Parteitag der Südwest-Grünen: Pragmatisch, praktisch, gut
Der Asylkompromiss spaltet die Grünen. Aber auf dem Landesparteitag in Baden-Württemberg bekommt Winfried Kretschmann Zustimmung.
TUTTLINGEN taz | „Ich will mich rechtfertigen vor euch“, sagt Winfried Kretschmann und in der Tuttlinger Stadthalle wird es still. Kretschmann erzählt von einer Begegnung im Flüchtlingswohnheim: Er habe einen Afrikaner kennengelernt, der Deutschland durch harte Arbeit zurückgeben wolle, was er an Hilfsbereitschaft erfahren hat. Aber wegen des Arbeitsverbots darf er nicht. Der Mann sei verdammt, „tatenlos rumzuhocken“.
Künftige Flüchtlinge werden früher arbeiten dürfen. Das ist eine von mehreren Verbesserungen, die Kretschmanns Ja zum Asylkompromiss bedeutet. „Massive Verbesserungen, die wir seit Jahren erwogen haben“, sagt er. In Baden-Württemberg bekommt er dafür langanhaltenden Applaus.
Kretschmanns Ja zum Asylkompromiss im Bundesrat hat tiefe Wunden in die grüne Seele gerissen. Er hatte im September zugestimmt, die Balkanländer Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten einzustufen und im Gegenzug zum Beispiel das Arbeitsverbot zu verkürzen. Dafür wurde er von der Parteilinken hart angegriffen. In Baden-Württemberg hielten sich die kritischen Stimmen aber in Grenzen.
Dass beim Landesparteitag in Tuttlingen am Samstag überhaupt eine Diskussion zum Thema aufkam, war der Grünen Jugend zu verdanken. Sie hat einen Antrag gestellt mit dem Titel: „Wir sagen Nein zum Asylkompromiss“. Landessprecher Marcel Emmerich sagt: „Wir halten es weiterhin für falsch, dass verhandelt wurde.“
An Kaffeetischen im Foyer erklären Delegierte aus dem schwarzen Kreis Biberach dagegen, Kretschmanns Haltung sei „nicht rechts, nicht links, sondern baden-württembergischer Pragmatismus“. Diese Position kommt in vielen Kreisverbänden gut an.
Kretschmann gibt sich selbstsicher
In Tuttlingen vollzieht sich ein Akt der Parteihygiene: Dass die Landesgrünen über das Thema sprechen, musste sein. Dass sie am Ende mit großer Mehrheit hinter Kretschmann stehen, war aber von vornherein klar. Kretschmann hat in Tuttlingen Zeit, seine Position zu erklären. Am Mikrofon sagen selbst Parteilinke später: „Wir sind nicht so weit voneinander entfernt, wie gedacht.“
Die Abstimmung geht eindeutig aus: 81 Prozent stimmen für den Antrag des Landesvorstands, der Kretschmanns Linie unterstützt. Der Antrag der Grünen Jugend erhält 17 Prozent der Stimmen.
In zwei Wochen ist Bundesparteitag der Grünen in Hamburg. Dort wird voraussichtlich härter diskutiert. Kretschmann sagt: „Ich gehe auch dort davon aus, dass sich eine Mehrheit hinter mich stellt.“ Auch der Bundesvorsitzende Cem Özdemir prophezeit für Kretschmann „breite Unterstützung durch den Bundesparteitag“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr