Klimawandel in Mexiko: Vom Meer verschlungen

Der Südosten Mexikos war einst eine wasserreiche Region mit funktionierenden Ökosystemen. Doch der Klimawandel wird zunehmend spürbar.

Foto links: Juni 2022 - Ein Haus steht nah am Meer, umsäumt von Palmen - Foto rechts: Februar 2023 das Haus ist zerstört, die Palmen weggeschwemmt

Das Meer hat zahlreiche Gebäude komplett zerstört Foto: Greenpeace Mexico

EL BOSQUE taz | Cristina Pacheco hatte den Ausdruck „Klimawandel“ noch nie gehört, bevor das Meer ihr Haus verschluckte. Alles war zerstört außer einer gelb gestrichenen Abdeckung, die noch immer dem Ozean den Rücken zukehrt, wie auf Fotos zu sehen ist, die sie zeigt. In dem Loch, das der Haupteingang war, brechen sich die Wellen, und man kann die Wolken sehen. Die Betonabdeckung ist heute der einzige Hinweis darauf, dass Cristina und ihre Familie einmal ein Zuhause hatten.

Die Gemeinde El Bosque in Tabasco, einem Bundesstaat im Südosten Mexikos, wird langsam vom Meer verschlungen. Die Menschen dort merkten vor ein paar Jahren, dass die Wellen immer näher kamen, nicht mehr zurückgingen und begannen, ihre Häuser zu überschwemmen. 2019 konnten die Häuser, die am nächsten am Wasser gebaut worden waren, nicht mehr bewohnt werden.

Das Haus von Cristina hielt bis kurz vor Weihnachten vergangenes Jahr durch. Ein heftiger Knall im Morgengrauen zeigte an, dass das Unvermeidbare eingetreten war: In den Wänden breiteten sich Risse aus. Mit unterschiedlichen Nuancen hat sich diese Geschichte in den letzten drei Jahren andauernd wiederholt: Der Meeresspiegel stieg, bis mindestens 60 Häuser, die Schulen und die Kirchen zerstört waren.

Nach Informationen der Autonomen Universität Juarez in Tabaco ist das Meer in El Bosque in den letzten drei Jahren 200 Meter landeinwärts gekommen. „Vorher ist das Meer gekommen und hat sich wieder zurückgezogen. Aber plötzlich war das anders, das Meer kam und blieb an unserer Haustür. Da haben wir verstanden, was dieser Ausdruck Klimawandel bedeutet, den wir dauernd hören,“ sagt Cristina in einem Videotelefonat.

Wissenschaftler sagen, dass es nicht so einfach ist, jedes klimatologische Ereignis mit dem Klimawandel und den Betroffenen zusammenzubringen, die sich manchmal in Vertriebene verwandeln. Aber die Forscherin Lilia Gama bestätigt, dass das, was in El Bosque passiert ist, sehr wohl ein Effekt des Temperaturanstiegs auf dem Planeten ist. Sie war die Erste, die in der Gemeinde den Ausdruck Klimawandel gebrauchte. Niemand dort hatte den Begriff je zuvor gehört.

Den Schutz verbaut

Alles ging sehr schnell, erzählt die Wissenschaftlerin, die seit mehr als 15 Jahren die Küstenerosion im Süden des Landes erforscht. Die Bevölkerung hatte sie ursprünglich nicht auf ihrer Liste der vom Anstieg des Meeresspiegels bedrohten Dinge, denn bis vor einigen Jahren deutete nichts auf eine solche Entwicklung hin. Die Gemeinde liegt nahe einer der Mündungen des Flusses Usumacinta, einem der wasserreichsten der Region, und den natürlichen Schutzmechanismen wie Dünen und Mangrovenwäldern. Deshalb dachte sie, das Dorf sei sicher. Aber das Stadtgebiet wurde größer, neben dem Fluss wurde eine Landstraße gebaut, die Vegetation verschwand. El Bosque begann, seinen Schutz zu verlieren.

„Die Häuser im Dorf waren nicht der Grund für das, was geschehen ist, denn sie waren weit weg vom Strand gebaut. Aber wenn du die Ökosysteme veränderst, auch wenn es nur ein bisschen ist, setzt du eine Kettenreaktion in Gang, und die führt dann zu dem, was passiert“, erklärt Forscherin Lilia Gama. El Bosque wurde durch zwei weitere Faktoren verwundbar: das Steigen des Meeresspiegels und die Winterstürme, die immer stärker werden.

Rita Pacheco, 76, sagt, dass sie vor drei Jahrzehnten von ihrem Haus aus mindestens eine halbe Stunde zum Strand laufen musste. Das hat sich geändert: Seit etwa fünf Jahren sieht sie die Wellen aus ihrem Fenster. Am Anfang habe sie das normal gefunden, weil mit Stürmen und Hurrikanen immer das Wasser ein bisschen steigt, bevor es auf sein Normalniveau zurückgeht.

„Aber obwohl gar kein schlechtes Wetter war, kam das Meer immer näher, und da haben wir angefangen, uns zu fragen, was hier los ist. Von meinem Haus steht nur noch eine Wand, und das Meer hat sich nicht zurückgezogen“, erzählt er am Telefon.

Zwischen Ölförderung und Biodiversität
Foto links: Juni 2022 - Ein Haus, das zu nah am Meer steht, ist weitgehend zerstört, die Palmen eingeknickt Foto rechts: Februar 2023 Das Meer hat sich das Haus geholt, es steht nur noch ein Mauerrest mit einem Fenstergitter

Wer betroffen ist, hofft auf eine Umsiedlung Foto: Greenpeace Mexico

Der Bundesstaat Tabasco ist ein Ort der Widersprüche: Er ist einer der Bundesstaaten mit der breitesten Biodiversität Mexikos und gleichzeitig ein traditioneller Ölstaat mit großen staatlichen Förderinstallationen. Das zwischenstaatliche Klimawandelforum hat Tabasco als einen der in den kommenden Jahren am stärksten gefährdeten Orte identifiziert.

Der Grund: Das Territorium ist flach und liegt an vielen Stellen sogar unter dem Meeresspiegel. Jeder Anstieg wird negative Folgen mit sich bringen. Einige Studien entwerfen ein Katastrophenszenario. Climate Central sagt: Beim jetzigen Tempo von Temperatur- und Meerespiegelanstieg könnte bis 2050 etwa ein Viertel des Bundesstaates unter Wasser stehen, wenn keine Hochwasserschutzsysteme wie etwa in den Niederlanden gebaut werden.

„Wenn es an den Flussmündungen und Stränden so flach ist, dann reicht ein relativ geringer Meeresspiegelanstieg, um das Wasser ins Landesinnere vordringen zu lassen“, erklärt Peter Girard, Vize-Sprecher von Climate Central.

In Gemeinden wie El Bosque kommen mehrere Faktoren zusammen, die in Lateinamerika und der Karibik häufig vorkommen, die aber die von der Klimaerwärmung ausgehende Krise verschärfen: Geschlechterungleichheit, Armut, fehlende Stadtplanung und niedrige Löhne. In Tabasco zum Beispiel liegt laut offiziellen Zahlen das durchschnittliche Monatseinkommen bei umgerechnet knapp 330 Euro.

Noch erfasst Mexiko Klimavertriebene nicht, und es gibt auch kein Bundesgesetz, das sie als Vertriebene oder Klimafolgenflüchtlinge anerkennen würde, auch wenn das in einigen Bundesstaaten so gehandhabt wird. Das Land hat einige Versuche unternommen, um dafür Regelungen einzuführen, aber bislang hat das noch nicht zum Erfolg geführt, und die Datenlage ist dünn.

Rekordzahl an Geflüchteten

Das Internationale Beobachtungszentrum für Binnenvertriebene (IDMC) mit Sitz in Genf hat für das vergangene Jahr in Mexiko 7.723 aufgrund des Klimawandels intern Vertriebene gezählt. Das ist bei Weitem nicht der Höchststand: 2020 gab es in der Region außergewöhnlich viel Regen, und das sorgte auch für einen Rekord in der Zahl der Flüchtlinge. In Lateinamerika stehen Kuba, Brasilien und Kolumbien an der Spitze der Liste. Stürme und Überschwemmungen setzen der Region am meisten zu, obwohl auch die Dürren inzwischen ein nennenswerter klimatischer Faktor sind.

Ricardo Fal-Dutra Santos, einer der Koordinatoren des IDMC, sagt, dass es zwei Probleme gibt, um die Anzahl der klimawandelbedingten Binnenvertriebenen korrekt zu ermitteln: das Fehlen von globalen Daten und die Unfähigkeit, Fluchtgründe eindeutig auf den weltweiten Temperaturanstieg zurückzuführen. „Wir wissen nicht exakt, wie der Klimawandel die Katastrophen verursacht oder beeinflusst“, sagt er. Der wesentliche Faktor, der zu dieser Unsicherheit beitrage, sei die mangelnde Verfügbarkeit von Daten.

Im vergangenen Jahr berichtete das IDMC einen weltweiten Rekord von 71 Millionen Binnenvertriebenen, beflügelt insbesondere durch den Krieg in der Ukraine. Aber auch bei Klimavertriebenen ist ein Meilenstein gesetzt worden: 4,2 Millionen weltweit und 103.000 in Lateinamerika. Dort werden weniger Daten erhoben als in Europa, Asien oder selbst Afrika, aber das hat nicht zu bedeuten, dass die Klimakrise die Region nicht betreffen würde.

Cristina Pacheco und ihre Nachbarn in Tabasco hoffen darauf, in den kommenden Monaten umgesiedelt zu werden. Wer in einem der rund 30 Häuser lebt, die in El Bosque noch stehen, rechnet mit dem Unabwendbaren. Unterdessen ist eine der Nachbarinnen in die einzige Kirche eingezogen, die noch übrig ist. Sie hatte sich geweigert, ihr Haus zu verlassen – aber als sie aufwachte und das Wasser bereits an ihrem Bett stand, ging sie doch.

Aus dem Spanischen von Bernd Pickert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.