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Orte des RauschesEs gibt ein Entkommen

Uns fehlen Orte des Rauschs, in denen frei erkundet werden kann, was möglich ist. Ein Appell zur drohenden Räumung des Autonomen Zentrums in Köln.

Räumungen sind trauriger Alltag geworden. Letztes Jahr kam das endgültige Aus für das Kunsthaus Tacheles. Bild: dpa

Vor einiger Zeit besprach Sebastian Dörfler hier zwei Bücher über Rausch und seine Politik und Kultur. Eins davon war mein Buch „Leben im Rausch“. Resümierend hieß es, dass das, „woran es heute zu einem kritischen Bewusstsein am meisten fehlt“, „erhöhte Sensibilität und Einfühlung“ seien: „Es fehlen die Lockerungsübungen für das Ich.“

Das klingt mir viel zu nett. Es liest sich, als müsste es nur einfach etwas beschwingter zugehen, und schon kämen die gesellschaftlichen Verhältnisse in Bewegung. Doch so einfach ist es nicht. Wie sich der Rausch – mit Substanzeinnahme oder ohne – entfalten kann und was aus ihm zu beziehen ist, hängt sehr davon ab, unter welchen Umständen und mit welcher Erwartung er stattfindet.

Ist er eingeklemmt in den Alltag aus Konkurrenz, Belästigung, Herrschaft, Übergriff und Verwertung, kann er kaum mehr verschaffen als eine Atempause oder die teilweise Wiederherstellung der ausgelaugten Arbeitskraft – oft nicht einmal das, wenn auch in der Berauschung noch Gruppenzwang, Distinktion und Überbietung herrschen.

Kampf in Köln

Ab Montag,1. Juli, könnte das Autonome Zentrum im Kölner Stadtteil Kalk geräumt werden. Der Nutzungsvertrag läuft zum 30. Juli aus. Die Betreiber streben eine einvernehmliche Lösung mit der SPD-regierten Stadt, Eigentümer des Gebäudes, an. Ab Freitag veranstalten sie „Wochen der Solidarität“.

Was fehlt, sind Orte und Situationen, in denen so angstfrei, konkurrenzlos und so wenig warenförmig wie möglich erkundet werden kann, was möglich wäre und wie dorthin gelangt werden könnte; Orte, an denen passiert, was sonst nicht passiert, weil vieles von dem, was sonst passiert, mehr oder weniger draußen gehalten wird.

Wenig Raum zur Entfaltung

Und diese Orte fehlen nicht einfach; sie werden immer wieder zerstört. Das geschah mit dem Institut für vergleichende Irrelevanz (IvI) in Frankfurt am Main, einem besetzten Universitätsgebäude, in dem Themen diskutiert wurden, die an der Uni sonst nicht verhandelt werden, in dem selbstverwaltet gelebt, gestritten und gefeiert wurde und in dem Rausch und Revolte immer wieder zusammengedacht und zusammengebracht wurden. Weil eine Aktiengesellschaft das Gebäude wieder profitabel verwerten will, beendete die Polizei am 22. April zumindest vorerst das Experiment.

Schon bald blüht Ähnliches dem hochgeschätzten Autonomen Zentrum in Köln-Kalk und anderen Orten – und zwar aus ganz ähnlichen Gründen: Das soundsovielte Einkaufszentrum, die Stadtplanung oder hochpreisige Mietshäuser beanspruchen den Platz.

2009 wurde mit einem martialischen Polizeieinsatz das Besetzte Haus in Erfurt geräumt. Acht Jahre lang hatten dort Jugendliche selbstorganisiert die Geschichte des Gebäudekomplexes thematisiert: der Fabrik „Topf & Söhne“, welche die Krematoriumsöfen für die Nazi-KZs entwarf, baute und installierte. Die Besetzerinnen erprobten ein anderes Zusammenleben als jenes, für das „Topf & Söhne“ ihnen als exemplarisch galt: „Die haben halt damals für Geld alles gemacht. Wir haben alles fast ohne Geld gemacht.“

Was befindet sich heute auf dem Gelände? Ein Einkaufszentrum, mit einem kleinen, inhaltlich entschärften Gedenkort als Feigenblatt.

Es gilt Platz zu schaffen

Der Adorno-Satz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ bedeutet, dass wir alle Teil der Gesellschaftsordnung sind und somit immer in ihre Verbrechen und Verwerfungen verwickelt. Das heißt aber nicht, dass wir handlungsunfähig wären.

Es heißt vor allem nicht, dass wir nicht versuchen könnten, der Gesellschaft vorübergehend so weit zu entkommen, dass wir die Einsichten und die Kraft schöpfen können, sie zu ändern, das heißt, ihre gegenwärtige Ordnung zu überwinden, die nicht nur den Rausch, sondern die meisten menschlichen Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten einklemmt, abwürgt, entstellt und kaputtverwaltet.

Es muss endlich mal wieder in die andere Richtung gehen. Das heißt, die Räumungen in Köln und anderswo zu verhindern, sich neue Orte anzueignen, sich für Rausch und Revolte etwas herauszunehmen. Viel zu viel ist kaputtgegangen, geräumt, zerfallen; zu viele Verbündete sind verzweifelt, abgestürzt, tot. Die Kritik muss praktisch werden oder sie wird immer weiter verschwinden.

Der Autor schrieb das Buch „Leben im Rausch. Evolution, Geschichte, Aufstand“. Löhrbach 2012, 287 Seiten, 19,80 Euro

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21 Kommentare

 / 
  • R
    rudicule

    @von Penseuse:

     

    Woher willst du das wissen - sagt der Rabbi.

    Meine Erfahrungen via Außen-Chemie sind gering.

    Aber einmal Peyote=LSD zeigte mir: wunderbare

    Erfahrung; die ich aber mittels der dabei gehörten Musik

    gut ohne Außen-Chemie erneut herstellen konnte/kann.

    ( auch da - Gewöhnung ist ein Phänomen menschlicher

    Wahrnehmung);

    mit Eigen-Chemie -" Lauf dich high - das ist SDI" et al ~||;))

    aber auch Muzik-machen… lassen sich ungewöhnliche

    Zustände aufsuchen.

     

    Ob Revolution gemacht, ein Autonomes Zentrum

    bewohnt/belebt/ verteidigt wird - hat weniger damit

    zu tun, als die Ahnungslosen, die Spießer meinen.

     

    Und @broxx " Revolutionskitsch" auffe webside?

    so what?

    " Laßt sie doch ihren Weichfraß fressen" - wußte

    schon Tucholsky;

    Mensch: Schlafen - könnt ihr, wenn ihr tod seid.

    die wollen das glücklicherweise nicht - ihr alten Neidhammel!

     

    AZ - bleibt! - Paßt schon

  • DL
    dem lentz

    @Penseuse

    revolten sind unlogisch

    logisch währe es stromlinienförmig an genug macht zu kommen um eine revolution in die gewünschte richtung durchzuführen

    aber da wirds schon wieder unlogisch:

    wunsch?

    der wunsch einer einzelperson soll irgendetwas legitimieren?

     

    zum glück sind menschen nicht logisch oder klar

    für die meisten ist der rausch der einzige weg um sich aus dem was ihnen als logick, als gut, wahr, richtig und moralisch vertretbar oktroiert wird zu befreien.

    je enger das netz dieser logick, desto notwendiger der rausch der schon durch sich selber, seine unkontrolierte natur zur revolte wird.

    helden der revolte?

    innere logick?

    hama nich !wolnwa nich!

    alles klar?

     

    (sorgen sie ruhig für 50%+ der bevölkerung und das millitär...danach erklähren sie mir dann wofür sie die brauchen)

  • B
    Besetzerin_Bernd

    Eigentum ist Diebstahl, Diebstahl aber kein Eigentum!

    Immer wieder stoßen Hausbesetzer_innen auf Kritik von zwei Seiten. Die einen kommen wie "broxx" hier auf den Gedanken, mit einer verqueren Eigentumslogik "ich hab das ja auch gekauft" den Hausbesetzungen zu Deligitimieren. Ohne Jetzt Proudhon mit seinen sexistischen, antisemitischen und kriegstreiberischen Ansichten in irgendeiner Weise verteidigen zu wollen, kapitalistisches Privat-Eigentum ist nunmal eine Form von Diebstahl. Die Formel Naturgegenstand + eigene Arbeit = Eigentum die John Lock 1689 aufgestellt hat, besagt nichts anderes, als das ich angeblich das Recht hätte nur aufgrund meiner Biologischen oder Ererbten Möglichkeiten andere von dem Gebrauch von Gegenständen etc. auszuschließen. Es wird grundlegend der Konkurrenzkampf der Menschen angetrieben, anstatt das DInge wie kollektives und gemeinschaftliches Eigentum überhaupt zur Frage gestellt werden. Begründet wird dieser Konkurrenzkampf dann in einem Eigentumsverhältnis zwischen Menschen und Gegenständen und mit der angeblichen Ressourcen Knappheit begründet.... Selbst wenn es sie gebe, ist wohl eine Gesellschaft deren Reichtum "als eine 'ungeheure Warensammlung' [erscheint]" (kluger Mensch, gutes Buch na wer kennts?) die am wenigsten dafür geeigntste um die Ressourcen zu schützen. Es bleibt also dabei (Privat-)Eigentum, besonders das an Produktionsmitteln, ist Diebstahl an der Gemeinschaft und es müssen emanzipiertere Formen der Organisation entstehen. Bei den Hausbesetzungen werden selten bewohnte Häuser besetzt. Gehen wir also von Bedürfnissbefriedigung aus und nicht von dem Ziel Kapital zu vermehren, wird durch eine Hausbetzung niemandem geschadet. meistens handelt es sich dabei um seid Jahrzehnten leerstehende Häuser, die am verfallen sind.

    Eine andere mögliche Form der Eigentumsverwaltung würde z.B. die frei zugängliche Nutzung und der Anspruch sein, dass das Haus in gesellschaftlichem Besitz bleibt und Bewohner_innen zwar das Nutzungsrecht aber nicht das Eigentum haben. Und genau dies passiert meistens in besetzten Häusern. Es gibt offene frei zugängliche Nutzer_innen Plenas (alle Probleme um Barrierefreiheit etc. sind natürlich häufig vorhanden und müssen behoben werden) und wenn Beweohner_innen ausziehen, dann verlieren sie auch das Mitsprache recht an den Vorgängen in den WG's.

    Es bleibt dabei Eigentum ist Diebstahl! Diebstahl aber nicht immer Eigentum! Hausbesetzungen sind eine bestehende Notwendigkeit um weiterhin auf die Eigentumsproblematik aufmerksam zu machen und die Hoffnung nicht zu verlieren zumindenst kleine Freiräume zu schaffen in denen alternatives Leben gelebt, soziale Krisen durchgestanden und Fehler gemacht und aus ihnen gelernt werden dürfen.

  • MN
    mein name

    Vielleicht ist es, so falsch es sein mag, noch nicht möglich, die Warenförmigkeit weiter aufzuheben, und deshalb der Einwand von broxx berechtigt?

    Die Genossenschafter waren sich bewusst, dass sie Eigentümer ihrer Produktivkräfte sein müssen. Sie blieben zwar in Warenförmigkeit gefangen, aber als mögliche Alternative war es ein Anfang.

    Als möglicher Mäzen fällt mir die Guggenheim Foundation ein. Die haben in Berlin das BMW Guggenheim Lab mitaufgebaut. Wobei das ja mehr eine langweilige und harmlose Veranstaltung gewesen sein soll. :D

    Wie viel soll das Haus überhaupt kosten? :)

    Auf mich wirkt die Website des Autonomen Zentrums Köln übrigens sehr revolutionskitschig. Liegt das vielleicht an dem bevorstehenden Rauswurf? Und übt dies nicht, in anderer Form, auch Gruppenzwang aus? Nur mal als kritischer Einwurf, eines, naja, vielleicht zu Konservativen... :D

  • B
    broxx

    neenee, einfach "besetzen" aka klauen is nich!

    Scheiss auf diese Form der Selbstverwirklichung!!!

  • P
    Penseuse

    Ich finde es unverständlich wieso Revolte mit Rausch Hand in Hand gehen muss... Rausch vernebelt das Gehirn und hindert die Revolte.

  • V
    Valentin

    @ b.setzer:

    Ich bin jetzt 57, und leider ist dieser Zug für mich abgefahren, und ich hab auch bei weitem nicht genug Kohle, um diese Initiative zu unterstützen. Habe aber gerade die Online-Petition unterschrieben, obwohl ich in BW wohne.

    Ich finde es so klasse und wichtig, dass es junge Menschen gibt, die sich in diesem Raubtierkapitalismus-Dschungel sich solche Inseln der Freiheit schaffen, die ohne Profit funktionieren.

    Leider schaff ich den Ausstieg nicht mehr... wenn ich noch 30 wär...?

    Das Recht auf Rausch, ja, danke der taz für diesen Artikel.

    Und schönen Gruß an die NSA und den BND.

  • R
    Ruffels

    Autonom von Kapitalismus und damit auch Autonom von Geld? Ohne Kapitalismus/Geld würde es die von den Autonomen besetzten Häuser gar nicht geben. Aber das ist dann natürlich das Geld der anderen, also in Ordnung und natürlich gar kein Widerspruch. Man kann seinen Rausch übrigens auch im Wald ausleben,dazu braucht man kein Gebäude. Die frische Luft soll ja sehr gesund sein.

  • B
    @broxx

    Nicht dein Ernst, oder? Da müsste erstmal so viel Geld da sein und den meisten autonomen Gruppen fehlt es verständlicherweise an der Motivation, bei der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie einzusteigen, sich werbewirksam zu präsentieren und auf diesem Weg Gelder einzutreiben.

    Aber klingt so, als würdest du gerne was dazu beitragen. Wenn du was spenden willst, finden sich garantiert Mittel und Wege. Schau zum Beispiel hier - die hier machen das ganz legal (und sind dafür auf Spenden angewiesen): http://decentral.blogsport.de/

  • B
    @broxx

    ich bin sprachlos ob dieser frage. so sehr im kapitalismus eingeschnürt das keine alternativen mehr sichtbar sind? alles muss immer über geld und besitz laufen? mkaaaay...

  • R
    Ruffels

    Hhmmmm, wie wäre es denn, wenn Sie einfach ein Objekt kaufen würden. Da drin können Sie dann machen was Sie wollen. Schon mal darüber nachgedacht? Habe ich vor ein paar Jahren auch gemacht, das nennt sich Eigentum. Ist ein gutes Gefühl.

  • SG
    Schmidt Georg

    gibts denn nicht genun Irrenanstalten in D und wer kauft ein Buch für 20€ über dieses Thema ?!

  • A
    antibuddhist

    @broxx: Weil es nicht immer richtig ist, nur weil es alle machen. Aber da kommen Sie auch noch drauf! Drücke die Daumen

  • H
    Humankapital

    Einfach kaufen. Na das ist ja eine tolle Idee. Warum zahlen Sie denn Miete? Oder überspitzt formuliert: Warum kaufen Sie sich ein Bahnticket und nicht gleich die ganze DB, wenn Sie keine Verspätungen wollen?

  • BO
    bip O Lar

    Der letzte Satz "Die Kritik muss praktisch werden oder sie wird immer weiter verschwinden." würde mir zwar andersherum formuliert besser gefallen (Damit Kritik nicht immer weiter verschwindet, muss sie praktisch werden.), aber er trifft es.

     

    Insofern hat bronxx gar nicht mal so unrecht.

     

    Wäre da nicht dei Tatsache, dass "autonom" halt auch heißt, autonom von Kapitalismus und damit eben auch von Geld. D.h. man will keines brauchen und hat dadurch keins (oder nur wenig) und kann dadurch das Gebäude eben nicht "einfach kaufen".

     

    Mäzene und Sympathisantinnen vor!-)

  • B
    b.setzer

    Mehr Infos und eine Online-Petition unter http://keintagohne.az-koeln.org

  • J
    john

    Sehr, sehr schöner Artikel.

    @broxx: Super. Sie erhalten den Award für den unreflektiertesten Kommentar!

  • G
    gesche

    was ist denn jetzt der sinn des dauernd beschworenen rauschs?

    meint der autor damit eigentlich "freiheit", innere und äußere? oder worum geht es?

  • B
    bronxx

    diese autonomen, vollkommen unverständlich, dass die nich einfach ein paar millionen in die hand nehmen, dabei haben die die doch sicher auf dem konto-haben die anderen(also der rest von uns) doch auch!! frechheit! vollkommen überheblich umsonst in diesem gebäude bleiben zu wollen! weil die stadt ja eigentlich superduper interessiert daran ist, diese reichen autonomen mit einem gebäude zu beglücken! deshalb wäre der zuschlag, wenn sich denn nicht so angestellt würde auch mit hundertprozentiger sicherheit an diese "autonomen" gegangen! das kennt man ja auch aus anderen städten aus ähnlichen projekten!

    verdammt das leben ist doch sowas von einfach!!

  • B
    broxx

    Warum kaufen diese "Autonomen" die Gebäude nicht einfach?

    Machen die anderen (also der Rest von uns) doch auch

  • H
    Humankapital

    Vielen Dank für diesen Artikel. Er spricht mir aus der Seele. Ohne Rückzugs- und Freiräume für die Nicht-Einverstandenen werden diese der Depression ausgeliefert.