Organisationen fordern Lieferkettengesetz: Drei Gründe für mehr Regulierung
64 NGOs fordern gemeinsam, dass Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen bei ihren Zulieferern haftbar gemacht werden. Was würde es helfen?
Zu wenig aus Sicht von 64 Organisationen, darunter das katholische Hilfswerk Misereor, die Entwicklungsorganisation Oxfam, der Umweltverband BUND und der Deutsche Gewerkschaftsbund. Diese forderten am Dienstag gemeinsam ein Lieferkettengesetz. Damit könnten Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltfrevel im Ausland haftbar gemacht werden. Wie würde das gehen?
Beispiel 1: Der deutsche Chemiekonzern BASF bezieht jedes Jahr Platin im Wert von rund 600 Millionen Euro aus der Marikana-Mine in Südafrika, um Abgaskatalysatoren für die deutsche Autoindustrie zu beschichten. Im August 2012, schon damals war BASF Großkunde, wurden dort 34 Beschäftigte erschossen, die für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen gestreikt hatten. Bis heute leben rund 30.000 Arbeiter rund um die Mine ohne Strom, fließendes Wasser oder Sanitäranlagen. Die Brunnen führten aufgrund des enormen Wasserverbrauchs beim Platinabbau oft tagelang kein Wasser. Die Initiative meint: Wäre das Platin mangelhaft, hätte BASF dies „allein aus Haftungsgründen gegenüber seinen Kunden“ kaum hingenommen. Aber die Produktionsbedingungen? Die müssten mit einem Lieferkettengesetz „ähnliche Bedeutung“ bekommen. Was das genau heißt?
Kinderarbeit im Fokus
Beispiel 2: Kakao für Schokolade kommt zum Großteil aus Westafrika, vor allem aus der Elfenbeinküste und Ghana. Dort schuften rund zwei Millionen Kinder, sie schleppen zu schwere Kakaosäcke, versprühen Pestizide ohne Schutzkleidung, verletzen sich immer wieder, weil sie mit Macheten arbeiten. Dabei versprachen schon vor knapp zwanzig Jahren Kakao- und Schokoladenhersteller, bis 2005 „die schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu beenden“. Heute, erklärt die Initiative, strebten die Schokoladenhersteller nur an, die Kinderarbeit bis 2020 um 70 Prozent zu reduzieren. Mit einem Lieferkettengesetz müssten Süßwarenhersteller zunächst klären, wie groß das Risiko ist, dass Kinder für sie arbeiten, Gegenmaßnahmen ergreifen und darüber berichten, was diese bringen.
Denn: Alle großen Unternehmen, die in Deutschland ansässig sind oder Geschäfte tätigen, sollen die Auswirkungen auf Menschenrechte, die Belange der Beschäftigten und die Umwelt ermitteln, dann gegensteuern und öffentlich machen, wie gut sie dabei sind. Wenn sie sich weigern, soll es Bußgelder geben oder den Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.
Bundesregierung fragt lieber freundlich nach
Beispiel 3: Anfang 2019 brach in einer Eisenerzmine nahe der Stadt Brumadinho im Südosten von Brasilien der Damm eines Rückhaltebeckens für Bergbauabfälle. Eine giftige Schlammlawine rollte über Teile der Anlage und benachbarte Siedlungen hinweg. 246 Menschen starben, ein Fluss wurde verseucht. Kurz vor dem Unglück hatten Mitarbeiter der brasilianischen Tochter des TÜV Süd die Rückhaltebecken noch geprüft und für sicher befunden. Im Mai sah es dann ein brasilianisches Gericht als erwiesen an, dass der TÜV von den Sicherheitsmängeln gewusst, diese jedoch verschleiert habe, um Verträge mit dem Bergbaukonzern Vale nicht zu gefährden.
Gäbe es das Lieferkettengesetz, müsste TÜV Süd dafür sorgen, dass sein brasilianisches Tochterunternehmen Sorgfaltspflichten einhält. Und falls nicht, könnten Betroffene eine Zivilklage gegen TÜV Süd in Deutschland einreichen.
Die Bundesregierung scheut sich allerdings vor verbindlichen Vorgaben. Sie lässt derzeit 1.800 Unternehmen befragen, wie gut sie bereits auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen achten. Erst wenn die Umfrage ergibt, dass mehr als die Hälfte der Firmen dabei Mängel haben, sollen weitere Schritte geprüft werden.
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