Parlamentswahl in Tunesien: Schleichender Weg ins Autoritäre
Präsident Kais Saied wollte Tunesien aus der Krise führen. Die jüngste Wahl zeigt: Sein Kurs ist gescheitert, das Vertrauen ist weg.
W as für ein Fiasko. Tunesiens Parlamentswahl vom Wochenende sollte der Höhepunkt der waghalsigen Roadmap sein, mit der Präsident Kais Saied angetreten ist, das Land aus der Krise zu führen. Einwände gegen seine autokratisch anmutenden Maßnahmen der vergangenen Jahre wischte er stets mit Verweis auf die Wahl weg. Nun hat sie stattgefunden – und die Bilanz erschreckt: Nicht einmal neun Prozent der Wahlberechtigten stimmten ab.
Der Weg des Landes seit der Revolution 2011, als die Tunesier*innen Langzeitdiktator Ben Ali stürzten, raubt einem dem Atem: Sturz des Regimes, neue Verfassung, Demokratie, Wahlen, gleichzeitig aber Korruption, eine darbende Wirtschaft und ein von korrupten Parteien blockiertes Parlament. 2019 dann präsentiert sich der populäre Juraprofessor Saied als Retter, wird Präsident, löst das Parlament auf, setzt die Regierung ab. Er entwirft noch eine Verfassung und erlässt per Dekret ein neues Wahlgesetz – doch niemand wählt. Nun ist klar: Saieds Projekt ist gescheitert. Von Anfang an war es ein Risiko, auf die Person Saied zu setzen. Es mag sein, dass der 64-Jährige, der als integer gilt, gute Absichten hat und das Land wirklich aus den Fängen korrupter Parteifunktionäre befreien will.
Doch ein funktionales politisches System entsteht nicht im Kopf eines gutmeinenden Juristen. Die Macht, die sich Saied verliehen hat, indem er das Parlament entmachtete, wird bleiben – auch in den Händen seiner Nachfolger. Die Wahl zeigt zudem, dass Saied nun auch bereits das große Vertrauen in seine Person verspielt hat. An einen Erfolg seiner Roadmap glauben offenbar nicht mehr viele.
Ägypten beendete nach der Revolution 2011 mit einem großen Wumms das demokratische Intermezzo, als Abdel Fattah al-Sisi 2013 in einem klassischen Militärputsch die Macht im Land übernahm. In Tunesien kommt der Autoritarismus dagegen schleichend daher. Nun bleibt abzuwarten, was geschieht, wenn sich der Unmut über die Wirtschaftskrise nicht mehr auf korrupte Parteien schieben lässt, sondern sich gegen den neuen starken Mann im Land richtet.
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