Ostern mit Rastafaris und Punks: Vom Eise befreit

Ein Osterspaziergang dahin, wo es voll ist: Unterwegs beim Reggaeville Easter Special in Hamburg und beim Osterbiersuchen in Norderstedt.

Eine Toilettenschüssel, aus der Pflanzen wachsen.

Schöner Wohnen in Norderstedt: Das Soziale Zentrum bietet Platz für schickes Interieur Foto: Klaus Irler

Ostern 2023 ist das Ostern nach Social-Distancing und Zugangsbeschränkungen. Vom Eise befreit sind Strom und Bäche, aber auch Clubs und Partys. Zeit für einen faustischen Osterspaziergang dahin, wo es voll und laut ist.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel / Hier ist des Volkes wahrer Himmel

Ein dicker Nightliner steht vor dem alten Fabrikgebäude in Hamburg-Ottensen, bekannt als die Fabrik, das älteste soziokulturelle Zentrum Deutschlands. Die Fabrik sieht innen auch heute noch so aus wie vor zig Jahren: Ein Saal mit dicken alten Pfeilern, drum herum eine Galerie, auf der die Leute stehen und runterschauen auf eine kleine Bühne.

Die Fabrik ist kuschelig. Vor allem wenn sie voll ist.

„Sold Out“ steht vorne am Kassenhäuschen und am Eingang steht: „Drinnen nicht rauchen – don’t smoke inside“. Es ist das Reggaeville Easter Special, das hier stattfindet. Im Merch-Bereich haben Headshops ihr Sortiment ausgebreitet. Sonderlich bekifft wirkt die Veranstaltung aber nicht. Eher im Gegenteil.

Der Nightliner hat Lila Iké, Max Romeo, Lutan Fyah und Droop Lion gebracht: Reggae-Performer, die sich alle eine Band teilen, weswegen der Sound den Abend über gleich bleibt.

Es geht um Roots-Reggae. Up-Beat-Gitarre, Up-Beat-Keyboards, ein tiefer Bass, zwei Bläser. Der Sound, der von Bob Marley berühmt gemacht wurde. Das Erstaunliche ist: Die Musik ist oldschool, aber das Publikum ist es nicht.

Es ist das Volk, das sich hier trifft. Nur die Nazis sind zu Hause geblieben

Das Publikum ist so divers wie die Stadtgesellschaft 2023. Es sind junge Leute da und alte, bürgerliche und freakige, biodeutsche Weißbrote und Leute mit Migrationshintergrund aller Art. Es ist das Volk, das sich hier trifft. Nur die Nazis sind zu Hause geblieben.

Alle grooven mit. Oldschool Roots-Reggae ist der gemeinsame Nenner des Innenstadt-Volkes. Wieder was gelernt.

Aus dem hohlen finstern Tor / Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

Ostersonntag im Industriegebiet am Rande Norderstedts, es ist die Einflugschneise des Hamburger Flughafens, wo sich der Baumarkt und die Autowaschanlage „Gute Nacht“ sagen.

Auf einem eingeschossigen Backsteinbau weht eine schwarz-rote Antifa-Flagge. Dort ist das Soziale Zentrum Norderstedt zu Hause.

Hinter dem Backsteinbau ist ein lang gezogener anarchistischer Garten mit Bauwägen, eine Toilettenschüssel wurde zum Blumentopf umfunktioniert, ein Holzboot liegt herum, darauf steht: „Zu verschenken“. Die Menschen sitzen an blumengeschmückten Bierzeltgarnituren, sie tragen viel Schwarz, oft verfilztes und/oder buntes Haar, oft Schriftzüge auf den Pullis: „Hamburger Abschaum“ zum Beispiel oder: „Für Toleranz – Gegen Faschismus“.

Die Leute, das ist in diesem Fall die Szene, Punks, Autonome, eher männlich, niemand unter 20 außer die Kinder der Punk-Familien, die an einem Open-Air-Tisch Kicker spielt.

Die Szene ist gekommen zum „Osterspektakel“, und zu dem gehört ein traditionelles Osterbiersuchen. Das bedeutet: Die Antifas haben Bierflaschen mit liebevoll neu gestalteten Etiketten versehen und in ihrem Garten versteckt, auf dass sie gefunden und dann getrunken werden. „Aber Vorsicht“, sagt eine der Besucherinnen, „es sind auch alkoholfreie darunter!“ Wow. Auch die Punks mögen es divers.

Am frühen Abend beginnt die Hamburger Band Bullshitboy das Musikprogramm. Die Band lohnt sich, weil die Frontfrau im Segment des Schreiens virtuos unterwegs ist und das brüllend laute Gitarrenbrett einlädt, sich auf die Suche nach den Harmonien dahinter zu machen.

Draußen laufen derweil die Biersuchenden vergeblich durch den Garten. Die anfangs große Bierflaschendichte hat sich erheblich dezimiert, und es gibt keinen Punk-Gott, der für Nachschub im Garten sorgt.

Lustig ist das alles. Punk kann selbstironisch sein. Nochmal was gelernt.

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Jahrgang 1973, fing als Kultur-Redakteur der taz in Bremen an und war dann Redakteur für Kultur und Gesellschaft bei der taz nord. Als Fellow im Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School beschäftigte er sich mit der digitalen Transformation des Journalismus und ist derzeit Online-CvD in der Norddeutschland-Redaktion der taz.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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