Britischer Spitzel in Deutschland: Wer deckte Polizeispion Kennedy?
Seit Jahren kämpft Jason Kirkpatrick um Aufklärung: Was wollte der Ermittler in seinem Haus? Jetzt zieht er vor Gericht.
Dieses Schreiben bringt ihm neue Gewissheit: Auch der britische Untersuchungsausschuss wird Jason Kirkpatrick keine Antworten liefern. Seit Jahren versucht der in Berlin lebende Mann eine Frage zu klären: Was wollte der verdeckte Ermittler Mark Kennedy damals in seinem Haus?
In einem Schreiben an die Bundestagsabgeordneten Hans Christian Ströbele (Grüne) und Andrej Hunko (Linke) bestätigt das Bundesinnenministerium nun, was die britische Regierung zuvor der deutschen Regierung mitgeteilt hatte: Der sogenannte Pitchford-Untersuchungsausschuss, ein britisches Komitee, das derzeit in einem groß angelegten Verfahren die Spitzelaffäre der London Metropolitan Police aufarbeitet, wird sich nicht mit Vorgängen beschäftigen, die außerhalb Englands stattgefunden haben, also etwa in Deutschland. Für Kirkpatrick heißt das: Pech gehabt, mal wieder.
Ihn und zahlreiche andere Betroffene interessiert, durch welche Strukturen einer der schillerndsten Polizeiskandale Großbritanniens gedeckt war, der sich in mehreren Ländern Europas abspielte und auch in Rostock und Berlin seine Schauplätze fand.
Kern der Affäre sind zahlreiche Rechtsverstöße, die verschiedene verdeckte Ermittler in ganz Europa begangen haben sollen. Unter anderem sollen die Beamten im Rahmen ihrer Einsätze und mit falscher Identität Beziehungen zu Frauen und sexuelle Affären begonnen haben. In einem gravierenden Fall hatte ein Polizist inkognito sogar ein Kind mit einer Frau bekommen und war anschließend spurlos verschwunden.
Dem ehemaligen Polizisten Kennedy, der in verschiedenen europäischen Ländern unter dem Decknamen Mark Stone die internationale Umweltbewegung ausforschte, wird ebenfalls vorgeworfen, mit falscher Identität Beziehungen zu Frauen begonnen zu haben. Eine der Frauen, Kate Wilson, hatte in der taz ihre Erfahrungen mit Kennedy geschildert.
Klage gegen BKA und Polizei
Jason Kirkpatrick, ein US-Amerikaner, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, hatte anlässlich des G-8-Gipfels 2007 in Heiligendamm unter anderem Pressearbeit für die Anti-G-8-Proteste gemacht. Kennedy hatte Kirkpatrick zwischen 2005 und 2009 wiederholt in seiner Rolle als Aktivist aufgesucht und bei ihm zu Hause in Berlin übernachtet. Dabei soll er laut Kirkpatrick auch darum gebeten haben, ihm Kontakte zu Frauen zu vermitteln. Außerdem soll der Polizist eine Brandstiftung begangen haben.
Bei einem Besuch des Undercoverpolizisten während der G-8-Proteste 2007 in Rostock will Kirkpatrick etwas bemerkt haben: Kurz nach dem Besuch des Spitzels seien E-Mails an Empfänger aus Kirkpatricks Adressbuch nicht mehr bei den Empfängern angekommen. Zu einem anderen Zeitpunkt soll Kennedy Kirkpatrick darum gebeten haben, ihm Namen von Neonazis zu nennen, die seine britischen Aktivistenfreunde nutzen könnten, um diese gewalttätig anzugreifen. Kirkpatrick wertet dies als Anstiftung zu einer Straftat. Er sei damals schon verwundert über diese Anfrage gewesen, weil er selbst keine Beziehungen in die Antifa-Szene unterhalten habe.
Trotz all dieser offenen Fragen ist bis heute ungeklärt, welche Straftaten Kennedy und andere seiner verdeckt operierenden Kollegen in Deutschland begangen haben und in welcher Weise deutsche Behörden in die Einsätze der ausländischen Polizisten in Deutschland eingebunden waren. Zahlreiche parlamentarische Anfragen im Bundestag, im Berliner Abgeordnetenhaus sowie im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern liefen weitestgehend ins Leere.
Deshalb hatte Kirkpatrick zuletzt auf den britischen Pitchford-Untersuchungsausschuss gehofft und über Bundestag und Bundesinnenministerium darauf gedrängt, auch die Vorkommnisse in Deutschland in die Untersuchungen aufzunehmen. Dem erteilten die britischen Aufklärer nun eine Absage: Eine Aufarbeitung von Vorkommnissen außerhalb Großbritanniens, heißt es, würde den Untersuchungsauftrag sprengen.
Für Jason Kirkpatrick bedeutet diese Antwort die nächste Schlappe in seinem langen Bemühen um Aufklärung. Er hat nun den Rechtsweg eingeschlagen und über eine Anwältin juristische Verfahren gegen das Bundeskriminalamt, den Polizeipräsidenten von Berlin sowie das Land Mecklenburg-Vorpommern eingeleitet. Im Rahmen einer Feststellungsklage will er gerichtlich klären lassen, dass Kennedy im Rahmen seiner Einsätze in Deutschland Straftaten begangen hat – und herausfinden, inwiefern deutsche Behörden davon wussten und dies deckten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus