PALÄSTINENSER DIENEN AL-QAIDA UND SCHARON ALS PROJEKTIONSFLÄCHE: Mieser Trick von beiden Seiten
Im Nahen Osten bietet sich zurzeit ein bizarres Schauspiel: Sowohl Ussama Bin Ladens al-Qaida selbst als auch die israelische Regierung unter Ariel Scharon versuchen, die Palästinenser mit der Sache der al-Qaida in Verbindung zu bringen. Für Bin Laden und Scharon ist Palästina zur ultimativen Projektionsfläche in ihrem jeweiligen Kampf gegen das Böse geworden.
Al-Qaidas Ziel ist es, durch den Bezug auf Palästina die eigene Akzeptanz in der islamischen Welt zu steigern. Etwas vom Glanz des palästinensischen Kampfes soll auf al-Qaida übergehen. Darum der Anschlag auf Israelis in Mombasa im November, darum die Versicherung, al-Qaida stehe hinter den Palästinensern.
Ariel Scharon wendet denselben Trick spiegelverkehrt an: Der miese Ruf Bin Ladens soll auf Arafat abfärben. Seit Monaten behauptet Scharon deshalb, im Gaza-Streifen gebe es eine Al-Qaida-Zelle. Vergangene Woche berichteten Palästinenser, der israelische Geheimdienst habe solche Zellen selbst aufbauen wollen, und ein als Al-Qaida-Kader getarnter Agent hätte dazu Rekrutierungsgespräche geführt. Diese Berichte können palästinensische Propaganda sein – sie können aber auch stimmen. Trotz der Parallelen im propagandistischen Vorgehen Bin Ladens auf der einen und Scharons auf der anderen Seite gibt es einen Unterschied: Bin Laden schadet mit seiner Taktik zwar den Palästinensern, aber nicht sich selbst.
Scharon hingegen spielt mit dem Feuer. Er verweigert Arafat den Freiraum, seine unüberbrückbaren ideologischen Unterschiede zu Bin Laden zu demonstrieren – zum Beispiel indem er ihm verbietet, an der christlichen Weihnachtsmesse in Bethlehem teilzunehmen. Stattdessen baut er Arafat als Bin Ladens Zwilling auf. Für Israel wäre es aber sicherer, diejenigen zu stärken, die in der Intifada eine nationale, säkulare Anstrengung sehen, anstatt Wasser auf die Mühlen derer zu gießen, die den Nahostkonflikt für einen Religionskrieg halten. Arafat in der Kirche – das wäre eine Anti-Bin-Laden-Demonstration gewesen. Scharon hat sie verhindert. YASSIN MUSHARBASH
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