Ordnungs-Hype auf Netflix: Does it spark joy?
Marie Kondo bringt Wohlstandsverwahrlosten das Aufräumen bei. Und konfrontiert sie dabei mit der Frage nach dem guten Leben.
Sie würden nie zu Primark gehen, um Wegwerf-Klamotten zu kaufen – ganz im Gegenteil würden Sie nie auf die Idee kommen, auch nur irgendein Kleidungsstück wegzuwerfen. Auch und gerade nicht, wenn Sie es noch nie getragen haben, weil es ein Fehlkauf war. Und wer Bücher wegwirft, verbrennt womöglich auch welche – weshalb sich in Ihrem Bücherregal sogar uralte Reclam-Ausgaben von Goethes „Faust“ aus der Schulzeit befinden.
Wenn man es schafft, hinter die zweite Schicht Ratgeber zu gelangen, die gnädig bedeckt sind von einer Renommier-Front aus Romanen. Papier ist generell wichtig, weshalb es auch in Form loser Blätter und Haufen aufbewahrt werden muss, irgendwo, und eben nicht nur die Unterlagen für die Steuer oder das Hochschulzeugnis. Die Stapel alter Magazine, Zeitungen und Flyer werden noch erdrückender, wenn einen sogar die Social-Media-App auffordert, doch gerne mal bei Gelegenheit die gespeicherten Dokumente zu verwalten und einem klar wird, dass man die JPEGs aus der Cloud wohl niemals in Alben kleben wird.
„Beach Bodies werden im Winter gemacht“, schreit einem die App noch schnell in großen, blinkenden Lettern hinterher – aber auch ein Gang in die Küche kann nicht beruhigen, lauern dort doch in Schubern und hinter Schranktüren unzählige halb aufgebrauchte Tüten mit Trendgetreide, nicht mehr länger haltbaren Gewürzmischungen aus dem Nahen Osten und allmählich sich selbst mumifizierenden Sardellenfilets im Glas. Auch Lebensmittel wirft man ja nicht weg.
Und im Bad: überall Makro-Plastik. Flaschen, Behältnisse und Tuben mit Tinkturen, ranzig gewordenen Cremes aus dem Duty-Free-Shop und Puder, den man vor zwanzig Jahren im italienischen Supermarkt in Köln gekauft hat und der an eine einst enge Freundin erinnert. Puder?! Ja, es gibt diese Momente, in denen man glaubt, dass es nicht mehr weitergeht: Die EU droht auseinander zu brechen, ein Konflikt zwischen den USA und Russland oder den USA und China könnte sich jederzeit hochschaukeln. Die nächste Finanzkrise droht, der Klimawandel – und das Toilettenpapier ist auch alle.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Kurzum, es ist alles ein riesengroßer „Clutter“ (Unordnung). Doch dann fährt plötzlich ein schwarzer Van vor und zwei zierliche Frauen steigen aus, die eine hält einen Regenschirm, damit die andere nicht nass wird. Denn natürlich regnet es auch noch. Doch sobald Sie den beiden die Haustür aufmachen, schreien sie auch schon wie von Sinnen „Hiiiiiiiiiiiiiii“ und Sie schreien auch „Hiiiiiiiiiiiiiiiii“ und dann umarmen Sie einander und schreien noch „sooo nice to meet you“.
Und dann setzt sich eine der beiden netten Frauen, die Sie noch nie gesehen haben, irgendwo auf den Fußboden und nimmt Kontakt zu Ihrem Wohnumfeld auf, zu dem Sie ja längst den Kontakt verloren haben. Und fordert Sie auf Japanisch auf, all Ihre Kleidungstücke auf einen großen Haufen zu stapeln. Die andere Frau übersetzt Gott sei Dank nur.
Die KonMari-Methode treibt einen in den Wahnsinn
Jetzt sind Sie erst recht durcheinander? Dann müssen wir mal kurz gemeinsam aufräumen: Bei der netten japanischen Dame mit dem freundlichen Lachen handelt es sich um Marie Kondo, Autorin des Buchs „Magic Cleaning. Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert“ – und die Szene enstammt der Netflix-Serie „Aufräumen mit Marie Kondo“, die seit Anfang des Jahres in allen deutschen Munden ist. Endlich oder auch schon wieder mal. Bereits 2015 wurde die Beraterin Marie Kondo vom Time Magazine als einer der 100 einflussreichsten Menschen der Welt bezeichnet. Denn die Frau, die anderen rät, dass man höchstens 30 Bücher besitzen sollte, hat davon selbst rund 10 Millionen verkauft und war monatelang auf der Bestsellerliste der New York Times. Schaut man bei den deutschen Amazon-Rankings nach, findet man sie auch dort aktuell unter den ersten zehn – dank des Netflix-Hypes, der sie endgültig weltberühmt gemacht hat.
Schon seit fünf Jahren wird die Aufräum-Dame in Frauen-Magazinen von Für Sie bis Brigitte durchgereicht und es gibt auch bereits einen kritisch-feministischen Kondo-Diskurs: Frauen, die ihre Lebenzeit damit verbringen, Wäsche auf anspruchsvolle Art und Weise zu falten und Haushaltsgegenstände in hübschen kleinen Boxen aus Papier zu verstauen, der Größe nach geordnet – kann das denn wirklich wahr sein in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts?
Während Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten ist, bezieht sich Kondos Einfluss eher darauf, dass in immer mehr Haushalten die Socken dreifach gerollt und T-Shirts so gefaltet werden, dass sie in einer Schublade nicht etwa übereinander geschichtet sondern hochkant nebeneinander gereiht und so mit einem Griff herausgezogen werden können.
Man ahnt hier schon, dass die sogenannte „KonMari“-Methode auch geeignet sein könnte, einen in den Wahnsinn zu treiben. Dabei will die Frau uns doch nur helfen. Und ein Blick in die erste Staffel von „Aufräumen mit Marie Kondo“ zeigt, dass auch und gerade wohlstandsverwahrloste Menschen in der westlichen Welt (hier insbesondere: Kalifornien) Hilfe brauchen.
Die Muji-Version des Shintoismus
Der erste Kleiderhaufen entsteht zum Beispiel im großzügig dimensionierten und zeitgenössisch eingerichteten, aber bedingt durch Familiengründung chaotisierten Heim der Familie Friend. „Wir haben einfach zu viele Dinge“, erklärt Vater Kevin im American-Apparel-Hoodie – Ehefrau Rachel sekundiert unter Tränen: „Ich möchte so gerne die Dinge wertschätzen, die wir haben, anstatt immer nur mehr zu wollen.“ Und doch geht es hier eher um gezieltes Wegwerfen unter professioneller Anleitung und weniger um ernsthafte Konsumkritik – Rachel und Kevin sollen nun die Dinge, die sie besitzen, einzeln in die Hand nehmen und überlegen, ob sie ihnen tatsächlich etwas bedeuten: „Does it spark joy?“, fragt Marie Kondo, während sie durch das Wohnzimmer koboldet und warmherzig lächelt.
Der Spruch wurde längst zum geflügelten Wort, ebenso wie „to kondo“ in der englischsprachigen Welt längst zum Verb mutiert ist. Does it spark joy, macht es dir Freude oder kann das weg? Schon hat Marie Kondo einen ein bisschen am baumwollenen Wickel, denn geht es nicht auch darum? Was bedeuten einem die unzähligen Dinge, mit denen man sich umgibt, tatsächlich? Helfen sie, den Alltag zu bewältigen, drücken sie etwas aus oder repräsentieren sie eine Erinnerung, die es wert ist, festgehalten zu werden? Oder stehen sie bloß dumm rum?
Ohne dass diese Philosophie explizit ausgeführt würde, arbeitet Kondo mit einer Art Muji-Version des Shintoismus, einer in Japan verbreiteten ethnischen Religion, zu deren Glaubenssätzen unter anderem gehört, dass auch Dinge beseelt sind. Eigentlich ist es aber ganz unkompliziert: Kondos Prinzip beruht darauf, alle Dinge zusammenzusuchen, die zu einer Kategorie gehören. Danach geht es darum, sich zu fragen, ob der Gegenstand einem Freude bereitet. Tut er das nicht, soll er verabschiedet und entsorgt werden. Die Figuren, Vasen oder Fotos, die bleiben dürfen, sollen hingegen für immer einen festen Platz bekommen.
Marie Kondo macht vieles richtig, sonst wäre sie nicht so erfolgreich. Böse Zungen sagen „Aufräumporno“ zu dem, was sie auf Netflix veranstaltet. Tatsächlich kann man den Leuten hier in die unaufgeräumten Küchenschränke und in sämtliche fiesen Ecken gucken, die sonst verdeckt bleiben, wenn Besuch kommt.
Mehr als Sockenfalttechniken
Auch wird geweint, als stünde Vera Int-Veen vom Reality-TV auf der Matte – doch anders als Rach, Restauranttester, und anderen aus deutschen Coaching-Formaten bekannten, eher klassisch-autoritär auftretenden Lichtgestalten („Ich habe dir ja gesagt, wie es geht. Warum hörst du nicht zu?!“) gelingt es Kondo, eine gute Helferinnen-Position einzunehmen: Sie beurteilt das Chaos, nicht aber die Leute, die das Chaos angerichtet haben. Sie bietet Struktur, ohne zu stark zu kontrollieren. Vor allem lässt sie den Leuten Entscheidungsmöglichkeiten – does it spark joy or not?
Es ist eine Art Therapie, bei der die Menschen mit ihren Dingen konfrontiert werden, um dann selbst entscheiden zu können: Wie will ich leben und was brauche ich dazu? Vom Ansatz her ist das nicht schlecht – und wohlmeinend kann man auch sagen, dass die Methode Kondo viel mehr bietet als Sockenfalttechniken. Das junge Paar, die Kleinfamilie Friend, ringt in dieser Folge aufrichtig um das Gelingen ihrer Ehe, die droht zwischen vollen Windeln, herumliegendem Spielzeug und nicht abgespültem Geschirr zu scheitern. Die beiden werden eben nicht nur mit ihren Dingen konfrontiert, sondern mit ihrem Leben: Die Hochzeitsfotos und schönen Erinnerungen aus der Anfangszeit der Beziehung gammeln in der Garage (die Kevin aufräumen soll …), derweil Rachel die Küche (…) und die Wäsche (…) nicht in den Griff bekommt. Alles hat sich verändert, seitdem die beiden Kinder da sind. Und Rachel und Kevin scheinen gar nicht zu wissen, wie ihnen geschieht.
Da kommt so eine elfenhafte Fremde wie gerufen. Auch wenn diese im richtigen Leben längst eine eigene Talkshow hat, gegen Entgelt Coaches ausbildet und die von ihr als entlastend gepriesenen kleinen und mittelgroßen Papierboxen, in denen alles und jeder verstaut wird, mittlerweile in einer eigenen Edition (rund 90 Dollar im Set) vertrieben werden. Man wartet eigentlich nur noch darauf, dass demnächst die ersten Marie-Kondo-Shops eröffnen – ihr Ehemann hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Kondo-Imperium zu managen und verstaut viele Scheine in Schächtelchen.
Die schmucken Kondo-Schächtelchen sehen genau so aus wie jene, in die Apple seine Produkte verpackt (und die man so ungern wegwirft, eben weil sie so schmuck sind). Und so, wie das Haus der Kleinfamilie Friend nach gelungener, vier Wochen dauernder Aufräum-Aktion endlich genau so aussieht wie all die anderen amerikanischen Mittelschichts-Wohungen in den Netflix-Serien von „Modern Family“ bis „Grace & Frankie“, ist der gesamte mit Kondo verbundene Lifestyle extrem instagramable. Es geht ja um den Wohlstandsverwahrlosungs-Zeitgeist.
Jede Zeit hat die Ratgeber, die sie verdient
Unter dem Hashtag #konmari finden sich mehr als 203.000 Einträge, alles voller gefalteter Baumwollwäsche in Ikea-Körbchen, akkurat geordneter Vorratskammern mit farblich auf die Cornflakes abgestimmten Behältnissen; lustig-verzweifelte Selfies vor riesigen Kleiderbergen. Andere wollten eigentlich den Schrank aufräumen und posten dann doch lieber Fotos vom Waschbrettbauch – die Wäsche soll ja weg. Instagram halt, mal mit, mal ohne Filter. Man sieht Plakate satirischen Inhalts (ein Trump-Porträt mit der Frage: „Does it spark joy?“) und Schlaf- und Wohnzimmer, die offensichtlich nach dem Vorbild von Kondos gelegentlich in der Serie gezeigter (angeblich) eigener Wohnung eingerichtet wurden: klare Strukturen, Pastellfarben, Grau, hier und da ein kleines Regal und die ein oder andere Sukkulente oder Grünpflanze. Und immer wieder Schränke, Schubfächer, Boxen. Linien, Ecken, Kanten. Ordnung.
Aber es gibt auch diese Kondo-Momente, in denen man denkt: So, jetzt werden hier mal die Bierdosen auf den Tisch gestellt und die Aschenbecher vollgeraucht. An die pastellfarbene Wand wird mit Tesa-Film ein altes Beastie-Boys-Plakat geklebt und alle Freunde aus der Facebook-Gruppe werden eingeladen, um sich auf diesem blöden grauen Designer-Sofa zu wälzen und überall Acrylamid-Chips-Krümel zu verteilen. Und die Kippen werden ausgedrückt, wo es gerade passt, auch in den Sukkulenten-Töpfen, und wer aus Versehen von der Ecstasy-Bowle aus dem Plastikeimer trinkt, hat halt Pech gehabt und muss sich nicht wundern, wenn er irgendwann im Verlaufe des Abends sabbernd im begehbaren Kleiderschrank aufwacht, auf einem Uniqlo-Klamottenberg liegend. Aaaaaaaahhhhh!
Jede Zeit hat die Ratgeber, die sie verdient. Aber zurück zum Thema: Auch die Prinzipien der Diversity sind beim Produkt Marie Kondo eingepreist, so wie bei fast allen global agierenden Unternehmen. In der Netflix-Serie haben WASPs und Menschen mit japanischen Wurzeln, People of Color und auch Schwule ihren betont selbstverständlichen Auftritt. Sie alle eint, dass sie es sich leisten können, zu viele Dinge zu haben.
So wie Frank und sein Lebensgefährte, die zwar eine schöne, ausreichend große Wohnung in West-Hollywood haben, dort aber weiterhin hausen wie im Studentenwohnheim. Es hakt bei der nächsten Stufe, dem Übergang in die Sphäre des Erwachsenenlebens mit Salatschleuder und aufgeräumten Schubladen. Gut, dass es Marie Kondo gibt, „Hiiiiiiiiiiiiiiiiiiii“. Das Problem ist nämlich, dass Franks Eltern zu Besuch kommen – und er ihnen zeigen möchte, dass sein Leben (und seine Beziehung zu einem Mann) ernst zu nehmen sind. Und er trotz aller Enttäuschungen, die er seinen Eltern glaubt zugefügt zu haben, glücklich ist und sein Leben im Griff hat: „Die Wohnung ist ja doch auch ein Symbol für unser Verhältnis zur Welt“, sagt er unter Tränen. Und hat womöglich recht.
Die Dame bedankt sich bei ihrer Handtasche
Dank Marie Kondo sind die Klamotten am Ende gefaltet, die Wohnung entmüllt und es gibt ein Happy End: Die Eltern kommen und sind stolz auf ihren Sohn, sagen „alles, was sie sagen sollten, ganz ohne Teleprompter“ (Frank). Es darf auch gelacht werden – und die Schicksale der hier auftretenden Edel-Messies sind zum Teil wirklich berührend. Da ist dieses Ehepaar, dessen Kinder nun aus dem Haus sind – es ist allein mit all den Hinterlassenschaften eines glücklichen Familienlebens, das es so nie wieder geben wird und an dem das Paar trotzdem mit aller Macht festhält. In Form von Weihnachtsbeleuchtungen, Spielzeug und Unmengen unsäglichen Tinnefs.
Da ist diese nette ältere Frau, die ihren Mann vor acht Monaten verloren hat und nun, gut amerikanisch, versucht, nach vorne zu schauen. Die Herausforderung besteht darin, sich von einer Last von Erinnerungen zu befreien, die überall in dem nun zu großen Haus in Schubladen lauern. Und im Kleiderschrank: Die Hosen, Jacken, Pullover ihres verstorbenen Mannes. Da stehen noch seine großen Schuhe neben ihren kleinen. Es nimmt einen mit. Und am Ende hat sie es dann geschafft und fährt mit den riesigen Kleidersäcken auf der Ladefläche ihres ebenfalls riesigen Trucks zur Altkleiderspende.
Natürlich ist alles zu viel. Es sind zu viele Dinge, zu viel Konsum. Klar.
Ein schönes Kondo-Gimmick ist, dass man sich aufgrund des Muji-Shintoismus nach Feierabend bei seinen Socken bedanken soll, weil sie einen durch den Tag getragen haben. Die Dame Kondo bedankt sich laut eigenem Bekunden abends sogar bei ihrer Handtasche und sagt ihr, dass sie sich gut ausruhen möge für die Strapazen des nächsten Tages.
Aber eigentlich geht es bei Marie Kondo um das Loslassen. Und besonders schlimm ist das nun mal bei den „sentimental items“, bei den Dingen, an denen wir hängen. Gruselig ausschauende Vasen, die einst Tante Soundso vom Niederrhein gehört haben. Das klobige DDR-Rauchtischchen, das einen an die Neunziger erinnert. Einrittskarten für abseitige Theatervorstellungen in Hinterhöfen und Badges in Plastikhülle, die an langen, bunten Bändern befestigt sind und mal den Zutritt zu etwas Großem bedeuteten. T-Shirts, die sich schon halb auflösen, aber eben auch mit an jenem Strand waren, an dem man einst frisch verliebt sich auf harten Steinen geküsst hat. Nimmt man diese Dinge in die Hand, passiert ja tatsächlich etwas mit einem: Erinnerungen, Gefühle kommen an die Oberfläche. Gute wie schlechte. Bei manchen Dingen zerreißt es einem das Herz, wenn sie aus Versehen herunterfallen. Die Tasse mit Goldrand, die schon einen Sprung hatte, aber …; und bei anderen Dingen ist es einfach nur eine Befreiung, sie endlich loszuwerden.
Ein Deckel für das Brexit-Drama
„To kondo“ ersetzt offensichtlich bei vielen Menschen einen Effekt, der sonst bei Umzügen eintritt. Denn wer umzieht, wird automatisch gezwungen, jeden einzelnen Gegenstand seiner Existenz in die Hand zu nehmen, bevor er in die Kiste kommt. Allerdings bleibt bei Hau-Ruck-Umzügen meist nicht genug Zeit, um sich bei jedem Sparschäler und jedem Stofftier aus Kindertagen zu fragen, ob es joy sparkt. Umziehen ist eher wie eine Naturkatastrophe.
Aufräumen. Das Thema ist simpel, universell und so nah am Bauchnabel der Menschen, dass der irre Erfolg Kondos eigentlich kein Wunder ist. Nimmt man noch ein paar Ingredienzen hinzu, kann man auch den aktuellen Hype in Deutschland erklären: Der Netflix-Launch kommt genau richtig, nämlich in der Zeit der guten Vorsätze, dem Jahresbeginn. Eine Zeit, die ohnehin zum „Nesting“ einlädt: Wenn der Weihnachtsschmuck abgebaut ist und zurück in der Kammer, kann man diese doch vielleicht gleich aufräumen?
Eingekauft wurde vor Weihnachten genug, da braucht man sowieso Platz für den ganzen neuen Kram. Und wenn die Sonne dann doch mal durch die zwischenzeitlich verdreckten Fenster scheint, kann man sich schon mal warmlaufen für den Frühjahrsputz.
Der macht zwar Arbeit, ist aber auch ein Versprechen auf Licht: Hoffnung braucht der Mensch im mitteleuropäischen Winter – und wer könnte angesichts der politischen Lage kein Verständnis für solche Bürger*innen aufbringen, die verzweifelt versuchen, die neue Unübersichtlichkeit in kleinen Papierschächtelchen zu verstauen?
Kann mal jemand den Deckel auf dieses Brexit-Drama machen? Welche luftdicht verschließbare Box ist groß genug für die AfD? Braucht nicht sogar die Bundeswehr, von der man immer annahm, sie sei ein Hort der Ordnung und des Kleiderfaltens, Unmengen von Coaching und Consultancy? Und vielleicht kann Marie Kondo ja auch mal bei der Deutschen Bahn AG vorbei schauen. Ja, insgesamt gäbe es ja doch einiges aufzuräumen derzeit, nicht nur in Deutschland. „Hiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen