Parteiprogramme zum Klima: 1,5 Grad? Kein Plan!
Keine Partei nimmt sich genug für den Klimaschutz vor. Trotzdem gibt es deutliche Unterschiede. Die Parteiprogramme im Überblick.
UNION
Ziel Klimaneutralität: 2045.
Zwischenschritte: 65 Prozent CO2-Reduktion gegenüber 1990 bis 2030, 88 Prozent bis 2040.
Der Weg
Die Konservativen wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben, Genaueres zum Tempo findet man im Wahlprogramm nicht. In einem zusätzlichen Energiewendepapier hat die Union das zumindest für Solaranlagen spezifiziert. Den Kohleausstieg will die Union beim Jahr 2038 belassen, außer der Markt vollzieht ihn vorher. Einen Gasausstieg plant sie bisher nicht.
Auch abseits der Energiewirtschaft will die Union vor allem auf technische Innovationen setzen: Autos sollen mit Strom, Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen betrieben werden. Generell will die Union Wasserstoff als Energieträger nutzen und fördern – selbst wenn er nicht erneuerbar, sondern auf Erdgasbasis produziert ist. Die Landwirtschaft soll durch Digitalisierung und neue Züchtungstechnologien klimafreundlicher werden. Insgesamt will die Union den Übergang ins postfossile Zeitalter durch die Bepreisung von CO2 vorantreiben, verrät aber noch nicht, wie hoch die Kosten steigen sollen. Zum anteiligen sozialen Ausgleich soll der Strompreis sinken. Die Konservativen wollen eine CO2-Bindeprämie für Wälder und Holzprodukte einführen sowie Technologien zur Speicherung von CO2 fördern.
Die Vergangenheit
Bisher hat die Union oft Schritte blockiert, die ihre jetzigen Vorhaben befördert hätten. Aus der jüngsten Vergangenheit: Als die Bundesregierung im Sommer ihr Klimaschutzgesetz reformierte, nachdem das Bundesverfassungsgericht es hatte durchfallen lassen, verhinderte die Union, dass im selben Atemzug auch die Ausbauziele für die erneuerbaren Energien angehoben werden. Auch eine Solardachpflicht für Neubauten scheiterte bei dieser Gelegenheit an den Konservativen.
Im Wahlkampf kritisierten Unions-Politiker:innen außerdem die Grünen-Konkurrenz dafür, dass diese höhere Benzinpreise ankündigte. Das steht im Widerspruch dazu, dass die Union selbst weiter mit CO2-Preisen arbeiten will, die Benzin, Diesel, Heizöl und -gas logischerweise verteuern werden.
Das Fazit
Die Vorschläge der Union bleiben relativ vage, an vielen Stellen fehlen konkrete Angaben. Die Partei will außerdem in ihren Zielen nicht über das bisherige Bundesklimaschutzgesetz hinausgehen.
SPD
Ziel Klimaneutralität: 2045.
Zwischenschritte: 65 Prozent CO2-Reduktion gegenüber 1990 bis 2030, 88 Prozent bis 2040.
Der Weg
Die SPD will den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen und verbindliche Ausbaupfade festlegen, die das Wahlprogramm aber noch nicht enthält. Zum Kohleausstieg heißt es lediglich, er sei „beschlossene Sache“. Das legt nahe, dass die SPD bei 2038 als Termin bleiben will, Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat mittlerweile aber schon gesagt, dass er durch Markteffekte von einem Aus für die Kohle im Jahr 2034 ausgeht. Zum Ende der Erzeugung von Strom und Wärme aus fossilem Gas macht die SPD keine Angabe, allerdings soll Strom im Jahr 2040 zu 100 Prozent erneuerbar sein.
In der Landwirtschaft will die Partei weg von der Subventionierung nach Ackergröße. Außerdem will sie zum Beispiel eine flächenbezogene Obergrenze für die Nutztierhaltung einführen. Beim Verkehrswesen setzt die SPD auf den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, an den bis 2030 jede:r Bürger:in „wohnortnah“ angeschlossen sein soll, sowie auf die Förderung von E-Autos. Auf Autobahnen soll ein Tempolimit gelten. Auch die SPD will mit einem ansteigenden CO2-Preis arbeiten, aber den Strompreis senken, um soziale Härten abzumildern.
Die Vergangenheit
Beim Kohleausstieg hat die SPD lange eher gebremst – die Sorge um Industriearbeitsplätze treibt die Sozialdemokrat:innen um. In der nun auslaufenden Legislaturperiode hat die SPD allerdings das Klimaschutzgesetz vorangetrieben. Wenn man weiter zurück in die Vergangenheit blickt, hat die SPD in der Regierung mit den Grünen das Erneuerbare-Energien-Gesetz eingeführt. Aber: Obwohl sie laut Wahlprogramm auf steigende CO2-Preise setzen wollen, haben sich etliche führende SPDler:innen und andere Parteipolitiker:innen im Wahlkampf vehement gegen höhere Benzinpreise ausgesprochen.
Das Fazit
Das Wahlprogramm der SPD sieht keine Anhebung der bisher gültigen Klimaziele vor. Auch die SPD bleibt bei den Maßnahmen, mit denen sie ihre Ziele erreichen will, an etlichen Stellen unkonkret, auch wenn sie speziell zur Verkehrswende mehr Details nennt als etwa die Union.
DIE LINKE
Ziel Klimaneutralität: 2035.
Zwischenschritte: 80 Prozent CO2-Reduktion gegenüber 1990 bis 2030.
Der Weg
Die Linke will (Klima-)Politik strukturell anders machen als bisher. Sie lehnt zum Beispiel als einzige Partei CO2-Preise als Mittel ab, da sie Menschen mit niedrigen Einkommen stärker treffen. Strom- und Wärmenetz will sie in die öffentliche Hand überführen. Bis 2035 soll die gesamte Energieversorgung auf Erneuerbaren basieren, für Solar- und Windkraft nennt die Linke konkrete Ausbauquoten. Den Kohleausstieg will die Partei auf 2030 vorziehen, außerdem will sie auch einen Gasausstieg gesetzlich regeln.
Die Linke will in eher kleinem Umfang auf den energieintensiv herzustellenden Wasserstoff setzen, etwa in der Stahlproduktion, sofern das auf Basis von Ökostrom passiert. Sie will alle Gebäude bis 2025 einem Klimacheck unterziehen, um sie bis 2035 stufenweise klimaneutral zu machen. Flüge will sie auf Strecken verbieten, die kürzer als 500 Kilometer sind oder in fünf Stunden mit dem Zug gefahren werden können. Für Straßen wünscht die Linke sich Tempolimits. Autos will sie reduzieren, Neuwagen mit Verbrennungsmotor sollen ab 2030 nicht mehr zugelassen werden.
Die Vergangenheit
Auf Bundesebene war die Linke noch nie an einer Regierung beteiligt. Die Partei hat starke Verbindungen in die Klimagerechtigkeitsbewegung, aber traditionell auch einen gewerkschaftsnahen Flügel, der vor Arbeitsplatzverlusten und zu hohen Energiepreisen durch Klimaschutz warnt.
Das Fazit
Die Linke hat unter den fünf demokratischen Bundestagsparteien die ambitioniertesten Klimaziele. Zudem hat die Partei etwa beim Ausbau der erneuerbaren Energien klare Vorstellungen; in anderen Bereichen ist sie weniger konkret. Was beispielsweise mit einem 2029 zugelassen Benziner nur sechs Jahre später im Jahr der Klimaneutralität passiert, ist nicht klar. Auch halten viele Energieökonom:innen steigende CO2-Preise für nötig.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ziel Klimaneutralität: 2041.
Zwischenschritte: 70 Prozent CO2-Reduktion gegenüber 1990 bis 2030.
Der Weg
Die Grünen wollen den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen und das Energiesystem bis 2035 komplett auf Erneuerbare umstellen. Für Windräder und Solaranlagen stehen schon im Wahlprogramm Zahlen eines jährlichen Ausbaus. Auch einen CO2-Preis wollen die Grünen weiternutzen, gegenüber den bisherigen Plänen soll er auch etwas schneller steigen.
Die Einnahmen wollen die Grünen gleichmäßig pro Kopf an die Bürger:innen zurückgeben. Sie wollen den energieintensiven Wasserstoff nutzen, wo es etwa in der Industrie nicht anders geht, aber nur aus erneuerbarer Produktion. Autos sollen weniger werden, mit Verbrennungsmotor wollen die Grünen sie nur noch bis 2030 neu zulassen. E-Autos wollen sie fördern. Flüge verbieten wollen sie nicht, stattdessen aber das Zugfahren einfacher machen.
Die Vergangenheit
Die Grünen haben ein klares klima- und energiepolitisches Profil, haben auf Bundesebene beispielsweise das Erneuerbare-Energien-Gesetz und den Atomausstieg in Gang gesetzt.
Das Fazit
Die Grünen wollen die Ziele des gültigen Klimaschutzgesetzes erhöhen. Sie nennen in eigentlich allen Bereichen der Wirtschaft konkrete Schritte. Sie sind die Einzigen, die von sich aus angeben, von welchem CO2-Budget sie ausgehen – also welche Menge an Kohlendioxid Deutschland ihrer Meinung nach noch ausstoßen darf.
FDP
Ziel Klimaneutralität: 2050.
Der Weg
Die Klimapolitik der FDP hat zwei Standbeine: technologische Entwicklung und CO2-Preise. Bei den Technologien geht es neben erneuerbaren Kraftwerken, Stromspeichern und Wasserstoff – der für die FDP nicht unbedingt mit Ökostrom hergestellt werden muss – um Geo-Engeneering und die Speicherung von CO2. Beim CO2-Preis will die FDP die Zweigleisigkeit aus nationalem und europäischem Emissionshandel beenden. Perspektivisch soll es weltweit einen einheitlichen CO2-Preis in allen Wirtschaftsbereichen geben. Auch die FDP will die Strompreise senken, um Menschen und Unternehmen die CO2-Preise teils zu erstatten.
Die Vergangenheit
Auch wenn Hans-Dietrich Genscher in den Siebzigern das Umweltbundesamt initiiert hat – Klimapolitik gehörte bisher nicht zu den Steckenpferden der FDP. Während ihrer letzten Regierungsbeteiligung bis 2013 blockierte die Partei, wo sie konnte, auch bei ihren heutigen Lieblingsthemen: der Einführung von E-Autos, einer Reparatur des europäischen Emissionshandels, der Energieeffizienz-Richtlinie der EU und der Förderung von Solaranlagen.
Sie förderte zudem die vielen Ausnahmen für die Industrie bei der EEG-Umlage, was die Energiewende für die sonstigen Stromkund:innen teurer machte. In diesem Wahlkampf sprach auch sie sich gegen hohe Benzinpreise aus. Bei der FDP ist der Widerspruch zum Wahlprogramm besonders groß, da sie fast nur mit CO2-Preisen arbeiten will.
Das Fazit
Die FDP hat die niedrigsten Klimaziele von allen fünf Parteien und will Deutschland erst 2050 mit dem EU-Durchschnitt klimaneutral werden lassen. Außerdem ist durch den Fokus auf den CO2-Preis mit den meisten sozialen Verwerfungen zu rechnen. Denn so müsste die Nutzung fossiler Energie mangels anderer Steuerungsmechanismen exorbitant teuer werden – wenn die Ziele denn auch wirklich eingehalten werden sollen. Geo-Engineering und Technologien zur Speicherung von CO2 gelten zudem als riskant und unerprobt. Ob sie überhaupt sicher im großen Stil eingesetzt werden können, ist noch unklar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste