Parteitag der Berliner Grünen: Blick voraus auf 2026
Grüne halten an Bettina Jarasch als Führungsfigur fest und gucken bereits auf die nächste Wahl. Kritik an ihr bleibt trotz drohender Opposition aus.
Jarasch war die erste Rednerin bei einem kleinen Parteitag in Friedrichshain, bei dem die Grünen eigentlich nach dem Ende der Sondierungen über mögliche Koalitionsoptionen abstimmen wollten. Das überraschende Angebot der SPD zu einer schwarz-roten Koalition und seine ebenso schnelle Annahme durch den nun designierten künftigen Regierungschef Kai Wegner aber änderten die Tagesordnung grundsätzlich.
Eine Kandidatin, die einen Umfragevorsprung nicht nutzt, einen suboptimalen Wahlkampf hinlegt und so das Ziel verpasst, erste grüne Regierungschefin nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland zu werden, das hatte der grüne Landesverband schon mal. 2011 ging die vormalige Bundesministerin und Bundestagsfraktionschefin Renate Künast als Spitzenkandidatin mit großem Vorsprung in den Wahlkampf, doch die Grünen landeten nachher nur auf Platz 3 hinter SPD und CDU. Kurz danach platzte auch noch eine immerhin sicher geglaubte rot-grüne Koalition gleich beim ersten Gespräch mit der SPD darüber.
Eine ähnliche Konstellation also, aber der Umgang der Grünen damit war damals ganz anders: Bei einem zur Aufarbeitung angesetzten Parteitag gab es nicht Beifall für die Spitzenkandidatin, sondern heftige Kritik an ihr. Offene Flügelkämpfe dominierten über Wochen und Monate die Partei, sogar Künasts Karriere im Bundestag schien beendet. „Der große Graben“ überschrieb die taz in Anlehnung an einen Asterix-Titel einen Text vom Parteitag.
Der Dienstagabend bot ein ganz anderes Bild. Schon am Nachmittag hatte die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus mitgeteilt, dass Silke Gebel, dort bislang Co-Chefin mit Werner Graf, nicht erneut kandidiert und damit Platz macht, um Jarasch, die Noch-Verkehrssenatorin, in einer Führungsrolle zu halten. Sie habe entschieden, „für Bettina einen Schritt zur Seite zu machen“, sagte Gebel am Abend vor knapp 100 Teilnehmern am Parteitag.
Jarasch selbst mühte sich dort als erste Rednerin, einen nur negativen Blick auf den Wahlausgang zu vermeiden. Die Grünen hätten ihr „historisch bestes“ Wahlergebnis gehalten, sagte sie vielmehr. Was nicht ganz stimmt, denn gegenüber der nun wiederholten Wahl vom September 2021 am 12. Februar schnitten die Grünen mit 18,4 Prozent einen halben Prozentpunkt schlechter ab.
Ein anderer Redner wies später darauf hin, dass sich die Grünen schon seit 2011 – als sie nach dem Künast-Wahlkampf bei 17,6 Prozent landeten – auf diesem Niveau bewegen würden, seither aber keine großen Fortschritte gemacht haben. Noch Ende November, zweieinhalb Monate vor der Abgeordnetenhauswahl, hatten die Grünen in einer Umfrage vor CDU und SPD gelegen. In der taz versprach Jarasch damals mit Blick auf die Wahlwiederholung: „Ich werde diese zweite Chance nutzen.“
Kritik an Jarasch aber blieb anders als 2011 nach der Künast-Niederlage aus. Applaus und teilweise Juchzen begleitete ihre Rede. In Richtung einer Analayse, für die sich die Partei Zeit lassen will, sagte sie, man müsse die Menschen mehr mit ihren Lebensbedürfnissen ansprechen. Die außerhalb der Partei stark kritisierte erneute Sperrung der Friedrichstraße kurz vor der Wahl auf Jaraschs Betreiben hin spielte beim Parteitag keine Rolle. Nach Einschätzung vieler Beobachter hat diese Entscheidung die Grünen außerhalb ihres Kernklientels Stimmen gekostet.
Die Ex-Spitzenkandidatin und grüne Verhandlungsführerin bei den Sondierungen wehrte sich gegen Aussagen von SPD-Chefin Franziska Giffey über den Verlauf dieser Gespräche. Anders als von der Sozialdemokratin dargestellt, war eine fortgesetzte rot-grün-rote Koalition laut Jarasch auf dem Weg, alle wesentlichen Punkte seien besprochen worden. „Alles, was die Giffey-SPD erzählt hat, um Schwarz-Rot zu rechtfertigen, ist Unsinn“, sagte Jarasch. Die künftige Koalition stehe „unter keinem guten Stern“.
Mit Blick auf die nächste Berlin-Wahl 2026 regte Jarasch an: „Wir werden uns Machtoptionen jenseits dieser SPD (gemeint ist die weiter von Franziska Giffey geführte, d. taz) erarbeiten müssen – daran führt kein Weg vorbei.“ Darunter versteht sie Gespräche mit liberalen Kräften in der CDU und progressiven in der SPD, aber auch noch mehr: „Wir sollten auch mit der FDP reden, auch die können wieder kommen.“ Die FDP war am 12. Februar an der 5-Prozent-Hürde gescheitert. Die Linkspartei erwähnte Jarasch nicht.
Katrin Schmidberger, führende Kraft des im grünen Landesverband dominierenden linken Parteilagers, ging das hörbar zu weit. „Offenheit zeigen, ja, aber nicht Postionen aufgeben“, sagte sie, als sie kurz nach Jarasch am Mikro stand. Von einer Äquidistanz, einem gleichen Abstand zu anderen demokratischen Parteien, bei den Grünen schon zu Künasts Zeiten umstritten, wollte sie nichts wissen. Wie mehrere andere Grüne beschrieb Schmidberger eine Phase von Schock, Tränen und Entäuschung seit der SPD-Offerte an die CDU vor acht Tage, noch während des letzten schwarz-grünen Sondierungsgesprächs. Den „blanken Horror vor Augen“ hätten viele, mit denen sie danach sprach.
Auch wenn sich die Partei am Dienstag auf Opposition einstellte und bereits auf die – wegen der fortlaufenden, 2021 begonnenen Wahlperiode – schon in dreieinhalb Jahren anstehende nächste Berlin-Wahl schaute: Fraktionschef Werner Graf, der künftig mit Jarasch statt mit Gebel die Doppelspitze bilden will, hatte noch eine Alternative vor Augen. „Ihr habt es noch in der Hand“, sagte er in Richtung der rund 20.000 Berliner SPD-Mitglieder, die über einen schwarz-roten Koalitionsvertrag abstimmen sollen, „sagt Nein zu Benzin und Beton, sagt Nein zu diesen schwarz-roten Koalitionsverhandlungen.“
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