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Parlamentswahl in Israel Für oder gegen Netanjahu

Am 1. November wählt Israel ein neues Parlament. Bislang verläuft der Wahlkampf ziemlich inhaltsleer, Friedensverhandlungen sind gar kein Thema.

Ein Anhänger hält ein Plakat von Benjamin Netanjahu bei einer Wahlkampfveranstaltung in die Höhe Foto: Ariel Schalit/ap

TEL AVIV taz | Am kommenden Dienstag ziehen die Israelis wieder an die Wahlurnen – zum fünften Mal innerhalb von dreieinhalb Jahren. Und wie in den vergangenen Wahlen geht es vorrangig um eine Frage: für oder gegen Benjamin, „Bibi“ Netanjahu?

Bereits Ende Juni war das extrem breite Regierungsbündnis zerbrochen. An ihm waren rechte Parteien, die den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten besonders vorantreiben wollen, genauso beteiligt wie linke Parteien und – zum ersten Mal in der Geschichte Israels – auch eine arabische Partei, die islamisch-konservative Partei Ra’am. Das Bündnis hatte sich ein Jahr zuvor aus einem gemeinsamen Interesse gebildet: eine Regierung unter Netanjahu zu verhindern.

Waren die inhaltlichen Differenzen der Koalition groß, wurde sie trotz aller Herausforderungen von vielen als ein Regierungsbündnis gesehen, das nach den Netanjahu-Jahren für die Bürgerinnen Israels handelte und einen versöhnlichen und einigenden Ton anschlug.

Die aktuellen Wahlumfragen führt nun Benjamin Netanjahu mit seinem rechten Likud und seinem rechtsreligiösen Bündnis an – allerdings fehlt ihm nach den Umfragen jeweils ein Sitz für die Mehrheit. Ihm gegenüber steht ein ideologisch stark divergierendes Bündnis, das allein durch ein Ziel zusammengehalten wird: Netanjahu nicht an die Macht zurückkommen zu lassen.

Unterstützung der Rechtsaußen-Liste Religiöser Zionismus

Ohnehin ist der Wahlkampf wenig von Inhalten geprägt. Friedensverhandlungen aber stellen eine absolute Leerstelle dar. Von Netanjahu, der mit seinem Gerichtsprozess in drei großen Korrup­tionsfällen mit dem Rücken zur Wand steht, wird im Fall eines Wahlsiegs erwartet, die Aushöhlung der Justiz verstärkt voranzutreiben, um einer Haftstrafe zu entgehen. Über die palästinensische Frage spricht er nur indirekt, etwa indem er verspricht, sich der Sicherheit des israelischen Staates zu verschreiben und den Nationalstolz zu stärken.

Mit diesen Zielen kann Netanjahu auf Unterstützung der Rechtsaußen-Liste Religiöser Zionismus zählen, die derzeit als drittstärkste Partei in den Umfragen rangiert. Einer der Köpfe der Liste, Itamar Ben Gvir, verspricht, ein Emigrationsministerium einzurichten, um diejenigen auszubürgern, die sich „unloyal“ dem Staat gegenüber verhalten. Damit meint er in erster Linie palästinensische Israelis, die mit Terrorismus in Verbindung gebracht werden. In ihrem Wahlprogramm ist von einer Besiedlung aller Hügel in den besetzten palästinensischen Gebieten die Rede, von einer Verdrängung der Palästinensischen Autonomiebehörde und von der Einschränkung der Unabhängigkeit der Gerichte. Ebenfalls Teil des Netanjahu-Blocks sind die beiden ul­traorthodoxen Listen, Shas und United Torah Judaism, die sich fast ausschließlich der Stärkung religiöser Strukturen in Israel widmen.

Anti-Netanjahu-Block: keine Koalition mit Netanjahu

Im Anti-Netanjahu-Block, in dem alle eine Regierungskoalition mit Netanjahu ausschließen, gehen die Positionen in Sachen Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen weit auseinander. Den Anti-Netanjahu-Block führt der jetzige Ministerpräsident Yair Lapid mit seiner zentristischen Zukunftspartei an, die als zweitstärkste Partei aus dem Rennen gehen könnte. Lapid hatte im September vor der UN-Vollversammlung einen Akzent gesetzt und sich für einen palästinensischen Staat ausgesprochen. Die meisten Israelis, denen eine Einigung mit den Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen am Herzen liegt, halten dies angesichts seiner einschränkenden Bedingungen jedoch für ein Lippenbekenntnis, zumal von Friedensverhandlungen im Falle eines Wahlsieges keine Rede ist. Unter seiner Ministerpräsidentschaft führt das israelische Militär seit einigen Monaten verstärkt Razzien im Westjordanland durch – mit dem erklärten Ziel, den „Terror einzudämmen“. Dabei sind seit Anfang des Jahres über 100 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen getötet worden. Die Integration der arabischen Bür­ge­r*in­nen in Israel in den Arbeitsmarkt will die Zukunftspartei stärken.

Auch Avigdor Lieberman, der Anführer der rechten Partei Israel Unser Haus, der jahrelang mit antiarabischer Propaganda aufgefallen ist, spricht sich für einen palästinensischen Staat aus, um Kontakt zwischen jüdischen Israelis und Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen zu minimieren. In seinen Vorstellungen sollten auch die mehrheitlich arabischen Städte Israels zu einem palästinensischen Staat zählen, deren Be­woh­ne­r*in­nen die israelische Staatsbürgerschaft verlieren würden.

Das Mitte-rechts-Parteienbündnis mit Benny Gantz und Gideon Sa’ar schweigt in Sachen Siedlungsbau. Be­für­wor­te­r*in­nen einer verstärkten Besiedlung der palästinensischen Gebiete sitzen hier gemeinsam mit anderen, die eine Trennung von den Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen befürworten, um einen binationalen Staat zu verhindern.

Die linke Partei Meretz hat mit ihrer neuen Vorsitzenden Zehava Golan etwas Aufwind in die Debatte um einen palästinensischen Staat gebracht und verspricht außerdem, sich für Religionsfreiheit und die Rechte von Minderheiten innerhalb von Israel einzusetzen. Auch die Mitte-links-Partei Avoda steht – mit weniger Verve – nach wie vor hinter einer Zweistaatenlösung. Allerdings kämpfen beide Parteien derzeit um existenzielle Stimmen, um den Sprung ins Parlament zu schaffen.

Außerhalb der zwei Blöcke Netanjahu versus Lapid stehen die mehrheitlich arabischen Parteien. Die beiden Parteien Chadasch und Ta’al, die bei diesen Wahlen gemeinsam antreten, haben sich in der Vergangenheit immer wieder für eine Zweistaatenlösung auf der Basis der Grenzen vor dem Sechstagekrieg 1967 ausgesprochen und als Einzige die Forderung nach dem Recht auf Rückkehr für vertriebene Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen geäußert. Ihnen ist außerdem daran gelegen, Israel von einem „jüdischen Staat“ in einen „Staat für alle Bürger*innen“ zu transformieren. Die konservativ islamische Partei Raam konzentriert sich in erster Linie auf die innerisraelische palästinensische Gesellschaft und deren Rechte.

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