Parteitag der Linken in Berlin: Fast befriedet
Nach den erbitterten Flügelkämpfen der letzten Jahre hat sich die Linkspartei beruhigt. Katja Kipping und Bernd Riexinger werden in ihren Führungsämtern bestätigt.
BERLIN dpa | Wahlen schweißen zusammen. Das gilt selbst für die streitlustige Linke. Als Parteichef Bernd Riexinger am Samstag im Berliner Velodrom von der „Friedenspartei“ Die Linke spricht, hat das ausnahmsweise mal zwei Bedeutungen – eine außenpolitische und eine innerparteiliche. Riexinger und seine Co-Vorsitzende Katja Kipping haben eine Partei befriedet, die sich vor zwei Jahren fast selbst zerstört hätte.
Nach erbitterten Flügelkämpfen stand die Linke damals am Abgrund. Von Hass und Selbstzerstörung war die Rede. Jetzt wird wieder über Gemeinsamkeiten gesprochen. „Gemeinsam haben wir dieses Tal durchschritten“, sagt Riexinger vor den 524 Delegierten. „Wenn wir auf die letzten zwei Jahre zurückblicken, dann können wir wirklich stolz sein, was wir alles erreicht und bewegt haben.“ Die Linke ist stärkste Oppositionspartei im Bundestag, bei den Umfragen zur Europawahl liegt sie zwei Wochen vor dem Wahltermin bei acht Prozent, und in Thüringen könnte sie im Herbst sogar erstmals einen Ministerpräsidenten stellen.
Dass Riexinger und Kipping mit ihrem unspektakulären und ausgleichenden Führungsstil einen gehörigen Anteil an der neuen Harmonie haben, wird sowohl unter den Pragmatikern als auch unter den Fundamentalisten in der Partei anerkannt. Das Wahlergebnis auf dem Parteitag spricht für sich: Kipping hat 77,25 Prozent der Delegierten hinter sich, Riexinger 89,69 Prozent.
Gegenkandidaten gab es nicht – noch nicht einmal die bei Linken-Parteitagen fast schon obligatorischen Spaß-Kandidaten, die nur für drei Minuten Redezeit antreten. Auch in den inhaltlichen Debatten vermied die Linke neue Flügelkämpfe. In der Ukraine-Krise wollte der linke Flügel Nato, USA und EU als Hauptschuldige verurteilen. Die Reformer sehen dagegen Russland und den Westen gleichermaßen in der Verantwortung.
Die Gräben sind noch da
Die Kompromissformel im Parteitagsbeschluss zur Ukraine lautet nun: „Anders als es die Bundesregierung darstellt, ist nicht in erster Linie Russland für die Zuspitzung der Situation um die Ukraine verantwortlich.“ Das kann jede der beiden Seiten in ihrem Sinne interpretieren. Es ist nicht das erste Mal, dass die Linke in einer außenpolitischen Frage über die Schärfe der Formulierung streitet.
Im Februar scheiterten die Parteilinken nur knapp mit dem Versuch, die EU im Europawahlprogramm als „neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht“ zu diskreditieren. Die Gräben zwischen beiden Lagern sind immer noch da, auch wenn die Differenzen derzeit nicht öffentlich ausgetragen werden. Die einen achten darauf, dass die Parteipositionen in der Realpolitik zumindest einigermaßen umsetzbar sind, die anderen setzen auf Fundamentalopposition.
Im Fall der Bundeswehreinsätze wollen die einen gar keine Soldaten im Ausland, die anderen wollen Ausnahmen zulassen. Riexinger schlug sich auf dem Parteitag auf die Seite der Fundamentalisten. „Es gibt keinen Grund, die friedenspolitischen Positionen unserer Partei aufzuweichen. Auch nicht als Türöffner für irgendwelche Regierungskoalitionen“, sagte er. Das Thema wird die Linke aber wieder einholen. Spätestens wenn die Bestrebungen, mit SPD und Grünen über eine Koalition auf Bundesebene zu reden, konkreter werden.
Bis zum Herbst, wenn Wahlen in drei ostdeutschen Ländern anstehen – neben Thüringen wählen auch Brandenburg und Sachsen – dürfte aber erst einmal Ruhe herrschen. Es sei denn, die Staatsanwaltschaft in Hamburg macht der Linken einen Strich durch die Rechnung. In sehr naher Zukunft, vielleicht schon in der kommenden Woche, will sie entscheiden, ob sie Gregor Gysi wegen des Vorwurfs einer Falschaussage zu Stasi-Kontakten anklagt. Ein Gerichtsprozess würde die Linke massiv belasten und könnte die Galionsfigur der Linken vor die Frage stellen, ob er sein Amt als Fraktionschef fortführen kann.
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