Parteitag der Linken: Fundamentalrealismus
Landesverbände mit Regierungsbeteiligung müssen sich Verrat vorwerfen lassen – aber es gibt auch Applaus für sozialpolitische Erfolge.
Ein Spitzenlinker hatte verkündet, dies sei überhaupt der erste Parteitag ohne Zoff im Vorfeld. Doch so ist es nicht. Im Inneren der Partei rumort es, weil die Bundesländer, in denen die Genossen mitregieren, Thüringen, Berlin und Brandenburg, in der letzten Woche im Bundesrat der hart erkämpften Neureglung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zustimmten. Die Länder bekommen nun knapp zehn Milliarden jährlich mehr vom Bund. Doch Teil des Pakets war, die, wenn auch auf Druck von SPD und Linkspartei am Ende einhegte Möglichkeit, Autobahnen auch mit privatem Kapital zu bauen. Das war Schäubles Bedingung.
Ein Genossin aus Bayern hält das für Verrat. Die Landesregierungen „fallen uns in den Rücken“ sagt sie. In der Generaldebatte scheint das Meinungsbild klar. Sabine Leidig, Bundestagsabgeordnete, wettert, dass das Votum der Landesregierungen die Widerstandsbewegungen gegen Autobahnprivatisierung schwäche. Wer appelliert, dass die Linkspartei laut „Nein“ sagen müsse oder das Bündnis „mit prokapitalitischen Parteien“ meiden müsse, dem ist Applaus sicher. Als Christian Görke, Finanzminister in Brandenburg, das Votum zu verteidigen sucht („Wir sind von Schäuble erpresst worden“) gibt es Buh-Rufe.
Bis Schubert ans Pult tritt. „Wir verstaatlichen doch in Berlin Wohneigentum“ ruft sie energisch. Sie meint das NKZ, einen Gebäudekomplex in Kreuzberg, der an einen Privatinvestor verkaufen werden sollte. Doch der Bezirk verhinderte den Deal. Die Linkspartei mühe sich, so Schubert, in der rot-rot-grünen Regierung Zwangsräumungen von Hartz-IV Beziehern zu verhindern, und dass säumigen Mietern, der Strom abgedreht werde. Dafür, so Schubert, brauche der Senat Geld. 490 Millionen Euro pro Jahr bekommt Berlin jährlich vom Bund mehr. „Wir würden nackt durch die Stadt getrieben, wenn wir darauf verzichtet hätten“ ruft Schubert. Donnernder Applaus. Schulterklopfen für die Realo-Linke auf den Gängen danach.
Die Stimmung in der Linkspartei in Sachen Regieren oder Opponieren ist nicht so einfach zu begreifen. Es gab sogar ein paar Delegierte, die klatschten als den Regierungslinken Verrat attestiert wurde und bei Schuberts vehementer Verteidigungsrede. Parteichefin Katja Kipping hatte zu Beginn geschickt dafür plädiert, sich alle Möglichkeiten offen zu halten – und auf Attacken auf Rot-Grün verzichet. Mit der Parole „nur Opposition“, so Kipping, mache sich die Partei „kleiner als sie ist“.
Die wäre wohl mm liebsten beides: habituelle Opposition. Und Regierung auch.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden