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Ost-Preise nur für WessisNur zu Besuch

Essay von Alexander Teske

Mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis wurden Reportagen aus Ostdeutschland ausgezeichnet – produziert von Westdeutschen. Das sieht man den Filmen an.

Lutz van der Horst (links) und Fabian Köster laufen durch Görlitz Foto: Igor Hartmann/ZDF

D er Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ist einer der renommiertesten deutschen Medienpreise. In diesem Jahr geht er an Eva Schulz und Jan Lorenzen. Am Donnerstagabend wurde er ihnen in Hamburg feierlich verliehen. Den Sonderpreis erhalten Fabian Köster und Lutz van der Horst von der „heute show“ für „Zwei Besserwessis im Osten“. Alle Preisträger eint: Sie haben Filme über Ostdeutschland gedreht. Und: Alle vier sind Westdeutsche. Den Filmen sieht man das an. Sie zeichnen ein einseitiges Bild und zeigen nur einen kleinen Ausschnitt der Realität. Der Jury unter dem Vorsitz von Sandra Maischberger fiel das nicht auf. Vielleicht, weil unter 43 Mitgliedern nur eine Ostdeutsche ist.

Es beginnt schon bei den Filmtiteln. „Die große Angst“ lautet einer. Unterzeile: „Zukunft in Ostdeutschland?“ Als ob es eine Option ist, keine zu haben. Getextet wird zu Untergangsmusik gern im Konjunktiv: „Wenn so was jetzt in Thüringen und Sachsen auch einträfe, dann wäre das eine Katastrophe.“ Und ein Geschäftsführer sagt: „Wenn die AfD die Regierung stellen würde, das wäre für das Land der Untergang.“

Autor ist der Hamburger Jan Lorenzen. Seine Interviewpartner unter anderem: die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhardt, der Münchner Maximilian Steinbeis und der Bamberger Basketballtrainer Florian Gut. „Lokale Stimmen“ kämen „zu Wort“, heißt es in der Begründung der Jury für die Preiswürdigkeit der Doku. Die „gesellschaftliche Spaltung im Osten Deutschlands“ werde gezeigt, „ohne sich dabei gängiger Klischees zu bedienen“.

Ausführlich behandelt die Doku Ereignisse der Vergangenheit: „Eine Welle rechtsextremistischer Gewalt. Sie rollt in den 1990er Jahren durch die neuen Bundesländer und hat die Atmosphäre in vielen ostdeutschen Städten und Dörfern bestimmt.“ Von einer „kollektiven Erfahrung einer Generation“ ist zum Bild des Wurfs eines Molotowcocktails die Rede. Der Autor hat in den 90ern in Sachsen gelebt und hält das für übertrieben. Der Soziologe Matthias Quent sagt: „Teilweise sind die Schläger von damals jetzt die Kommunalabgeordneten der AfD in den Parlamenten.“ Das ist möglich. Aber in dieser Klarheit neu. Doch auf eine Nachfrage, ob es Namen dazu gibt, reagiert der Professor der Uni Magdeburg-Stendal leider nicht.

Alles in einen Topf

Weiter behauptet der Kommentar: „Gehen oder bleiben? Das war die Frage damals, das ist die Frage heute.“ Es wird der Eindruck erweckt, viele Ostdeutsche hätten ihre Heimat aufgrund der Gewalt verlassen – und nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Auch beim Lehrermangel wird ein Zusammenhang zum politischen Klima gezogen. Ohnehin wird alles in einen Topf geworfen, findet kaum eine Unterscheidung zwischen AfD-Wählern und Nazi-Schlägern statt.

Das ZDF hat Eva Schulz auf Expedition geschickt. Sie wurde 1990 in NRW geboren. In einem Interview für das RND bekennt Schulz auf die Frage, wie es war, „die Stimmung in Ostdeutschland einzufangen“: „Es war eine steile Lernkurve für mich.“ Das ist eine schöne Umschreibung für: Ich hatte keine Ahnung.

Teil 1 des Roadtrips heißt: „Was Thüringen wirklich über Höcke denkt.“ Ein Film über Thüringen ohne den hessischen Geschichtslehrer scheint unvorstellbar. „Wird Björn Höcke bald Ministerpräsident in Thüringen?“, raunt Schulz. Einen Organisator eines antifaschistischen Musikfestivals fragt sie: „Wählen die diese Partei wegen Höcke oder trotz Höcke?“ Antwort: „Es sind wirklich solche kleinen Führergedanken“ Die Frage ist berechtigt. Nur wäre sie an einen Parteienforscher zielführender adressiert.

Folge 2 heißt: „Wie Sachsen zerreißt“. Schulz sitzt viel im Studio und reiht Behauptungen aneinander: „Das politische Klima ist in den letzten Jahren merklich rauer geworden.“ Andersdenkende „leben in Sachsen besonders gefährlich.“ Oder: „Immer wieder ist es Sachsen, wo Proteste besonders heftig sind.“ Dazu läuft eine Frau mit einer Fahne mit Friedenstaube durch das Bild. Schulz sieht „so viel Hass und Misstrauen“ und „die Gesellschaft“ sei gespalten: „Ein Bundesland, das beispielhaft für diese Entwicklung steht, ist Sachsen.“ Das hat sie in Folge 1 über Thüringen auch schon gefragt: „Warum ist ausgerechnet dieses Bundesland so gespalten?“

Was ist mit rechts gemeint?

Auch Begrifflichkeiten bleiben nebulös: „Sind sie rechts?“, fragt Schulz einen Mann auf einer AfD-Demo in Thüringen. Und in der Sachsenfolge heißt es, man habe „jemanden gefunden“, „der sich selbst rechts verortet“. Was ist mit rechts gemeint? Rechtsradikal? Konservativ?

Der Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg wird im Film als „Mischung aus Nazi-Zone und Migra-Kiez“ bezeichnet. Wie viele Chemnitzer werden wissen, was gemeint ist und sich wiedererkennen? Dann behauptet der Journalist Martin Debes: „Die Angst, Status und Wohlstand zu verlieren, ist in Ostdeutschland besonders ausgeprägt.“ Kann man nicht nur etwas verlieren, was man auch besitzt?

Auf der Internetseite des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises prangt das dem Namensgeber zugeschriebene Zitat: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“ Eva Schulz bietet dreimal 30 Minuten Anschauungsunterricht des Gegenteils.

Den einen bringt sie Baklava, Offenheit und Fröhlichkeit mit. Den anderen Vorurteile, Belehrungen und Misstrauen. Von journalistischer Distanz ist im „Internationalen Zentrum für Demokratie und Aktion“ in Chemnitz, nichts zu spüren. Suggestivfrage an die Vorsitzende Fatima Majed: „Würdest du sagen, die deutsche Gesellschaft ist gut darin, sich in Leute hineinzuversetzen, die anders sind?“ Antwort: „Nein.“ Gleiches Spiel beim „Rock am Berg“ im südthüringischen Merkers: gemeinsames Rauchen, Lachen und Grillen. Bei der Freiwilligen Feuerwehr in Fredersdorf macht Schulz gleich bei der Löschübung mit. Dann fragt sie: „Man sagt ja manchmal auch, dass solche Vereine, Ehrenamtliche oder auch Kirchen, Parteien, so der Kitt der Gesellschaft sind. Würdest du das auch so sehen?“ Reaktion des Feuerwehrmanns: „Auf jeden Fall“ Anderen Protagonisten widerspricht Schulz dagegen, zuvor wurden deren Social-Media-Accounts geprüft. Ihre Abneigung ist spürbar. Auf einer AfD-Wahlveranstaltung sieht man Schulz in Nahaufnahme mit besorgter Miene.

„Statement für Qualitätsjournalismus“

Teil 3 behandelt Brandenburg. Hier herrsche „so ein richtiger Abwärtsstrudel“. Und: „In Eisenhüttenstadt sieht es wirklich fast noch genauso aus wie vor der Wende.“ Schulz macht ein entsetztes Gesicht und stellt fest: „Aber geboten wird hier eher wenig.“ Bevor sie fragt: „Warum hauen dann trotzdem alle ab?“ Für die Jury ist der Film ein Beitrag „zum kritischen Fernsehjournalismus“. Die Auszeichnungen mit 2.500 Euro versteht die Jury „als Statement für Qualitätsjournalismus“.

53 Journalisten haben den Hanns-Joachim-Friedrichs–Hauptpreis bisher erhalten. Von Ina Ruck und Anja Reschke über Oliver Welke und Denis Scheck bis zu Claus Kleber und Anne Will. Maybrit Illner war die einzige Ostdeutsche. Vor 24 Jahren. Auf Nachfrage sagt der stellvertretende Vorsitzende Mathias Werth: „Wenn im Journalismus Leute mit Ostbiografie fehlen, dann müsste diesem Probleme von den Sendern begegnet werden. Dort fallen diese Entscheidungen.“

Bei anderen deutschen Medien­preisen sieht es ähnlich aus: ostdeutsche Journalisten werden sehr spärlich hervorgehoben, sie sitzen selten in der Jury. Ab und zu werden allerdings Werke über den Osten geehrt. Westdeutsche Redakteure berichten dann einem westdeutschen Publikum und werden dafür von westdeutschen Juroren ausgezeichnet.

In einer früheren Version des Textes stand, dass Lorenzen auch mit den Beatsteaks gesprochen habe. Das ist korrekt. Allerdings wurde die Band fälschlicherweise als „Westberliner“ Punkband bezeichnet. Die Band gründete sich erst 1995, also nach der Wiedervereinigung. Die Mitglieder stammen aus dem ehemaligen Ost- und Westdeutschland.

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12 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Guter, wichtiger Artikel. Sollte unbedingt auch von den Personen in den entsprechenden Entscheidungspositionen gelesen werden.



    Kleiner Einwurf: Die Beatsteaks sind keine explizit Westberliner Band, aber Berliner Band reicht in dem Kontext auch völlig aus.

  • Ich komme aus der Nähe von Bautzen und finde der Bericht zeigt die Situation da ziemlich gut. Die netten Leute mit den Friedenstauben waren beim CSD gar nicht mehr so nett. Sie zeigt auch sehr gut wie schwierig es ist mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.



    Ihre Darstellung der Kirche war mir etwas zu rosarot und einseitig. Aber das ist ein anderes Thema.



    Insgesamt war es eine gute Reportage.

  • Gibt es eigentlich eine TAZ für die ostdeutschen Länder?

  • Ein guter Artikel über eine bittere Wahrheit, das Bild des Ostens, aus Sicht der Westdeutschen, zur Bestätigung westdeutscher Vorurteile.

  • Der Chemnitzer Stadtteil heisst "Sonnenberg". "Sonneberg" ist eine Stadt bzw. ein Landkreis (der mit dem ersten AfD Landrat) in Thüringen. ;-)

    Ansonsten guter Beitrag! Danke.

  • Was für ein hervorragender Artikel. Schade das er 'nur' in der taz veröffentlicht wurde - der sollte einem viel größeren Publikum zu Teil werden.



    Die 'Doku' von Köster und van der Horst fand ich eine Katastrophe - und das war ja nicht zum ersten Mal...



    Wann immer die beiden 'unterwegs sind' wird das immer gleiche Bild transportiert: die Ossis sind die Dummen, sowieso alles Nazis, wer Hirn hat geht zu den Guten in Westen oder zumindest nach Leipzig oder Berlin. Wer bleibt sind die die beim Denken nicht immer Glück haben...



    Das ist so vorhersehbar und ermüdend wie ihre allwöchentlichen Alterswitze über Philipp Amthor in der heute-Show.



    'Wer zahlt hat Recht' lautet eine uralte Weisheit von der man längst weiß, dass es keine Weisheit ist. Früher versuchte so der Vater die renitenten Kinder zuhause im Zaum zu halten - mit der gleichen Basta-Überheblichkeit begegnet der Westen dem Osten heute immer noch.



    30 Jahre und nichts gelernt - im Gegenteil - eine Doku nach der anderen über den Osten drehen und jedes Mal das verwunderte Fazit "wie können die nur..."

  • Vor drei Jahrem besuchten wir als Westdeutsche nach dem Mauerfall 1989 erstmalig den Osten des wiedervereinigten Deutschlands. Bei den wenigen Gesprächen, die wir am Rand von Leipzig mit einem einfachen Menschen führten, war es die Unkenntnis über die Lage von Regionen wie dem Ruhrgebiet im Westen, die uns überraschte. Da begegnete uns ein Blick von Fremdheit und Zerrissenheit. Diese zu überwinden wäre eigentlich das große Projekt zur Herstellung einer Wiedervereinigung gewesen. Menschen im Osten kannten keine Menschen im Westen. Die ungleichzeitigen Umbrüche, die beiden Teilen Deutschlands durchlebten, waren unbekannt. Diese Menschen im Osten wurde niemals abgeholt. Da war niemand der ihnen gezeigt hätte, dass Regionen im Westen das gleiche durchlebt hatten, wie im Osten. Die Ähnlichkeit in den Erfahrungen zu zeigen, hätte zum Beispiel die Aufgabe von filmischer Dokumentation sein können. Gab es Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht hätten, daran was zu ändern?

  • Endlich mal ein Beitrag, der anschaulich schildert, wer hier in den Medien die Macht hat. Doch welche Chancen hat dieser kritische Artikel? Wenn man in der ehemaligen DDR gegen ein Problem ankämpfen wollte, lief man sehr oft gegen eine Wand und hatte wenig Chancen. Heute ist die Situation bedeutend günstiger, denn die Wand ist aus Gummi!

  • Der Artikel war die beste sonntägliche Frühstückslektüre seit langem und mir glatt eine finanzielle Unterstützung der TAZ wert. Gern mehr davon!

    • @Šarru-kīnu:

      Wenn die taz einen Erfahrungsbericht über die Leute im Winter in der Ukraine bringt, mache ich das auch.

  • Ja. Bei solchen Sendungen hat man oft den Eindruck, als kämen staunende Forscher aus dem Westen, die über ein unbekanntes Biotop berichten. Entsprechend wenig finden sich Menschen, die die im Osten aufgewachsen sind bzw. dort noch leben, in den Sendungen wieder.

    PS: Einen Chemnitzer Stadtteil Sonneberg gibt es nicht.

  • Der Osten ein Zoo, der ab und zu von des Wessis besucht wird. Mit den Reportagen wird Geld verdient.



    Es gibt ja die Ostversteher, die AfD.



    Vorsicht, die wollen auch nur abzocken.