Ostdeutschland: Sachsen-Bashing? Es geht besser
Klar, man kann auf den Osten wegen des Rechtsdralls dort einprügeln. Schlauer wäre es, den Aktivist*innen und Betroffenen vor Ort zu helfen.
I n Eisenhüttenstadt erhält ein 16-jähriges Mädchen Morddrohungen, weil sich Neonazis von seinem lokalpolitischem Engagement provoziert fühlen. In Halle wird eine Gruppe auf offener Straße rassistisch angegriffen, und in Sachsen steht die AfD in den Umfragen vorn. „Der Osten“ als deutsche Problemzone – wie passt es da ins Bild, dass im westdeutschen Bayern ein Ministerpräsident an seinem Vize festhält, der Antisemitismusvorwürfe als „Schmutzkampagne“ abtut?
Ziemlich gut. Ich bin in Zwickau aufgewachsen, der Stadt, in der der NSU jahrelang untertauchen konnte. Dass das extrem rechte Problem dieses Staates primär auf Ostdeutschland projiziert wird, kenne ich. In Westdeutschland blicke ich auf Lesungen immer wieder in schockierte Gesichter, wenn ich aus dem Alltag junger Antifaschist*innen in der sächsischen Provinz berichte. Dass in den sozialen Medien flapsige Sprüche wie „Sachsen raus“ zu lesen sind, wundert mich nicht. Doch diese Sprüche werden denen nicht gerecht, die sich hier Tag für Tag gegen Nazis engagieren.
Anstatt also plumpes Sachsen-Bashing zu betreiben, sollten wir den Aktivist*innen vor Ort zuhören und Betroffene unterstützen. Dafür gab es zuletzt zwei Möglichkeiten: den dritten CSD in Zwickau und eine antifaschistische Demonstration zum fünften Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz.
Auf den Veranstaltungen demonstrierten jeweils rund 1.000 Menschen. Genau wie Leipziger*innen nicht immer mit dem erhobenen Finger auf das sächsische Hinterland zeigen sollten, sollten sich Menschen aus politisch besser aufgestellten Bundesländern mit zivilgesellschaftlichen Initiativen in Ostdeutschland vernetzen, statt nur zu pöbeln.
Gemeinsam als solidarische, gesellschaftliche Linke müssen wir uns den öffentlichen Raum zurückholen, Grabenkämpfe beenden und uns besser organisieren. Ja, das ist leichter gesagt als getan, aber ich glaube, dass wir gerade jetzt in der Lage dazu sind. Wo so viel Energie zur Empörung über das AfD-Umfragehoch ist, liegt auch Kraft für eigene Ziele.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl