Pädagogische Kniffe für die Pandemie: Bücher sind auch Nahrung

Die Kuscheltiere haben ausgelernt, das Tiptoi-Buch vom Opa hat die Tochter auch durch. Ein Glück, dass die Berliner Buchläden noch auf haben.

Ein Kind schaut sich ein Tiptoi Bilderbuch an

Alltag in der Coronapandemie: Das Kind pädagogisch wertvoll ruhig stellen mit einem Tiptoi Buch Foto: Thomas Trutschel/imago

Ein Jahr lag das Tiptoi-Buch, das mein Vater meiner Tochter vorletztes Weihnachten geschenkt hat, nur rum, weil ich zu blöd war, es zum Funktionieren zu bringen. Mittlerweile habe ich in meinen Pausen von Homeoffice und Homeschooling das Ausmisten, Aufräumen und Dinge-auf-Vordermann-bringen als Freizeitbeschäftigung entdeckt. Und erst gemerkt, wie irre es ist, dass ich im Vor-Pandemie-Alltag nie Zeit und Ruhe hatte, in der Wohnung auch nur annähernd hinterherzukommen. Nachdem ich es im ersten Lockdown geschafft habe, endlich neu zu streichen, und im Lock­­down light Wohnzimmer, Kinderzimmer, Küche und Bad neu dekoriert habe, blieb in diesem Lockdown nicht mehr viel zu tun.

Daher haben meine Tochter und ich ihren Kuscheltieren einen Fernseher aus Pappe mit handgezeichneten Kanälen gebaut, eine eigene Garderobe mit neuen, zum Großteil selbstgenähten Anziehsachen für sie gebastelt und Schulhefte für sie gemacht, die sie nun täglich zu füllen haben.

Ich lache mir jedes Mal ins Fäustchen über meinen pädagogischen Kniff, meine Tochter auf die Idee gebracht zu haben, ihre Kuscheltiere zu unterrichten. Es war die einzige Möglichkeit, die erst kürzlich Eingeschulte zum Lernen zu veranlassen, da sie meint, sie habe doch Coronaferien und allerhand eigene Ideen, ihre Zeit zu gestalten. Statt durch ihre Hausaufgaben zu lernen, die sie nur hinhuscht, bringt sie nun ihren Kuscheltieren Schreiben und Rechnen bei und bekommt gar nicht mit, dass sie dabei auch übt.

Nach einem Monat aber ist auch das Kuscheltierklassenzimmer öde: Ein Schüler, das Faultier, furzt dauernd, statt sich anzustrengen, und hat eine so schrille Stimme, dass sich meine Nackenhaare aufstellen, und die anderen erwarten ständig neuen Input von mir. Auf der Suche nach alternativen Lernmöglichkeiten fällt mein Blick auf das Tiptoi-Buch. Da ich gerade Ruhe habe, stellt sich das Anschließen des Stifts als Kleinigkeit heraus.

Mehr davon!

Nach fünf Minuten investierter Zeit habe ich mit einem Mal zwei Stunden für meine Arbeit. Mehr davon!, denke ich und rufe: „Wir fahren in die Bibliothek!“ Die wird gerade geschlossen. Ein junger Mann murmelt entschuldigend: „Wir haben eben erfahren, dass wir nun ganz schließen. Homeoffice und so.“ Ich denke an mein Homeoffice, das gerettet gewesen wäre, hätte ich mich mehr beeilt, und unterdrücke ein Fluchen.

Ich nicke schluckend und gehe mit meiner Tochter kurzentschlossen in den nächsten Buchladen, um wenigstens zwei weitere Tiptoi-Bücher mit sinnvollen Lerninhalten zu kaufen, Kontostand hin oder her. Denn nichts geht gerade über zwei Stunden Ruhe zum Arbeiten, in denen ich meine Tochter gut beschäftigt weiß. Die Frau in der Buchhandlung reagiert sehr emphatisch, als ich ihr erzähle, dass die Bibliothek just in dem Moment geschlossen wurde, als wir ankamen: Sie sucht meiner Tochter einen Stapel geeignete Bücher raus und schenkt ihr obendrein ein Leseexemplar.

Während meine Tochter sich zwei Bücher aus dem Stapel aussucht, klagt die Buchhändlerin: „Um ehrlich zu sein, wünschte ich, sie würden auch die Buchhandlungen schließen. Gucken Sie sich mal um: Die meisten kommen einfach zum Shoppen. Weil sie einsam sind oder weil ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt.“ Gerade die Alten, die besonders geschützt werden sollten, würden sich im Laden stundenlang die Zeit vertreiben, ohne dabei auf die AHA-Regeln zu achten: „Dass die Menschen hier einen Rumhängeort haben, ist doch nicht Sinn und Zweck von so einem harten Lockdown.“ Ich lächle sie an: „Nein. Aber Bücher sind auch Nahrung! Und mich retten sie gerade echt.“

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Jahrgang 1983, studierte nach Auslandsaufenthalten in Oxford, Montpellier, Glasgow und Buenos Aires in Hildesheim Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus. Schreibt seit 2012 für die taz. Hauptsächlich Berliner Szenen, aber auch Reportagen, Hausbesuche und Kolumnen für Berlin Viral.

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