Pärchenleben in der Krise: Zu zweit im Corona-Koller
Wie kommt man als Paar mit der virusbedingten Zweisamkeit klar? Tipps aus dem Friseursalon, der Raumfahrt und dem Kloster.
Kontakte auf das Allernötigste beschränken, zu Hause bleiben – das ist nötig, um die Mitmenschen und sich selbst vor Covid-19 zu schützen. Aber wie überlebt man als Paar, zusammen mit dem Liebsten fast eingeschlossen in der Wohnung, den Corona-Koller? Wenn beide Tag und Nacht zusammenglucken und bitte möglichst nicht rausgehen sollen?
„Eine solche Krise wie jetzt durch Corona haben wir alle noch nicht erlebt“, sagt Paartherapeutin Angelika Kaddik aus Potsdam, „das kann auch für Paare, die schon lange zusammen sind, eine Herausforderung sein, wenn man jetzt sehr eng aufeinandersitzt, wenn vielleicht auch noch beide Homeoffice machen. Da müssen Nähe und Distanz erst mal wieder verhandelt werden.“
Bei manchem wird danach der Wunsch nach Distanz übermächtig. In China haben sich nach dem Ende der Isolationsmaßnahmen in den betroffenen Städten lange Schlangen vor den Behörden gebildet. Viel mehr Verheiratete als sonst wollten die Scheidung beantragen, was in China schneller geht als in Deutschland. Angeblich haben viele Paare später dann versucht, das Scheidungsbegehren wieder rückgängig zu machen. Sorry, Liebster, war alles nicht so gemeint. Es war Corona!
So weit muss es nicht kommen. Lebenshilfen aus dem Kloster, dem Friseursalon und der Paartherapie können dazu beitragen, die unfreiwillige Selbstisolation durchzustehen, ohne sich am Ende zu hassen. Der Stress beginnt im Kopf – Sie können dagegenhalten!
1. Es ist okay, wenn Sie jetzt nicht mehr Sex haben, obwohl Sie gerade so viel Zeit miteinander verbringen
Eins der Corona-Gerüchte lautet, plötzlich hätten die Paare ein heißes Liebesleben, weil man doch so viel Zeit hat und so eng aneinandergeschweißt ist in der privaten Quarantäne. Der Beweis: Onlinehändler wie erotik.com berichten, die Bestellungen von Pornos, ob gestreamt, downgeloaded oder als DVD, explodierten. Kondome und Sexspielzeug finden reißenden Absatz.
Dann müssten wir in neun Monaten einen Babyboom haben. So wie es angeblich damals war, neun Monate nach dem großen Stromausfall in New York im Jahre 1965. Damals wurde die Geschichte vom Stromausfall und den heißen Liebensnächten geboren. Super Geschichte, aber eben nicht wahr. Die gestiegenen Geburtenziffern einiger Kliniken wurden Jahre später als ein statistisches Phänomen erklärt.
Die Idee, dass es eine total sexy Zeit sein könnte für Paare, wo man im gemeinsamen Homeoffice zusammensitzt und sich in der Mittagspause aufeinander stürzt, dürfte für so manch sensible Natur nicht funktionieren. Denn die derzeit überall verbreitete Psychologie des Infektionsschutzes ist eine Psychologie des Ekels: Man soll sich dauernd die Hände waschen, als hätte man einen Waschzwang, man soll einen Abstand von anderthalb Metern zu den Mitmenschen bewahren, als wären wir alle in Hundekot gefallen. Die Abstandsregel gilt zwar nicht für den oder die LebenspartnerIn. Aber ein Unbehagen bleibt, zumal der Partner das Virus ja noch einschleppen könnte vom Einkauf im Supermarkt. Erzwungene Nähe schafft eher den Wunsch nach Distanz, man sucht nach Techniken, sich aus dem Weg gehen zu können.
2. Distanz trotz räumlicher Nähe ist möglich: Nonnen, BergsteigerInnen, FriseurInnen machen es vor
Aus dem Bergsport kennt man das: Die Gruppe hat eine Woche im Schlaflager auf der Hütte vor sich und nur Anfänger erzählen gleich am ersten Abend alles aus ihrem Leben. Der Profi hingegen schweigt oder spricht nur über das Wetter. Die verbalen Kommunikationseinheiten pro Stunde einzuschränken, wenn man viel Zeit miteinander verbringt, ist okay. Es hat seinen Grund, warum in vielen klösterlichen Ordensgemeinschaften, wo man in immer gleicher Besetzung jahrzehntelang zusammen lebt, Schweigegebote herrschen.
Es mag Menschen geben, die die häusliche Zweisamkeit dank Corona nutzen wollen, endlich mal die alten Probleme der Partnerschaft mit dem oder der Liebsten auszudiskutieren. Aber vielleicht ist das keine gute Idee. „Probleme aus der Vergangenheit wieder hochzuholen, bedeutet ja auch, die negativen Gefühle wieder zu wecken, die damit verbunden sind“, sagt Paartherapeutin Kaddik. Negative Gefühle aus der Vergangenheit plus die aktuelle Beklemmung durch Corona: Das ist eine schlechte Grundlage für Partnerschaftsdebatten.
Die Erlaubnis zum Monolog hingegen kann hilfreich sein, um Dampf abzulassen. Friseure machen daraus ein Geschäftsmodell. Wenn die KundIn vor sich hin monologisiert, reichen Einwürfe des Friseurs wie „ach was“, „kann ich verstehen“ „tatsächlich?“, um ein Gefühl von Harmonie und Geborgenheit aufkommen zu lassen. Niemals würde der Friseur stöhnen: „Das habe ich doch schon x-mal gehört!“
In manchen Paartherapien praktiziert man eine Technik, wobei jeder mal zehn Minuten nur von sich reden darf, ohne Unterbrechung und ohne eine Bewertung durch das Gegenüber. Dann wechseln die Rollen. Das Verfahren soll sehr wirksam sein – und das gibt zu denken.
3. Sie brauchen zwei Paar On-Ear-Kopfhörer
Logisch, dass in der Coronakrise forschende PsychologInnen unterwegs sind. Die Universität Hildesheim zum Beispiel startet gerade eine Online-Befragung zu sozialen Beziehungen in Zeiten von Covid-19. Im Internet kursieren Tipps zur Tagesgestaltung im Homeoffice. Nicht nach 8 Uhr aufstehen! Regelmäßig arbeiten, viel Gemüse essen! Gymnastik! Bloß nicht in Jogginghosen am Rechner sitzen! Entdecken Sie unbekannte Ecken in der Wohnung, als wären sie Neuland! Die Tipps kann man befolgen, muss es aber nicht.
Wichtig ist die innere Einstellung. Vielleicht fällt es Ihnen auf: Die Enge, der Stress verändern Ihre Wahrnehmung. Sie nehmen schnell mal nur das Negative an der Partnerin oder dem Partner wahr, den Hang zum Besserwisserischen oder zum Vorwurfsvollen und dann das Herumgeputze in der Wohnung, es kann zu viel sein oder auch zu wenig.
In einem von der Raumfahrtbehörde Nasa finanzierten Experiment lebte ein Team ein Jahr lang in einer in sich geschlossenen Anlage auf Hawaii zusammen, um zu erkunden, was jahrelange Isolation einer Gruppe auf einer potenziellen Reise zum Mars psychologisch bedeuten würde. Die Physikerin Christiane Heinicke berichtete später, dass Konflikte unvermeidlich waren, und sei es über herumstehende leere Kaffeetassen. Was aber ein gutes von einem schlechtem Team unterscheide, sei, dass das gute Team „sich schnell von Streitigkeiten erholt und weiter gut zusammenarbeiten kann“.
Nicht nachtragend zu sein, großzügig zu werden, das ist ein schönes Ziel, und jetzt haben Sie die Gelegenheit, sich dem in Hörweite zu nähern. Dabei helfen ein paar Basics: Jeder darf eine Tür hinter sich schließen, zu jedem Zeitpunkt. In der Küche wird nicht lange telefoniert, wenn der andere auch darin sitzt. Man muss nicht jede Mahlzeit gemeinsam einnehmen. Zwei große On-Ear-Kopfhörer liegen immer griffbereit herum, die man sich jederzeit über den Kopf stülpen kann. Diese Dinger plus iPad mit YouTube, Spotify, Facebook und Twitter erlauben uns eine individuelle Abschottung, von der zerstrittene Bergbauernfamilien vor 100 Jahren auf ihrem Hof nur träumen konnten.
4. Nichtstun in der Isolation ist dank Covid-19 schon ein Projekt an sich
Um glücklich zu sein, brauche man einen Menschen, den man liebt, und eine Aufgabe und eine Hoffnung, schrieb die Schriftstellerin Ricarda Huch. Voilà, bei Ihnen ist alles vorhanden, wenn Sie den Partner oder die Partnerin nicht zwischenzeitlich in der Badewanne ertränkt haben. Der manchmal durchaus geliebte Mensch ist vorhanden, die Hoffnung auf ein Ende der Coronakrise auch, und die Aufgabe ist klar: Mit Ihrer Zweierisolation helfen Sie, Covid-19 zu stoppen.
Ungewöhnliche Aufgaben erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Humor hilft bei Stress in der Ehe, betont der Paartherapeut Arnold Retzer. Wenn es zu eng werde zu zweit, könne man sich, gewissermaßen als „Ekelprophylaxe“, am Küchentisch eine Clownsnase aufsetzen, schlug Retzer einmal vor. Clownsnasen sind im Versandhandel billig zu haben. Auch jetzt noch, in der Coronakrise.
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