piwik no script img

Organisierte Kriminalität in MexikoBlutige Demonstrationen von Macht

In Mexiko stellen Erpressungen und Morde die Regierung auf die Probe. Ein Jahr vor den nächsten Wahlen tobt ein Machtkampf.

Wandgemälde, das an die 43 verschwundenen Studenten in der Provinz Guerrero erinnert Foto: Daniel Becerril/reuters

Berlin taz | Ein Jahr vor den nächsten Wahlen in Mexiko am 2. Juni 2024 sieht sich die Regierung von Präsident Andrés Manuel López Obrador mit einer der schwersten Sicherheits- und Gewaltkrisen des Landes konfrontiert. Autobomben, Entführungen von Polizisten und Mitgliedern der Nationalgarde, Straßenblockaden durch Zivilbevölkerung, die von der Organisierten Kriminalität gesteuert werden, Schulschließungen und ökonomischer Stillstand in mehreren Städten.

Der Bundesstaat Guerrero im Süden Mexikos sticht besonders heraus. Seit über zwei Wochen sind die Hauptstadt Chilpancingo, aber auch die touristischen Hotspots Acapulco und Taxco praktisch unregierbar geworden. Grund ist ein weiteres wachsendes Phänomen: Erpressung. Eine Form davon ist das sogenannte Schutzgeld, das Kleinunternehmern und Händlern abverlangt wird, die Transportleistungen und Dinge des täglichen Bedarfs anbieten.

Am vorvergangenen Wochenende gab es eine tödliche Serie von neun Angriffen durch bewaffnete Männer in Tixtla und Chilpancingo, beides zentrale Orte des Bundesstaates. Die Bewaffneten setzten Taxis in Brand, fünf Fahrer wurden ermordet und fünf weitere Menschen verletzt, darunter drei Passagiere. Alles aufgrund nicht geleisteter Schutzgeldzahlungen.

Am darauffolgenden Montag und Dienstag blockierten rund 4.000 Ein­woh­ne­r*in­nen die Autopista del Sol, die wichtigste Autobahn im Süden. Angeführt von der kriminellen Gruppe „Los Ardillos“, forderten sie öffentliche Investitionen in ihre Gemeinden, viele von ihnen indigen geprägt.

Sie kaperten einen Polizeiwagen, drangen gewaltsam in Büros der Verwaltung ein, verletzten einige Personen und nahmen für 24 Stunden 13 Mitarbeiter als Geiseln, die erst nach Verhandlungen und der Intervention von Bundesbehörden wieder freigelassen wurden.

Zahl der Ermordeten steigt

In seiner morgendlichen Pressekonferenz sagte Präsident López Obrador, diese Machtdemonstration sei durch die Zusammenarbeit zwischen lokalen Behörden mit kriminellen Gruppen möglich geworden. Es handele sich um den Versuch, Lokalregierungen zu destabilisieren, die von seiner MoReNo-Partei geführt werden. Guerrero ist auch einer der Bundesstaaten, in denen schon vor den letzten Wahlen am meisten Kandidaten ermordet wurden.

„Wir werden uns von niemandem in Geiselhaft nehmen lassen“, sagte López Obrador in seiner Morgenkonferenz, aber „wir werden die Gewalt nicht mit Gewalt beantworten“. Seine Regierung und auch die der Gouverneurin von Guerrero, Evelyn Salgado, würden „Präsenz, Geduld und Besonnenheit“ walten lassen.

Den kriminellen Gruppen gehe es darum, „eine soziale Unterstützerbasis zu schaffen, und das erreichen sie mithilfe genau jener Behörden früherer Regierungen, die ihnen Güter zum Verteilen überließen“. Seine Regierung habe hingegen Fortschritte dabei gemacht, den Gruppen diese soziale Basis zu entziehen.

Guerrero steht an siebter Stelle unter den zehn Bundesstaaten mit den meisten vorsätzlichen Morden, wobei die Zahlen in Chilpancingo, Iguala und Acapulco weiter steigen. An erster Stelle steht nach den verfügbaren Daten der Bundesstaat Guanajuato, der von der Opposition regiert wird. Zwischen Januar und Juni dieses Jahres gab es dort 1.647 Morde. An zweiter Stelle folgt der Bundesstaat Mexiko mit 1.330, Baja California mit 1.157, Jalisco mit 1.095, Chihuahua mit 1.091 und Michoacán mit 909 Morden.

Erpressung allgegenwärtig

Für Unternehmer aus Guerrero, die sich öffentlich nur anonym äußern wollen, geht es bei den Erpressungen und Straßenblockaden um eine Machtdemonstration der Organisierten Kriminalität. 2013, im Jahr der schlimmsten Gewalt in Guerrero, stellte die Bundesregierung 30 Unternehmer unter besonderen Schutz, die erpresst und mit dem Tod bedroht wurden.

Damals, berichtet ein Unternehmer, „wurden alle Geschäfte erpresst, selbst die Menschen, die mit einer Holzkarre Früchte verkaufen. Einmal erzählte mir der Besitzer einer Hühnerfarm, dass er jede Woche 15.000 Pesos Schutzgeld zahlte, die Eintreiber kamen pünktlich jeden Samstag. Ich sprach dann mit einem Kontakt, den ich bei den Bundesbehörden hatte, es gab eine Polizeioperation, der Eintreiber wurde verhaftet und schließlich die ganze Zelle geschnappt.“ Auf lokaler Ebene waren sie immer geschützt, agierten in vollkommener Straflosigkeit.

Laut der örtlichen Behörden ist 2022 allein in Guerrero die Zahl der Erpressungen um 93 Prozent gestiegen. Die Antwort der Bundesregierung bestand bislang daraus, mehr Nationalgardisten zu schicken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Komisch, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen sein können.

    Denn kürzlich konnte man lesen, das beste Land zum Auswandern ist laut der Umfrage „Expat Insider 2022“ Mexiko. In keinem der untersuchten Staaten fiel es den Teilnehmern leichter, sich einzugewöhnen. „Expats beschreiben die Bevölkerung als freundlich (90 Prozent vs. 66 Prozent weltweit), und es fällt ihnen leicht, mit Einheimischen Freundschaft zu schließen (75 Prozent vs. 42 Prozent weltweit)“, berichtete InterNations. Die schlechtesten Noten erhielt Mexiko von seinen Expats beim Arbeiten (17. Platz) und bei der Lebensqualität (24. Platz). Am Ende zeigten sich 91 Prozent mit dem Dasein in Mexiko zufrieden. Deutschland landete in der Umfrage übrigens lediglich auf Platz 42.

  • Und warum sind die Kartelle so mächtig und reich? Weil die US-Amerikaner so viele Drogen konsumieren. Eigentlich ein hausgemachtes Problem.

    In diesem Zusammenhang kann ich die Roman-Trilogie vom amerikanischen Autor Don Winslow nur empfehlen, extrem gut recherchiert, sehr spannend erzählt beleuchten die Roman die mexikanische wie amerikanische Seite.

    Don Winslow - Tage der Toten

    Don Winslow - Das Kartell

    Don Winslow - Jahre des Jägers

  • Es handelt sich hier im Endeffekt um das wachsen eines Staates im Staat gleich einem Tumor. Das Staatliche Monopol auf Gewalt, Steuern, und Kontrolle der Wirtschaft wird sukzessive ausgehebelt. Dabei reicht der Einfluss des schmutzigen Geldes der Diktatoren im Hintergrund bereits weit in die Demokratischen Institutionen hinein, und auch die legale Wirtschaft gerät mehr und mehr unter die Kontrolle jener Akteure. Dabei ist der Mafia-Staat aber weiterhin abhängig von seinem befallenen Gastgeber. Denn eine Sicherheit, Zukunft, Hoffnung, soziale Versorgung, legale und sichere Wege zur Teilnahme an der Internationalen Ökonomie usw kann er nicht bieten. Die Kartelle brauchen den echten Staat als Hülle. Ihr ultimatives Ziel ist es somit den echten Staat als Zombie zu erhalten um unter seinem Deckmantel ihre internationalen Geschäfte auszubauen und langfristig auch andere Staaten zu infizieren.

    • @Berglandraupe:

      Und das alles Dank der Prohibition durch den Westen.