piwik no script img

Palästina und IsraelDeutscher Nährboden

Kommentar von Ulrike Klausmann

Schon vor der Shoah haben die Deutschen die ideologische Grundlage für den Nahostkonflikt geschaffen. Eine Antwort auf Charlotte Wiedemann.

Treffen von Amin al-Husseini mit Adolf Hitler. Er arbeitete seit 1937 mit dem NS-Regime zusammen Foto: Imago

I n ihrem Debattenbeitrag „Schuld und Nakba“ (taz vom 13. Juli) fordert taz-Autorin Charlotte Wiedemann, „im Land der Shoah über den is­rae­lisch-palästinensischen Konflikt mit Bedacht und Achtsamkeit zu sprechen“. Doch diese habe ich in ihrem Text vermisst. Wiede­mann beklagt einen Mangel an Empathie für das Leid, das die israelische Politik den PalästinenserInnen angetan hat und antut.

Gibt es diesen Mangel in der deutschen Öffentlichkeit? Erhebungen der interdisziplinären Antisemitismusforschung belegen das Gegenteil: Sowohl im Internet als auch in unseren Qualitätsmedien geht die Berichterstattung zum Nahostkonflikt überwiegend auf die palästinensische Perspektive ein.

Mein Eindruck ist, dass sich allmählich zumindest die Qualitätsmedien um eine ausgewogenere Berichterstattung bemühen. Deshalb von einem „Bannkreis“ zu sprechen „um alles, worin der Begriff ‚Palästina‘ vorkommt“, erscheint übertrieben. Mit Recht verlangt Wiedemann im Zusammenhang mit diesem Thema „Genauigkeit, historische Redlichkeit und selbstkritische Betrachtung des Eigenen“. Doch wo ist die Genauigkeit, wo ist die historische Redlichkeit, wenn sie schreibt: „Beginnen wir mit dem Jahr 1948. Für Israel die siegreiche Gründung des neuen Staates, für Palästinenser der traumatische Verlust von Heimat, Kultur Existenz.“

Eine solche Verkürzung erweckt den Eindruck: Kaum war der israelische Staat gegründet, vertrieben die Juden die Araber aus ihren Dörfern. Dabei gab es schon vor der Staatsgründung Israels im britischen Mandatsgebiet Palästina Konflikte zwischen Arabern und Juden. Sie verschärften sich, als immer mehr Jüdinnen und Juden einwanderten, um den Pogromen in Osteuropa und dem wachsenden Antisemitismus in ganz Europa zu entkommen. Es gab auch Angriffe und Massaker von arabischer Seite.

Immer wieder begegnet mir im privaten, aber leider auch im beruflichen Umfeld die Erzählung: Den Konflikt zwischen Arabern und Juden im Nahen Osten gibt es erst seit der Staatsgründung Israels. Doch wenn man den Blick auf die arabischen Nachbarländer erweitert, fällt auf, dass es dort schon in den 1930er und den frühen 1940er Jahren Hass, Hetze und Pogrome gegen Jüdinnen und Juden gab.

Beim Farhud, einem blutigen Pogrom in Bagdad im Jahr 1941, ermordeten arabische Nationalisten über hundert Juden; es gab Hunderte Verletzte. 1947 starben über 70 Juden in Aleppo, auch im Libanon und anderen arabischen Ländern kam es zu Verfolgungen und Übergriffen. Zu den Ursachen gehörte der wachsende arabische Nationalismus, aber auch die judenfeindliche Propaganda der Nationalsozialisten.

Der Großmufti von Jerusalem konnte über deutsche Sender seine antijüdischen Ansprachen verbreiten

Diese hatten einen Radiosender eigens für ihre Propaganda im Nahen Osten eingerichtet. Von 1939 bis 1945 sendete Deutschlandsender Zeesen über Kurzwelle jeden Abend bis nach Indien auf Arabisch, Persisch und Türkisch. Lesungen aus dem Koran und antijüdische Hetze wurden mit arabischer Musik aufgelockert; die Sendungen erfreuten sich großer Beliebtheit.

Die rund 80-köpfige Orientredaktion verbreitete antijüdische Stellen aus dem Koran und lud sie mit Stereotypen und Verschwörungsmythen des europäischen Antisemitismus auf. Im persischen Programm wurde Hitler zum 12. Imam hochstilisiert; der Sender rief zum Dschihad gegen die Juden auf.

Auch der Großmufti von Jerusalem konnte über deutsche Radiosender seine antijüdischen Ansprachen verbreiten. Amin al-Husseini arbeitete seit 1937 mit dem NS-Regime zusammen. Die sechsjährige Hetze der Nationalsozialisten über den Kurzwellensender mit ihrem Export antisemitischer Verschwörungsmythen in den Nahen Osten leistete ihren Beitrag zum Judenhass in den arabischen Ländern, der bis heute nachwirkt.

Vertreibung von Juden aus arabischen Ländern

Der Teilungsplan der UN-Generalversammlung von 1947, nach dem das Land in einen jüdischen und einen arabischen Staat geteilt werden sollte, wurde von den arabischen Staaten und der politischen Vertretung der Palästinenser abgelehnt. Einen Tag nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung erklärten Ägypten, Saudi Arabien, Libanon, Transjordanien, Irak und Syrien dem gerade erst proklamierten demokratischen Staat der Juden den Krieg. Während dieses Kriegs kam es zu den Vertreibungen der PalästinenserInnen, zur Nakba. Etwa 700.000 Menschen verloren ihre Heimat, ein Teil blieb in Israel.

Was viele nicht wissen: Auch Jüdinnen und Juden wurden vertrieben – aus den arabischen Ländern. Seit 1948 verließen an die 850.000 Juden ihre Heimat im Jemen, im Irak, in Marokko und anderen arabischen Staaten. Israel hatte 520.000 dieser jüdischen Flüchtlinge aufgenommen und mehr oder weniger in ihre Gesellschaft integriert. Die Palästinenser, die in arabische Nachbarländer flohen, wurden dort nicht integriert. Viele leben dort bis heute mit eingeschränkten Rechten in Flüchtlingslagern.

Charlotte Wiedemann hat recht mit der Feststellung, dass der anhaltende Konflikt zwischen Juden und Arabern im Nahen Osten viel mit der deutschen Vergangenheit zu tun hat. Allerdings greift die Argumentationskette, die Shoah habe zur Gründung Israels geführt und damit zur Vertreibung der Palästinenser, zu kurz. Es war die NS-Hetzpropaganda, die wesentlich dazu beitrug, dass der Judenhass in der arabischen Welt befeuert wurde und bis heute einem Friedensprozess im Nahen Osten im Wege steht.

Einfluss bis zur documenta

Und diese Propaganda zeigt ihre Wirkung auch im Jahr 2022 in Kassel auf dem Banner einer indonesischen Künstlergruppe mit Karikaturen, die eindeutig die Handschrift des europäischen Antisemitismus tragen.

Die Verantwortung dafür als Deutsche zu übernehmen darf nicht bedeuten, dass wir Demonstrationen zulassen, auf denen Israelflaggen verbrannt werden und Parolen wie „Zerstört Tel Aviv“ oder „Kindermörder Israel“ gerufen werden. Ein achtsamer Umgang mit dem Thema bedeutet, alle Seiten, auch die palästinensische, aufzufordern, selbstkritisch das eigene Narrativ zu überdenken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Fr. Klausmann scheint sich Empathie für das Leid der Palästinenser:innen garnicht anders vorstellen zu können als in Form von Antisemitismus – gleich im ersten Paragraf ihres Artikels sieht sie Belege der interdisziplinären Antisemitsmusforschung diesbezüglich. Warum muss denn die Antisemitismusforschung dafür herhalten? Ich finde das empörend.



    Auch Verkürzung ihrer Argumentation betreibt sie selbst. Es entspricht nicht der Tatsache, dass die Vertreibung und Enteignung der Palästinenser:innen erst nach der Staatsgründung Israels stattfand, sondern diese begann bereits Ende 1947 (siehe „Die ethnische Säuberung Palästinas“, des israel. Historikers Prof. Ilan Pappe). Was ebenfalls fehlt ist die Ansprüche der zionistischen Ideologie auf das Land Palästina bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts zu erwähnen und dass die einheimische Bevölkerung Palästinas einfach übergangen wurde als die UN-Vollversammlung den Teilungsplan 1947 vorlegte und die Ablehnung dieses Planes berechtigt auch nicht dazu die einheimische Bevölkerung zu vertreiben, zu enteignen und an der Rückkehr zu hindern und auch heutzutage immer mehr palästinensisches Land zu beschlagnahmen.

  • Den Palästinensern anzulasten, dass die Nazis versuchten, z.B. mittels Radiopropaganda die Stimmung im britischen Mandatsgebiet aufzuheizen, ist perfide. Und dass es schon vor der Staatsgründung arabische Aufstände gegen die illegale, von den Briten allerdings partiell geduldete Einwanderung von jüdischen Siedlern gab, ist doch wohl verständlich. Man war sich seitens der Araber schon sehr früh darüber im Klaren, welche Gefahr dort aufzieht.

  • "Es war die NS-Hetzpropaganda, die wesentlich dazu beitrug, dass der Judenhass in der arabischen Welt befeuert wurde und bis heute einem Friedensprozess im Nahen Osten im Wege steht."

    Der alerallergrößte Teil der muslimischen Länder, auch der im Nahen Osten, stand auf Seiten der Alliierten gegen die Nationalsozialisten.



    Da gab es kein Propagandafeuer seitens der Nazen.commons.wikimedia....n_World_War_II.png

    • @Rudolf Fissner:

      Wurde nicht die Propaganda, angepasst an die jeweiligen Kulturkreise und gerichtet v.a. an die analphabetischen Massen, im ganzen Nahen Osten verbreitet? Und zwar über Ägypten, so dass die wahre Herkunft verschleiert wurde. Warum sind denn in der muslimisch geprägten Welt "Mein Kampf" oder die "Die Protokolle der Weisen von Zion" bis heute so verbreitet und beliebt - und zwar bis nach Indonesien?

  • "Die Verantwortung dafür als Deutsche zu übernehmen darf nicht bedeuten, dass wir Demonstrationen zulassen, auf denen Israelflaggen verbrannt werden und Parolen wie „Zerstört Tel Aviv“ oder „Kindermörder Israel“ gerufen werden."

    Auf keinen Fall! Aber Die Israelflaggen gegen illegale israelische Siedlungen auf besetzten Land sollten zulässig sein. Wenn nicht stelle ich mir die Frage, wie der unsichtbare Gorilla im Raum dann benannt werden darf.

  • Die Autorin geht zwar auf die nationalsozialistische Propaganda im NO ein, ignoriert dabei aber eine gewichtige Frage: welchen Erfolg hatte diese? Denn es ist, entgegen verbreiteter Klischees, keineswegs so, dass diese von Muslimen unkritisch übernommen wurde - im Gegenteil. Und auch wo die Versuche, Muslime zu umwerben, Erfolg hatten, waren oft praktische, regionale Faktoren viel gewichtiger als eine Identifikation mit der von den Nazis verbreiteten Ideologie. Ich kann zu diesem Thema nur Motadels materialreiche Studie "Für Prophet und Führer. Die islamische Welt und das Dritte Reich" ans Herz legen.

    • @O.F.:

      Sie haben eine sehr guten Beitrag geschrieben Frau Klausmann!

    • @O.F.:

      Nur ganz kurz,



      ab 36 gab es den sog. Arabischen Aufstand. Entgegen der gerne erzählten Geschichten war das in erster Linie ein Kampf zwischen zwei widerstrebenden Strömungen im damaligen Palästina.



      Der erbitterte Streit entbrannte zwischen den beiden einflussreichsten Familien, den Nashashibis und den Husseinis, an den unterschidlichen Einstellungen gegenüber den jüdischen Einwanderern und der britischen Mandatsmacht. Die Husseinis waren glühende Antisemiten. Die Nashashibis waren den jüdischen Einwanderern eher zugewandt. Die Husseinis wurden massiv von den Nazis unterstützt und obsiegten über die Nashashibis. Der Mufti, Ziehvater von Jassir Arafat, blieb die entscheidende Figur. lesen Sie hier: www.matthiaskuentz...tand-in-palaestina



      Zitat:



      „Der palästinensische Aufstand von 1936 – 1939 war auch ein Angriff auf die Gegner des Mufti. Innerhalb des palästinensischen Lagers ist es zu mehr Mord und Totschlag gekommen, als gegen Juden und gegen Briten.“



      Zitat Ende

      • @Günter:

        Ich bin mir nicht ganz sicher, worauf Sie mit Ihrem Beitrag hinauswollen - aber zumindest ist es ein Beispiel dafür, dass das man sich mit allzu pauschalen Urteilen über islamischen Welt zurückhalten sollte; Küntzel halte ich übrigens nicht für einen seriös arbeitenden Historiker (dafür fehlt es ihm an methodischer Sorgfalt und an Sprachkenntnissen); wenn Sie sich mit dem Thema befassen wollen, rate ich zu Motadel, dessen Buch sicher das Standardwerk zur an Muslime gerichteten NS-Propaganda ist.

  • Vielen Dank für diese sachliche Erwiderung auf den Text von Frau Wiedemann.

    Nur als kleine Ergänzung, die durch und durch antisemitische Muslimbruderschaft, deren palästinensischer Ableger die Hamas ist, würde 1928 in Ägypten gegründet.

    Einen guten historischen Überblick liefert auch das Buch "Der ewige Sündenbock" von Tilman Tarach.

    Er listet unter anderem die antisemitischen Pogrome in der arabischen Welt auf, die lange vor der Gründung Israels stattgefunden haben.

    • @Jim Hawkins:

      Auch vielen Dank von mir, Frau Klausmann.