Pakistans Umgang mit den Taliban: Zwischen Gut und Böse

Pakistans Taliban sind wieder in der Offensive. Das hat vor allem mit ihren afghanischen Glaubensbrüdern zu tun – die von Islamabad gestützt werden.

Ein Bewaffneter steht vor einem Grenzzaun, hinter dem sich Menschen drängen.

Ein afgha­nischer Taliban­kämpfer bewacht den Grenz­übergang Torkham nach Pakistan Anfang Oktober Foto: Muhammet Nazim Tasci/AA/picture alliance

ISLAMABAD taz | Das Feuer schwerer Waffen in Ladha dauerte mehr als eine Stunde. In der Kleinstadt in Südwasiristan starben bei einem von zwei Gefechten zwischen pakistanischen Taliban und Sicherheitskräften an diesem 15. September sieben Soldaten und fünf militante Islamisten.

„Frauen und Kinder zitterten vor Todesangst“, berichtete später der Journalist Gohar Mehsud, der dort gerade seine Familie besuchte. Seit im nahen Afghanistan die dortigen Taliban die Macht erobert haben, sind auch die pakistanischen Taliban (Tehreek-i-Taliban Pakistan – TTP) wieder stärker geworden.

Obwohl die TTP eigenständig und keineswegs ein Ableger der afghanischen Taliban ist, hatte sie stets enge Beziehungen zu diesen und sie als ideologische Vorbilder betrachtet.

Pakistans Regierung und Sicherheitsbehörden haben stets eine Beziehung zwischen beiden Taliban-Organisationen geleugnet, indem sie die von Islamabad gestützten afghanischen als „gute Taliban“ bezeichnen und von den „schlechten“ pakistanischen behaupteten, sie seien ein Produkt Indiens, um in Pakistan Aufstände zu schüren.

Kooperation über die Grenze hinweg

Wenn bis vor Kurzem US- und Nato-Militärs die afghanischen Taliban mal stärker bedrängt hatten, fanden diese stets Unterschlupf bei der TTP in den pakistanischen Stammesgebieten jenseits der Grenze.

Umgekehrt nahmen Afghanistans Taliban TTP-Kämpfer auf, wenn Pakistans Militär in den dortigen Stammesgebieten zu viel Druck machte. Dabei hatte schon vor Monaten Suhail Shaheen, ein Sprecher der afghanischen Taliban, versprochen, dass sie nicht zulassen würden, dass afghanisches Territorium für Angriffe auf ein anderes Land benutzt werde.

Trotzdem hängt der jüngste Aufschwung der TTP mit dem Sieg der afghanischen Taliban zusammen. Schon als die US-Regierung letzteren Friedensgespräche angeboten hatte, inspirierte dies den TTP-Kommandeur Mufti Noor Wali dazu, die in viele Gruppen aufgespaltene pakistanische Organisation wieder zu einen. Offensiven des pakistanischen Militärs hatten zu Brüchen innerhalb der TTP geführt, die Mufti Noor Wali zum Großteil überwinden und so die TTP revitalisieren konnte.

„Die Machtübernahme der afghanischen Taliban hat zweifellos die Moral der TTP in Pakistan gestärkt und ihnen neue Hoffnung gegeben,“ sagte der liberale pakistanische Politiker, Paschtunen-Aktivist und Afghanistan-Experte Afrasiab Khattak der taz.

„Die afghanischen Taliban ließen nach ihrem Sieg Tausende Gefängnisinsassen frei, darunter auch 2.000 TTP-Mitglieder wie den früheren TTP-Vizechef Molvi Faqeer Mohammad. Er schloss sich wieder der TTP an und motivierte sie. Die häufigeren Angriffe zeigen deutlich, dass die TTP wieder stärker geworden ist,“ so Khattak.

Die pakistanischen Taliban fühlen sich siegessicher

Anfang September warnte die TTP Pakistans Medien davor, TTP-Mitglieder als „Terroristen“ oder „Extremisten“ zu bezeichnen. Jüngst sah man TTP-Kämpfer offen in den Stammesgebieten umherstreifen. Einheimische meldeten etliche Vorfälle im Zusammenhang mit der TTP wie Spendensammelaktionen in Moscheen, Graffitis mit TTP-Slogans sowie Aufrufe, strikt die Scharia zu befolgen.

Auch die „Besteuerung“ von Geschäftsleuten durch die TTP hat zugenommen. So berichtet Sher Mohammad, der in Südwasiristan eine Baufirma leitet, von hohen Geldforderungen der TTP, damit er dort überhaupt noch Projekte durchführen kann. Seiner Erfahrung nach müsse jeder zahlen, der dort tätig sein wolle. Vor der letzten Offensive des Militärs hätte die Steuer der Islamisten noch fünf Prozent des Umsatzes betragen, inzwischen sei sie aber auf zehn Prozent gestiegen.

Laut einer TTP-nahen Quelle erhielten Pakistans Taliban jüngst viele Waffen aus von den afghanischen Taliban erbeuteten Beständen früherer US- und Nato-Stützpunkte. Deshalb wähnt sich die TTP heute quasi als unbesiegbar. Gestärkt wurde somit ihr Wille, Pakistans gewählte Regierung zu stürzen und die Scharia durchzusetzen.

Comeback der Selbstmordattentate

Inzwischen hat die Zahl tödlicher TTP-Angriffe zugenommen, vor allem in den nordwestlichen Hochburgen. Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul Mitte August bis Ende September gab es in Pakistan Dutzende Terroranschläge mit Hunderten getöteten Sicherheitskräften. Sie starben durch am Straßenrand versteckte Sprengsätze, durch Scharfschützen, Hinterhalte und Selbstmordattentate.

Letztere erleben ein Comeback, nachdem die Sicherheitsbehörden 2017 behauptet hatten, der TTP das Rückgrat gebrochen zu haben. Doch jetzt wurden in Pakistan allein im August 35 Terrorangriffe gezählt und dabei 52 Zivilisten getötet. Es ist die höchsten Zahl seit Februar 2017.

Obwohl Pakistans Regierung und Militär zur neuen Gewalt in den Stammesgebieten weitgehend schweigen, sorgt man sich in Islamabad über die Bedrohung durch die neue Welle des Terrorismus. Islamabad schickte deshalb den afghanischen Taliban eine Liste gesuchter TTP-Mitglieder, die vor dem Militär aus den grenznahen Stammesgebieten nach Afghanistan geflohen sind.

Doch Afghanistans Taliban weigern sich, militärisch gegen die TTP vorzugehen oder sie wenigstens aus Afghanistan zu vertreiben. Ihrerseits bot die Regierung in Islamabad gemäßigten pakistanischen Taliban eine Amnestie an, wenn sie denn kapitulieren.

„Pakistans Regierung kann sich vorstellen, der TTP zu vergeben, wenn sie ihre Waffen niederlegt und die Verfassung anerkennt“, sagte Staatspräsident Arif Alvi in einem Interview. Außenminister Shah Mahmood Qureshi ergänzte: „Wenn die TTP zum Frieden bereit ist, sind wir zu einer Begnadigung bereit.“ Doch TTP-Sprecher Mohammad Khorasani antwortete nur: „Die TTP gibt ihren Kampf für die Einführung der Scharia in Pakistan nicht auf.“

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