Kennedy operierte.
Werden Sie selbst irgendwelcher terroristischer oder anderer Straftaten beschuldigt?
Ich werde wegen gar nichts beschuldigt. Sie haben Informationen über mich und ich will wissen, welche das sind. Ich weiß bis heute etwa nicht, ob ich selbst eine Zielperson war oder nur der Legendenbildung diente.
Was sagen Sie Menschen, die wissen wollen, welche Lehre Sie aus Ihrer eigenen Geschichte gezogen haben?
Ich beobachte, dass die Paranoia unter Aktivistinnen und Aktivisten sich oft gegen diejenigen richtet, die irgendwie anders sind. Meine Erfahrung ist: Der Spitzel ist der, den du magst, der dir gefällt, den du kennenlernen willst. Wenn man nicht glaubt, dass Behörden in dieser Weise Besitz von einem Leben ergreifen können, kann man sich selbst nicht wappnen und nicht schützen. Ich möchte, dass die Menschen das verstehen: Das Wissen darum ist der einzige Schutz, den du hast.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr