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Oury Jalloh und Opfer von PolizeigewaltTod durch Rassismus

In Berlin fordert die Initiative „Gedenken an Oury Jalloh“ internationale Gerechtigkeit für die Opfer von Polizeigewalt.

Ein Fotograf dokumentiert Zelle Nr. 5, in der Jalloh starb Foto: Peter Endig

Berlin taz | Vor über 14 Jahren verbrannte der Sierra Leoner Oury Jalloh gefesselt in der Zelle des Dessauer Polizeireviers. Am Donnerstag entschied in Sachsen-Anhalt das OLG Naumburg: Es wird keinen neuen Prozess in dem Fall geben – obwohl Indizien dafür sprechen, dass Jalloh angezündet wurde.

Der Fall mag einer der mysteriösesten und spektakulärsten sein – der einzige dieser Art ist er nicht. Immer wieder kommen Schwarze bei Polizeieinsätzen oder in Gewahrsam zu Tode oder werden schwer verletzt.

Am Samstag hat die Initiative Gedenken an Oury Jalloh Angehörige solcher Menschen zur Konferenz „Selbstorganisation gegen rassistische Polizeigewalt“ nach Berlin eingeladen. „Wir fordern Gerechtigkeit für unsere Angehörigen. Wir werden zusammenstehen, um jede*s/r Einzelnen unserer Angehörigen zu erinnern“, postuliert ein Aufruf.

Die Toten wurden mit Knüppeln geschlagen, erstickt, durch Stromschlag getötet, erlitten Schusswunden oder wurden eben, wie Jalloh, verbrannt.

Notwehr? Unwahrscheinlich

Einer von ihnen war der Senegalese Babacar Gueye. Er kam 2014 nach Frankreich und lebte bei seiner Schwester Awa und deren Sohn in Rennes. In der Nacht zum 3. Dezember 2015 hatte Gueye offenbar eine psychische Krise, er verletzte sich selbst mit einem Küchenmesser. Ein Freund rief die Polizei, die feuerte fünf Kugeln auf den damals 27-Jährigen ab und rechtfertigte dies als Selbstverteidigung.

Gueyes Schwester Awa war am Wochenende auf der Konferenz im Berliner Stadtteil Weißensee zu Gast. Sie sagt: „Mein Bruder starb nicht, weil die Polizei ihn in Notwehr erschossen hat, wie sie behauptet. Er wurde ermordet, weil er schwarz ist.“

Die Initiative Oury Jalloh will am Montag erdrückende Indizien dafür präsentieren, dass Jalloh in der Haft angezündet wurde

Awa Gueye kann nach eigenen Angaben nicht lesen und schreiben. Entsprechend schwierig ist für sie der Umgang mit Behörden. Im Laufe der Jahre fand sie dennoch vieles über die Nacht, in der ihr Bruder starb, heraus, das die Behörden zunächst nicht öffentlich gemacht hatten. Es lässt die offizielle Darstellung in einem anderen Licht erscheinen.

Unter anderem erwirkte Awa Gueye mit Hilfe von drei Anwälten ein ballistisches Gutachten. Das ergab, dass die Schüsse auf ihren Bruder seitlich abgefeuert wurden – was gegen eine unmittelbare Notwehr spricht. Schwerer noch wiegt aber, dass Babacar Gueye offenbar gar nicht sofort tot war – aber wohl über eine Stunde am Boden liegen gelassen wurde, ohne dass ein Arzt kam. Erst dann starb er.

Angehörige vereinen sich

Die Waffen – ein Taser und eine Schusswaffe, die die Beamten eingesetzt hatten – konnten nicht untersucht werden. Sie seien „aus Versehen zerstört worden“, habe die Polizei ihren Anwälten mitgeteilt, so Awa Gueye. Vor Gericht machten die Beamten sehr widersprüchliche Angaben zum Hergang der Ereignisse. Ein Untersuchungsrichter hat nun einen Ortstermin anberaumt, bei dem die Beamten darlegen sollen, was geschehen ist.

Für Awa Gueye ist klar: „Wäre mein Bruder weiß gewesen, hätten die Beamten nicht geschossen. Hätten sie es doch getan, hätten sie sofort einen Arzt gerufen und er hätte überlebt. Der Vorfall wäre sofort untersucht, die Verantwortlichen wären bestraft worden. So aber ist all das nicht passiert.“

Zum Fall Oury Jalloh sieht sie starke Parallelen. „Es gibt Rassismus im Staat und es gibt eine entsprechende Polizeigewalt. Wir, als Angehörige der Opfer, wollen sagen, dass das nicht normal ist. Wir haben entschieden, dafür zusammen zu kämpfen“, sagt Awa Gueye.

Auch die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh spricht davon, dass es „strukturell verankert“ sei, dass Straftaten des Staates nicht mit in die Akten aufgenommen werden. Im Fall von Oury Jalloh ging die Justiz zwölf Jahre lang offiziell davon aus, dass der Sierra Leoner seine Matratze in der Gewahrsamszelle trotz Fesselung selbst entzündet hat.

Eine Vielzahl von Indizien

Im Laufe der Jahre kam jedoch eine erdrückende Zahl von Indizien ans Licht, die diese These widerlegten – ganz wesentlich auch durch private Gutachten, die die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh erstellen ließ.

Oury Jalloh 2005 mit seiner neugeborenen Tochter auf dem Arm Foto: imago/stock&people

Im April 2017 schließlich wurde bekannt, dass der Dessauer Staatsanwalt Folker Bittmann davon ausgeht, dass Jalloh schon vor Ausbruch des Feuers am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle „mindestens handlungsunfähig oder sogar schon tot“ war – und vermutlich mit Brandbeschleuniger angezündet wurde. Bittmann nannte konkrete Polizeibeamte aus dem Dessauer Revier als Tatverdächtige.

Kurz darauf wurde ihm der Fall entzogen und das Verfahren eingestellt. Am vergangenen Donnerstag hatte das OLG Naumburg einen Antrag auf Klageerzwingung abgelehnt. Demnach wird es keinen weiteren Prozess in der Sache geben.

Vor einem Jahr hatte die Initiative Oury Jalloh eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt, um den Fall zu untersuchen. Diese will am Montag in Berlin erdrückende Indizien präsentieren, die zeigen sollen, dass Jalloh in der Haft angezündet wurde.

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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Neben der Aufklärung zum Tod von Oury Jalloh setzt sich die Initiative von Freunden und Verwandten auch für die Aufklärung der Todesfälle Mario Bichtemann und Hans-Jürgen Rose in derselben Dessauer Polizeistation ein. Offenbar waren auch bei den weiteren Fällen dieselben Tatverdächtigen Beamten beteiligt!



    www.change.org/p/m...%A4rung/u/25255979

  • (Staatsanwalt) "Bittmann nannte konkrete Polizeibeamte aus dem Dessauer Revier als Tatverdächtige.



    Kurz darauf wurde ihm der Fall entzogen und das Verfahren eingestellt. Am vergangenen Donnerstag hatte das OLG Naumburg einen Antrag auf Klageerzwingung abgelehnt. Demnach wird es keinen weiteren Prozess in der Sache geben."



    Kennt sich da jemand im heimischen Justizsystem genauer aus?



    1) Wieso kann man einem Staatsanwalt einfach den Fall entziehen? Ich weiß dass das in Italien nicht möglich ist was all die Mafia Anklagen auch gegen Politiker möglich machte.



    2) Welche rechtlichen Möglichkeiten bleiben in Deutschland, wenn ein Antrag auf Klageerzwingung von einem Gericht abgelehnt wird? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte? Ein anderer Staat der nach Weltrechtsprinzip auch Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen bis hin zu struktureller Straflosigkeit aus Deutschland ermittelt?

    • @Nina Janovich:

      Zu 1)



      Für jeden StA gelten die §§ 146 ff. GVG (Gerichtsverfassungsgesetz). § 146 lautet: "Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen." Im § 147 sind die jeweiligen dienstvorgesetzten Stellen aufgeführt. Demnach kann der Dienstvorgesetzte einem StA jederzeit Anweisungen erteilen (die dieser zwingend auszuführen hat), oder ihn vom Fall abberufen.



      Einzelheiten hier:



      www.zjs-online.com...kel/2015_6_952.pdf

      Zu 2) Die Frage kann nicht wirklich beantwortet werden, da es hier darauf ankommt, aus welchem Grund das Klageerzwingungsverfahren abgelehnt wurde. Es gibt hohe formale Anforderungen; ist das Verfahren aufgrund dessen negativ beschieden, so kann ein formaler Fehler "geheilt" werden und eine erneute Klageerzwingung wäre möglich. Wurde es aus inhaltlichen Gründen (z.B. weil die im Antrag behaupteten Tatsachen nicht ausreichend (beweiskräftig) belegt werden konnten) abgelehnt, ist das Verfahren beendet. Dann gibt es grundsätzlich kaum noch Möglichkeiten, den Fall weiter zu verfolgen. Der Europäische Gerichtshof fühlt sich in diesen Fällen regelmäßig nicht für zuständig, da er keine Super-Instanz für Prozessrecht sein will. Ähnlich dem BVerfG müsste hier ein Grundrechtsverstoß evident, d.h. offensichtlich sein. Es klingt seltsam und hart, aber selbst ein Mord ist nicht automatisch eine Grundrechtsverletzung. Hier dürfte die Beweisführung also extrem schwierig sein.



      Ein anderer Staat (Weltrechtsprinzip) kommt als Kläger nicht in Frage, da das Völkerstrafgesetz keine Taten gegen Einzelpersonen sanktioniert. Theoretisch könnte Sierra Leone ein Verfahren anstrengen, da es sich um einen ihrer Staatsbürger handelt. Aber das ist praktisch schwierig (wie soll ein Gerichtshof dort verhandeln, wenn alle Beweismittel in Deutschland sind) und geschieht allenfalls, wenn ansonsten gar kein Verfahren stattfindet. Ein "Freispruch" wird international regelmäßig akzeptiert.

  • Ein Staatsanwalt vermutet, geht davon aus und beschuldigt? Müsste ein Staatsanwalt nicht Beweise vorlegen? Oder zumindest versuchen Indizien zu verifizieren? Auch wenn Angehörige Behauptungen aufstellen und Spekulationen veröffentlichen, sollte man Objektivität walten lassen. Wenn dann gar noch "struktureller Rassismus" festgestellt wird, frage ich mich ernsthaft wo sich dieser manifestiert. Es wäre vielleicht gut auch mal Streifenpolizisten in Großstädten eine Stimme zu geben und nicht nur einfach immer auf die Polizei einzuprügeln.

    • @Zven:

      Offenbar haben Sie sich nicht mal ansatzweise mit dem Fall beschäftigt. Es gibt unglaublich viele Beweise die auf einen Mord hindeuten und eine Selbsttötung faktisch unmöglich machen. Die wichtigsten (es gibt noch deutlich mehr):



      Es gibt kein Feuerzeug das während des Brandes in der Zelle geweisen sein kann. Womit soll er sich also angezündet haben? Konnte er zaubern?

      Das Brandbild lässt sich nicht rekonstruieren, es sei denn man nimmt Brandbeschleungier. Es ist bisher niemanden gelungen das am tatort gefundene Brandbild ohne Brandbeschleuniger zu erzeugen.

      Zum Motiv: Vor Oury Jalloh sind 2 andere (Mario Bichtermann & Marcel Rose) in Haft in diesem Polizeirevier ums Leben gekommen. Die Gründe sind bis heute nicht geklärt. Bittmann geht deshalb bei Jalloh von einer Vertuschungstat aus, weil ein überlebender Jalloh (er wurde offenbar gefoltert) die alten Fälle wieder aufgerollt hätte.

      • @Klingbeil:

        Die Vorhaltungen der Opferanwälte und der Aktivisten zu wiederholen ist etwas anderes wie Beweise vorlegen. Eindeutige Beweise liegen eben (noch) nicht vor. Hier zu spekulieren ist einfach fahrlässig. Es wird Sie vielleicht überraschen. selbst forensische Gutachten können sich - abhängig vom Gutachter - widersprechen.

        • @Zven:

          Wie bitte? Das es kein Feuerzeug gibt, ist kein Beweis? Wie hat er sich dann angezündet, können Sie das sagen? Die forensiche Gutachten widersprechen sich hier auch nicht, sie kommen alle zu dem Ergebnis: ohne Brandbeschleuniger - kein entsprechendes Brandbild. Nur weil Sie die Tatsachen nicht wahrhaben wollen, gibt es nicht plötzlich "keine Beweise". Aber bleiben Sie nur weiter religiös, ich verschwende da keine weitere Lebenszeit.

  • Danke fürs Dranbleiben.



    Hartnäckig sind ist wesentlich.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @nzuli sana:

      Schließe mich auch an.

      "Schwerer noch wiegt aber, dass Babacar Gueye offenbar gar nicht sofort tot war – aber wohl über eine Stunde am Boden liegen gelassen wurde, ohne dass ein Arzt kam. Erst dann starb er."

      "Im April 2017 schließlich wurde bekannt, dass der Dessauer Staatsanwalt Folker Bittmann davon ausgeht, dass Jalloh schon vor Ausbruch des Feuers am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle „mindestens handlungsunfähig oder sogar schon tot“ war – und vermutlich mit Brandbeschleuniger angezündet wurde. "

      Solche Vorfälle verortet man normalerweise in Militärdiktaturen.

    • @nzuli sana:

      Schließe mich auch an!

    • @nzuli sana:

      …anschließe mich.