Ostermärsche in Deutschland: Frieden in der Krise
Die einen setzen auf Kerzen und interreligiöses Gebet, die anderen zeigen Flagge, auch die russische. Eine Beobachtung an drei Orten.
BIBERACH/ERFURT/BERLIN taz | Monty Schädel hat ein Problem. Es hat etwas zu tun mit dem Button, den er gerade aus seiner Tasche gezogen hat. „Friedenswinter“ steht darauf – der Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft DFG-VK hat ihn selbst designt. Das ist schon ein paar Monate her. Damals, als auch Schädel den „Friedenswinter“, die gemeinsame Kampagne der klassischen Friedensbewegung mit den wegen Rechtslastigkeit umstrittenen Montagsmahnwachen, begrüßte.
Jetzt steht er am Rande des Berliner Ostermarsches und sagt: „Ich will nicht öffentlich diskutieren, was rechts ist, was Faschismus ist und ob die BRD eine GmbH ist. Das sind nicht meine Diskussionen, und sie sind einer Friedensbewegung unwürdig.“
Wäre er mal lieber ins oberschwäbische Biberach gefahren. Dort auf dem Marktplatz stecken Mitglieder des örtlichen Friedensbündnisses kurz vor Beginn ihrer Kundgebung einen Kreis mit Windlichtern und Schildern ab. Auf jedem steht das Wort „Frieden“ in einer anderen Sprache: Inuit, Georgisch oder Yoruba.
Auf dem Boden liegen Pace-Fahnen. Organisator Roland Groner schüttet Streichholzschachteln in einen Osterkorb, jede mit einem Sticker in Regenbogenfarben und der Aufschrift „Friedensbündnis Biberach“ beklebt.
Der Streit zwischen Teilen der klassischen Friedensbewegung und Vertretern der neurechten Montagsmahnwachen ist hier gänzlich unbekannt. Den Namen Ken Jebsen haben die Biberacher noch nie gehört. Jebsen, der Mahnwachenstar, der immer wieder durch seine mangelnde Abgrenzung nach rechts außen und seinem Hang zu Verschwörungstheorien auffällt, hatte zuletzt auch Monty Schädel scharf attackiert.
Heute: An den Ostermärschen gegen Krieg und Waffenexporte haben sich nach Angaben der Organisatoren bundesweit bis zu 10.000 Menschen beteiligt. „Wir sind zufrieden, die Zahl entspricht ungefähr der des Vorjahrs“, bilanzierte Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative am Ostermontag. Am gesamten Wochenende gab es etwa 80 Mahnwachen und Demonstrationen.
Gestern: Die Bewegung hat ihre Wurzeln im Protest gegen das atomare Wettrüsten während des Kalten Krieges. In der alten Bundesrepublik erlebte sie 1968 und 1983 ihre Höhepunkte. Nach der Wiedervereinigung sank die Teilnehmerzahl weiter.
Heilige Allianz in Biberach
Was in Ulm passiert, kriegen Groner und seine Mitstreiter noch mit, aber Berlin ist weit weg, nicht nur geografisch. Mit Verschwörungstheorien oder politischen Grabenkämpfen kann man sich in Berlin herumschlagen, in Biberach ist Frieden.
Dieses Jahr sogar noch ein bisschen mehr als sonst. Erstmals spricht neben dem katholischen Pfarrer und dem muslimischen Imam auch der evangelische Dekan. Bislang hatte der sich stets geweigert, an diesem „Tag der Stille“ öffentlich aufzutreten. Die Hauptfrage der Veranstaltung formuliert der pensionierte Pfarrer Groner in seiner Eröffnungsrede: „Haben Religionen ein Friedenspotenzial, oder sind sie für Gewalt verantwortlich?“
Die Antwort, die die Religionsvertreter im Anschluss geben, steht schon vorher fest: Religion und Frieden bilden in Biberach, das genau auf dem Jakobsweg liegt, eine heilige Allianz.
Für den Ukrainekonflikt oder das Massensterben in Syrien interessiert man sich hier eher am Rande. Die etwa 200 Menschen, die rings um die Kerzen stehen, machen keinen sonderlich besorgten oder gar wütenden Eindruck. Ruhig folgen sie den pastoral vorgetragenen Reden, zwischendurch singen sie davon, „dass Frieden werde unter uns“.
„Frieden schaffen mit weniger Waffen“
Den politischen Part übernimmt Ralph Lange, Leiter eines Gymnasiums und Grünen-Mitglied. In seiner Rede kritisiert er Rüstungsexporte und Drohneneinsätze. Lange ist in der Friedensbewegung aktiv, seit er 15 Jahre alt ist. Ein Pazifist sei er, aber kein radikaler. Das Ziel heiße zwar „Frieden schaffen ohne Waffen“, sagt er in seinem Vortrag, doch der Weg dahin sei eher ein „Frieden schaffen mit weniger Waffen“.
So reformistisch würde Schädel es nicht formulieren – das Motto des Berliner Ostermarsches lautet „Die Waffen nieder“, in Anlehnung an die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner. Und so will Schädel in seiner Eröffnungsrede das in den Mittelpunkt stellen, wogegen die Bewegung angetreten ist: die Militarisierung der Gesellschaft, die Bundeswehr, Rüstungsexporte, Atomwaffen, Krieg.
Donezkflagge in Berlin
Doch den Gefallen wollen ihm viele der Teilnehmenden nicht tun. Während Schädel auf der Bühne steht und davon spricht, dass Krieg kein Mittel der Politik sein darf, erörtern die Menschen untereinander fleißig ihre Positionen in Sachen „Friedenswinter“. Ganz am hintersten Ende des Platzes stehen zwischen einigen Russland- und Donezkflaggen zwei kleine Grüppchen, die trotzig ihre Mahnwachentransparente emporhalten.
Eine Frau tritt auf sie zu, um ihnen ihre Solidarität zu versischern, ein weiterer Mann taucht auf und erklärt, in Zukunft noch mehr für sie kämpfen zu wollen. Um den Hals ein Schild mit der Aufschrift „Die Friedensbewegung lässt sich nicht spalten“.
Auch Schädel hat den Friedenswinter nicht von vornherein abgelehnt. Aber er besteht darauf: „Wer die Tür nach rechts öffnet, gehört für mich nicht zur Friedensbewegung.“
„Tödliches Handwerk“
Startpunkt der Demonstration ist der Dorothea-Schlegel-Platz, direkt am Bahnhof Friedrichstraße. Hier befindet sich seit Ende 2014 der „Showroom“ der Bundeswehr – zwischen Aschenbachs Apotheke und dem Schuhgeschäft „Think!Store“. Im Schaufenster prangt das Logo der Bundeswehr, daneben der Schriftzug „Wir.Dienen.Deutschland.“. Der Showroom ist Teil einer Kampagne des Verteidigungsministeriums, mit dem es die Bundeswehr zum „attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands“ machen will.
„Man könnte es auch als Werbekampagne für eine ’Mordstruppe mit einem tödlichen Handwerk‘ bezeichnen“, sagt Schädel in seiner Rede. Soldaten seien Mörder. „Da ist nichts attraktiv dran“, ruft er. „Krieg beginnt nicht erst mit dem Waffeneinsatz“, erklärt Schädel. „Krieg beginnt bereits dort, wo Militär als etwas Normales oder gar Attraktives dargestellt wird.“
Es dürfe nicht sein, dass Kinder in Kasernen eingeladen werden, um dort auf Panzern herumzuklettern, wird auch Uwe Hiksch später sagen. Er ist der „Hansdampf in allen Gassen“ der Friedensbewegung. Zahlreiche Demos hat der Mann, dem die SPD irgendwann nicht mehr links genug war, bereits organisiert, heute darf er selbst ans Mikrofon: auf der Abschlusskundgebung im Lustgarten.
Abschluss im Lustgarten
Hier hatten schon vor dem Ersten Weltkrieg die Antikriegsdemonstrationen stattgefunden, und von hier wandte sich Kaiser Wilhelm II. 1914 zu Kriegsbeginn an die Bevölkerung und erklärte, er „kenne keine Parteien“ mehr.
Die Sonne scheint, die Menschen tanzen zur Musik der Band Miserlu. Hiksch ist zufrieden. Es seien mehr Menschen gekommen als im letzten Jahr, sagt er. Die Polizei spricht von 1.000 Teilnehmenden, der Veranstalter von 1.500 – die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen. An Zahlen wie bei den Ostermärschen 1983 – deutschlandweit 1,3 Millionen – kommt das bei Weitem nicht heran, aber solchen Illusionen geben sich die Organisatoren schon lange nicht mehr hin.
Nur 80 in Erfurt
In Erfurt schon gar nicht. Zwischen Tausenden Einkaufsbummlern fallen die knapp 80 Ostermarsch-Teilnehmer kaum auf. Am sichtbarsten ist ein knallrotes Plakat der Linkspartei mit der Aufschrift „Wir alle sind Ausländer – fast überall“. Die Solidarität mit Flüchtlingen ist als inhaltliche Aussage für die Veranstaltung bewusst gewählt.
„Wir hatten die Befürchtung, dass auch Teilnehmer des Mahnwachenspektrums zu unserer Demonstration kommen würden“, sagt Veranstalter Christian Schaft. Der schmächtige 24-Jährige mit Skinny-Jeans und schwarzem Kapuzenpullover sitzt seit dem vergangenen Herbst für die Linkspartei im Erfurter Landtag. In seiner Begrüßungsrede sagt er, „Friedensaktivismus und Antifaschismus müssen Hand in Hand gehen“.
Niemand widerspricht. Dass rechte und antisemitische Verschwörungsideologen nicht willkommen sind, wie es Schaft deutlich formuliert, ging bereits aus dem Aufruf hervor.
Den russischen Präsidenten verstehen
Gekommen ist etwa ein Dutzend Mitglieder der veranstaltenden Linksjugend Solid, das auch das örtliche Antifa-Spektrum vertritt, dazu Parteimitglieder älteren Semesters. Auch Fahnen der DKP, der NaturjugendFreunde und ein Plakat der Satirepartei „Die Partei“ sind zu sehen.
Ein Mann, Typ Seefahrer, trägt ein Schild auf dem steht: „NATO* schafft Flüchtlinge“. Darunter: „*Saubande“. Er gehöre „nicht zu den Artigen“, erklärt der ehemalige Lehrer Siegfried Wolff. Als Putin-Versteher möchte er sich nicht bezeichnen, aber es wäre viel geholfen, wenn Politiker und Medienvertreter versuchen würden, den russischen Präsidenten zu verstehen. „Als Russe würde ich mich auch bedroht fühlen“, sagt Wolff.
Doch an diesem Tag geht es vor allem um den Widerspruch zwischen selbst formuliertem Anspruch und Realität der Stadt Erfurt. Seit 1991 bezeichnet sich die thüringische Landeshauptstadt als „Stadt des Friedens“. Im 2013 eröffneten Logistikzentrum koordiniert die Bundeswehr ihre weltweiten Auslandseinsätze. In und um Erfurt ist die Bundeswehr mit mehreren Kasernen präsent, es gibt ein Dienstleistungszentrum, und auch ein Kriegsschiff fährt seit einiger Zeit mit dem Namen „Erfurt“ über die Meere.
Noch ein weiter Weg
Bei der Zwischenkundgebung vor dem Dienstleistungszentrum in der Thälmannstraße weist Schaft darauf hin, dass auch thüringische Firmen IT und Logistik für die Bundeswehr entwickeln und die Universitäten in Jena, Ilmenau und Erfurt viel Geld für Militärforschung erhalten. Das Motto des Tages lautet: „Frieden beginnt vor Ort.“
Auch der Ausruf „Nie wieder“ fällt mehrfach an diesem Nachmittag. Nie wieder Krieg. Nie wieder Faschismus. Bereits am Vormittag hatten Aktivisten am früheren Außenlager des KZ Buchenwald im Jonastal in diesem Sinne der Opfer gedacht. Nach Ende der Kundgebung in Erfurt wird bekannt, dass sowohl das abgelegte Blumengebinde als auch eine Gedenktafel beschädigt wurden. Bis zum Frieden ist es noch weit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“