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Parlament in GriechenlandDie Volksbefragung kommt

Die Gespräche mit der Eurogruppe sind am Ende, das Parlament in Athen stimmte dennoch für ein Referendum über das Sparprogramm. Die EZB tagt heute.

Applaus für den Regierungschef – und dann auch die nötigen Stimmen für das Referendum. Foto: ap

Brüssel/Athen dpa/afp | Griechenland hält nach den gescheiterten Verhandlungen über weitere Finanzhilfen an seinem Kurs fest. Obwohl die Euro-Finanzminister am Samstag eine Verlängerung des Hilfsprogramms für Athen über den 30. Juni hinaus ablehnten, beschloss das Parlament in Athen in der Nacht zum Sonntag für den 5. Juli ein Referendum über das von den Geldgebern vorgelegte Spar- und Reformpaket. „Ich werde mir nicht von Herrn (Wolfgang) Schäuble die Erlaubnis für eine Volksabstimmung einholen“, sagte Regierungschef Alexis Tsipras zu Bedenken über den Sinn des Referendums. „Die Würde eines Volkes ist kein Spiel.“

Mit 178 Ja- und 120 Nein-Stimmen votierten die Abgeordneten in Athen für die Volksabstimmung über die von den internationalen Gläubigern ursprünglich vorgelegten Spar- und Reformmaßnahmen. Eine erste Zählung von 179 Ja-Stimmen wurde nachträglich korrigiert. Die Rechts-Links-Koalition hat im Parlament 162 der insgesamt 300 Sitze. „Das Referendum wird stattfinden, ob die Partner es wollen oder nicht“, sagte Tsipras im Parlament. Zugleich betonte er, niemand könne Griechenland aus dem Euro drängen.

Bei dem für kommenden Sonntag geplanten Referendum sollten die Griechen ein „großes Nein zum Ultimatum“ der Gläubiger sagen, forderte Tsipras im Parlament. Zugleich sollten sie „ein großes Ja zu Europa und zur Solidarität“ aussprechen. Der Regierungschef zeigte sich überzeugt, dass durch ein „stolzes Nein“ die Verhandlungsposition Griechenlands gegenüber den Gläubigern gestärkt werden würde.

Der Ausgang des Referendums scheint ungewiss. In zwei noch vor der Referendums-Ankündigung abgehaltenen Umfragen sprach sich die Mehrheit der Griechen für eine Einigung mit den Gläubigern aus. So votierten auf die Frage „Wie würden sie abstimmen, wenn es zu einem Referendum kommt?“ 47,2 für ein Abkommen und 33 Prozent dagegen. Fast 20 Prozent zeigten sich in der Umfrage für die Wochenzeitung „Vima“ unentschlossen.

„Zickzackkurs macht einen fassungslos“

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier übte in einem Gespräch mit der Welt am Sonntag harsche Kritik an der griechischen Regierung. „Ich verstehe nicht, wie eine gewählte griechische Regierung seinem Volk empfiehlt, den europäischen Vorschlag abzulehnen und die Menschen in Griechenland damit in Geiselhaft nimmt, um Europa weitere Konzessionen abzutrotzen“, sagte er. „Der Zickzackkurs der griechischen Regierung in den letzten Stunden und Tagen macht einen doch fassungslos.“

Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem sagte nach einem Krisentreffen am Samstag: „Angesichts der Situation müssen wir mit Bedauern zu dem Schluss kommen, dass das Programm Dienstagnacht ausläuft.“ Damit würden bereitstehende Hilfen der Europäer und des Internationalen Währungsfonds (IWF) für Athen von insgesamt gut 18 Milliarden Euro verfallen. Ende Juni muss Athen IWF-Kredite zurückzahlen. Über Konsequenzen berieten die anderen 18 Euro-Finanzminister anschließend ohne den griechischen Ressortchef Gianis Varoufakis.

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) kommt am Sonntag zu einer Krisensitzung zu Griechenland zusammen. Ohne weitere Finanzhilfen droht dem griechischen Bankensystem der Kollaps, da die Bankkunden aus Sorge vor dem Bankrott des Landes seit Tagen massiv Geld von ihren Konten abheben. Die EZB hatte in den vergangenen Wochen immer wieder die Nothilfe für die griechischen Banken erhöht, um einen Engpass zu vermeiden. Die EZB muss entscheiden, ob sie griechische Banken weiter stützt. Dreht sie den Geldhahn endgültig zu, spitzt sich die Lage nochmals zu.

Nach Einschätzung der Eurogruppe zwingt das Ende des Programms die Athener Regierung zu Notmaßnahmen. Dijsselbloem zufolge soll es technische Hilfe von den Geldgeber-Institutionen geben, um die Stabilität des griechischen Finanzsystems zu sichern.

Einlagen werden abgezogen

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bekräftigte wie seine Kollegen, dass Griechenland Mitglied der Euro-Zone und Teil der EU bleibe. Allerdings steuere Griechenland nun auf akute Schwierigkeiten zu. Es werde schwierig für Athen, Verpflichtungen zu erfüllen. Schon am Samstag seien bei griechischen Banken Einlagen in außergewöhnlich hohem Niveau abgezogen worden. „Die Enttäuschung ist schon sehr groß. Das ist kein guter Tag“, sagte Schäuble weiter.

Die Euro-Länder waren von der Ankündigung des Referendums von Tsipras in der Nacht zum Samstag, kurz vor der Krisensitzung der Euro-Finanzminister, überrascht worden.

Griechenland braucht dringend frische Milliarden. Am Dienstag muss das Land 1,54 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zahlen. Eine Zahlungsunfähigkeit schon unmittelbar am 1. Juli bei endgültig gescheiterten Verhandlungen gilt aber als ausgeschlossen. Seit 2010 gab es bereits zwei Rettungsprogramme für Athen mit einem Umfang von insgesamt rund 240 Milliarden Euro.

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9 Kommentare

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  • Das „Volk“ und seine ihm zugehörige „Leitung“ haben keinen „Mangel an Verstand“. Ihr Verstehen wird beherrscht von einer Ideologie. Es ist die Ideologie der „Leitung“, die mit dem Interesse derjenigen begründet ist, welche direkt oder indirekt mit „Leitung“ beauftragt haben. Die Interessen der zum „Volk“ Gehörenden sind ungleich bis entgegengesetzt. Ungleich bis entgegengesetzt sind die Interessen von „Volk“ und seine ihm zugehörige „Leitung“.

    Die das Verstehen beherrschende Ideologie bringt das Interesse an der profitablen Verwertung von (viel) Geld zum Ausdruck. Diesem Interesse steht das Interesse von „Volk“, seine ihm zugehörige „Leitung“ müsse für „Volk“ ausreichend Geld haben (bekommen), nur scheinbar entgegen.

    Das beherrschte Verstehen widerspricht der Erkenntnis, dass ein „Volk“ eine ihm zugehörige „Leitung“ nur mit seiner „Volkswirtschaft“ begründen kann. Griechenland kann das nicht, ganz gleich mit welcher Währung. Dessen Staat („Leitung“) kann nur mit weiterer „Verschuldung“ aufrecht erhalten werden. Der Staat („Leitung“) ist dann nicht ein dem griechischen Volk, sondern dem Geldgebenden zugehöriger. Denn die „Volkswirtschaft“ Griechenland kann ein ihm zu gehörigen Staat nicht begründen.

  • Hallo, liebe taz,

    danke für den Artikel. So wichtig die Agenturmeldungen auch sind, die Schäuble-Zitate sind mittlerweile echt langweilig.

    Ich würde mir wünschen mehr zu Alternativplänen zu lesen. Etwa zum Programm der Syriza-Regierung oder auch Einschätzungen von Wissenschaftlern und Denkern, die sich nicht nur in der Tageslogik wiederholen.

    Vielleicht wäre es auch die Mühe wert, zu versuchen von der Linkspartei etwas substanziellere Aussagen zu erhalten als die, dass eine einwöchige Verlängerung des sog. Hilfsprogramms drin sein müsse.

    Und was sagen eigentlich Blockupy-Aktivisten? Bei der Gelegenheit könnte man außerdem mal nachspüren, was aus attac geworden ist usw.

    Insgesamt fände ich es einfach spannend mehr über alternative Meinungen, Analysen und Vorschläge zu lesen.

    Auch wenn die taz zur aktuellen Sparpolitik gegenüber Griechenland kritischer eingestellt ist als andere Medien, fände ich es angebracht für eine linke Tageszeitung, die für Gegenöffentlichkeit eintreten will, wenn mehr Analyse und Diskussion des gegenwärtigen Wirtschaftssystem zu lesen wäre, zumal die dominierende Suggestion von Alternativlosigkeit und “hochtechnischen Verhandlungen” ja gerade davon abhält kreativ und engagiert über Solidarität und Demokratie in Europa nachzudenken.

  • die Frage, sie sich stellt, wissen die in Athen noch was sie tun oder haben sie in ihren eigenen Vorstellungen noch den Überblick ??

  • Da ist sie also wieder: die Metapher "Geiselhaft" !

    In allen deutschen Kellern scheinen zur Zeit Menschen geknebelt, gefesselt und angekettet ein klägliches Dasein fristen zu müssen - zumindest wenn man der landläufigen Berichterstattung über die Streiks im Dienstleistungsgewerbe Glauben schenkt. Geiselnahme: Ein Gewaltverbrechen macht in epidemischem Ausmaß Furore - Und die Polizei tut nix, gell !

     

    Und jetzt auch noch der "Sozialdemokrat" F.W. Steinmeier der gleich das ganze griechische Volk in "Geiselhaft" mutmaßt, weil dessen frei gewählte Regierung ihm zumutet sich per demokratischen Plebiszit selbst zu entscheiden...

     

    Beinhaltet nun die Ausübung demokratischer Grundrechte schon eine Gefährdung von Leib und Leben ?

    Oder, kann es sein, dass da einigen Leuten der Bezug zu Realität und demokratischen Grundwerten (Das Volk als Souverän) verloren gegangen ist?

    Sollte man nicht tatsächlich die Polizei zu Hilfe rufen ? - Und gegen wen sollte sie nun eigentlich einschreiten ?

  • Na klar sollte das Volk über seine Zukunft entscheiden. Aber ich kann privat auch kein "Cherrypicking" betreiben und zur Bank gehen und sagen, dass mich meine Schulden nicht mehr interessieren, nur weil der Familien Rat das so entschieden hat.

  • Wer sonst, als das Volk, kann in einer Demokratie über seine Zukunft entscheiden?

    Kant 1784 definiert:

    AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

     

    Dazu haben die Griechen ein Recht: Artikel 11 der Erklärung der Menschenrechte "Die freie Äußerung von Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte: Jeder Bürger kann also frei reden, schreiben und drucken, vorbehaltlich seiner Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen."

    Das will das "Demokratische Europa", der real existierende Kapitalismus, einschränken?

    Jede Troika hat einen Lenker, das Volk! Ich befürchte, dies wird sich herumsprechen.

    • @Peter Meisel:

      Alles richtig, aber es trifft nicht den Kern: Natürlich darf ein Volk demokratisch über s e i n e Angelegenheiten entscheiden. Aber nicht über die Angelegenheit a n d e r e r Völker oder deren Geld.

       

      Griechenland braucht Investitionen - private (Sic!). Investitionen durch den griechischen Beamtenapparat wären kontraproduktiv.

       

      Für private Investitionen braucht es Stabilität und wirtschaftsfreundliche Politik. Beider leider nicht in Sicht und populistisch schwer vermittelbar.

    • @Peter Meisel:

      Man kann nur hoffen, dass es sich herumspricht... Ich höre schon die Vertreter der "drei Institutionen", wie sie Tsipras und Varoufakis Unverantwortlichkeit vorwerfen und die Schuld am "Grexit" den Griechen und ihrer Regierung in die Schuhe schieben - denn die haben ihre Hausaufgaben ja nicht gemacht... Ein unwürdiges Schauspiel für die europäische Demokratie - und leider nicht das einzige in diesen Tagen!

       

      Es sollte schon einmal ein Referendum über die Sparpolitik geben - das kam nicht verstanden. Ministerpräsident Papandreou musste damals zurücktreten und den Weg für eine Technokraten-Regierung freimachen - unter anderem auf Druck aus Berlin. Die nächsten Tage werden also spannend.

       

      Man kann also nur hoffen, lieber Peter Meisel, dass es sich herumspricht in Europa - es geht um Demokratie vs. Finanzkapital. Ich bin gespannt wer gewinnt...

  • mittlerweile haben die Griechen, nur die Normalbürger c 8-000.000.000€ abgehoben was verständlich ist, 100.000.000.000 wurden von den Reichen,s ag ich mal, ins Ausland geschafft,