Parteitag der Grünen: Alles im grünen Bereich

Fast einstimmig segnen die Grünen den Koalitionsvertrag ab – mit SPD-Fraktionschef Raed Saleh als Überraschungsgast.

Das neue Führungsduo an der Berliner Grünen-Spitze: Nina Stahr und Werner Graf auf dem Landesparteitag Foto: dpa

Raed Saleh hat sich schon mal angeschaut, wie das geht, einem rot-rot-grünen Koalitionsvertrag zuzustimmen. Der SPD-Fraktionschef tauchte am Samstag überraschend beim Grünen-Parteitag auf, beschwor in einer kurzen Rede das rot-rote-grüne Bündnis, kurz R2G, als Modell für die Bundestagswahl und verfolgte dann, wie der Vertrag fast einstimmig angenommen wurde. „Viel Glück euch am Montag“, wünschte Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek ihrem SPD-Kollegen, dessen Partei am Montag über das rot-rot-grüne Bündnis abstimmt. Bei der Linkspartei soll tags darauf ein Mitgliederentscheid dazu abgeschlossen sein.

Kapek hatte Saleh während der Koalitionsverhandlungen eingeladen. Derartige Auftritte bei der Konkurrenz sind äußerst selten. „Raed, ich glaube, du hast noch nicht so richtig ein Gefühl dafür, wie das bei uns abläuft, komm doch mal vorbei“, habe sie ihm gesagt, erzählte sie der taz. Noch bei den ersten Sondierungsgesprächen Ende September hatte sich Saleh kritisch über aus seiner Sicht eher elitäre Grüne geäußert, die nur die Innenstadt im Blick hätten – in den Außenbezirken könnten sich viele eben keinen Latte macchiato für 3,75 Euro leisten, waren seine Worte.

Nun stand Saleh nach seiner Rede noch lächelnd und scherzend beim Kaffee im Vorraum mit Grünen zusammen und nahm für ein Foto die designierte Grünen-Senatorin Ramona Pop in den Arm. „Das Ganze [R2G; Anm. der Red.] kann eine Mut-Koalition sein, die auch Vorbild ist für den Bund“, hatte er im Tagungssaal gesagt.

Wäre Saleh Kapeks Einladung noch ein Stündchen früher gefolgt, hätte er auch den Auftritt des designierten Justizsenators Dirk Behrendt erleben können. Dessen Nominierung durch das grüne Spitzenteam hatte auch in der Partei manchen missfallen. Jenen nämlich, die miterlebten, wie Behrendt nach der Abgeordnetenhauswahl 2011 fast für die Spaltung der Fraktion gesorgt hätte.

„Wieso Dirk?“

Behrendt führe einen Vernichtungsfeldzug, hatte der in seiner Wortwahl sonst gemäßigte Abgeordnete Thomas Birk damals an einem Diskussionsabend der Partei gesagt. Auch noch 2014 nannte Behrendt Äußerungen seiner Fraktionschefin Pop zur besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg „unerbetene Ratschläge“ und drohte indirekt ihre Abwahl an: Pop werde „bald in der letzten Reihe sitzen“, wenn sie so weitermache, sagte Behrendt damals der taz.

Jenseits von innerparteilichen Verwerfungen hatte es auch Bedenken gegeben, dass nun jemand Justizsenator werden soll, der sich als Abgeordneter ablehnend zu Besuchen von Polizeischülern im Parlament geäußert hatte. „Ich verstehe, wenn einige von euch gedacht haben: Wieso Dirk?“, sagte Behrendt nun beim Parteitag. Und räumte ein. „Ja, im Eifer des Gefechts gab es Übertreibungen, und das meine ich durchaus selbstkritisch. Und versprach. „Das Kapitel ist jetzt abgeschlossen.“

Daniel Wesener über Bettina Jarasch

„Sie ist leider viel zu katholisch, und ich bin viel zu schwul, als dass da mehr hätte laufen können“

Ob die Partei ihm das wirklich abnahm, blieb offen: Für ihre drei Senatskandidaten – neben Behrendt Fraktionschefin Ramona Pop für Wirtschaft und die parteilose Klimaexpertin Regine Günther für Verkehr und Umwelt – votierten die Delegierten in einer einzigen offenen Abstimmung. Das hieß: Wer Pop und Günther wollte, musste zwangsläufig auch für Behrendt stimmen.

Franziska Eichstädt-Bohlig, als frühere Fraktionschefin und langjährige Bundestagsabgeordnete mit 75 eine Art Elder Stateswoman der Berliner Grünen, gab sich am Mikro skeptisch gegenüber Behrendts Worten: „Gucken wir mal, wie das trägt.“

„Die Chaos-Tage finden woanders statt“

Im Saal war dennoch von Beginn an eine gewisse Entspanntheit zu spüren. Das hatte durchaus mit dem zu tun, was tags zuvor bei der CDU und auch beim Koalitionspartner SPD zu beobachten war, nämlich keinerlei Bereitschaft, ihren jeweiligen Parteichefs freie Hand bei der Personalauswahl zu geben. SPD- und Regierungschef Michael Müller soll dabei sogar mit Rücktritt gedroht haben. „Das alles sollten wir uns nicht zum Vorbild nehmen“, mahnte die designierte Senatorin Pop ihre Parteifreunde, „die Chaos-Tage finden woanders statt.“

Sehr emotional fiel der Abschied der Landesvorsitzenden Daniel Wesener und Bettina Jarasch aus: Sie waren seit Frühjahr 2011 im Amt und mussten nun aufhören, weil sie im September ins Abgeordnetenhaus gewählt wurden – bei den Berliner Grünen sind Parteiamt und Parlamentsmandat nicht miteinander vereinbar.

Für die Zusammenarbeit der Reala mit dem Parteilinken gab es erneut viel Lob – Fraktionschefin Kapek meinte, ihr seien die beiden wie verliebt erschienen. Weseners Kommentar dazu über sich – liiert mit Dirk Behrendt – und Jarasch, verheiratet, zweifache Mutter und zum Parteivorsitz auch Pfarrgemeinderatschefin von St. Marien-Liebfrauen: „Sie ist leider viel zu katholisch, und ich bin viel zu schwul, als dass da mehr hätte laufen können.“ Und nach viel Applaus und Gelächter fügte er hinzu: „Aber eine wunderbare Freundschaft ist ja auch was.“

Berlin: Babybrei und Bürgeramt

Das neue Führungsduo besteht aus Nina Stahr vom parteiinternen Realo-Lager und Werner Graf vom Linken-Flügel. Sie liegen von der Ausgangslage im wortwörtlichen Sinn her eher noch weiter auseinander als Wesener und Jarasch. Stahr, die in Zehlendorf wohnt, wo sie seit fünf Jahren im Bezirksparlament mit der CDU zusammenarbeitet, empfahl sich der Partei als eine, deren Blick aus eigenem Erleben weiter ist. Sie rief dazu auf, Menschen von der AfD zurückzuholen und nicht gleich in die Rassistenecke zu stellen, wenn sie bei einer Anwohnerversammlung wissen wollen, wie die Integration von Flüchtlingen ganz praktisch funktionieren soll – „das können doch durchaus valide Fragen sein“. 81 Prozent der Delegierten stimmten bei ihrer Wahl mit Ja.

Ihr neuer Kovorsitzender Graf, mit 70 Prozent Zustimmung ins Amt gewählt, hatte in seine Rede eher die eigene Klientel im Blick, als er voraussagte, man werde manchen Verband dadurch enttäuschen, dass man nicht noch mehr erreiche. Doch auch er warb für eine möglichst alltagsnahe Ausrichtung: „Berlin ist nicht nur Currywurst und Techno, sondern auch Babybrei und Bürgeramt, und da werden wir jetzt investieren.“

Aus Sicht ihres Vorgängers Wesener müssen sich Graf und Stahr keine Illusionen machen, dass ihre Aufgabe in einer jetzigen Regierungspartei einfacher sei. „Wir haben einen leichten Job gehabt im Vergleich zu dem, den unsere Nachfolgerinnen haben werden“, sagte Wesener – und mahnte die Partei, die beiden dabei zu unterstützen.

Saleh konnte das alles gelassen betrachten, er selbst würde erst zwei Tage später, am Montagabend, die Stimmkarte in die Hand nehmen müssen. Breite Zustimmung gilt zwar als sicher – doch offen ist, ob es wie jüngst im Landesvorstand auch dort starke Kritik an der Personalauswahl von Partei- und Regierungschef Müller geben wird. Ob er Müller über seinen überraschenden Besuch bei den Grünen informiert hatte, ließ Saleh gegenüber der taz offen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.