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Orbáns „Friedensmission“Erfolgreiche Störfeuer aus Ungarn

Tanja Tricarico
Kommentar von Tanja Tricarico

Kyjiw, Moskau, Turkstaaten – mit seiner Reiseroute macht der EU-Ratspräsident und Ungarns Regierungschef klar, was er von der EU hält: nicht viel.

Ziemlich beste Freunde: Ungarns Staatschef Orbán und Russlands Präsident Putin Foto: Valeriy Sharifulin/Sputnik

D ie derzeitigen Reisetrips des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán können getrost als Provokation bezeichnet werden. Nur einen Tag, nachdem Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, trifft Orbán in Kyjiw ein, um mit dem ukrai­ni­schen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj seine Pläne einer „Friedensmission“ zu erläutern. Dann geht es nach Moskau, zu dem Mann, der die russische Invasion in der Ukraine angeordnet hat, Wladimir Putin. Zum krönenden Abschluss folgt ein Besuch bei der Organisation der Turkstaaten in Aserbaidschan. Für alle Reisestopps hat Orbán weder ein Mandat der EU noch der Nato oder eines anderen internationalen Partners.

Dass Orbán eher Putin nahesteht als der Freiheit und der Unabhängigkeit der Ukraine, ist kein Geheimnis. Dank diplomatischen Geschicks und verschiedenster Finanzdeals konnte bisher innerhalb der EU verhindert werden, dass Ungarn Hilfen für die Ukraine blockiert. Allenfalls kam es zu Verzögerungen. Doch mit dem Mandat der EU-Ratspräsidentschaft bis Ende des Jahres nutzt der Regierungschef die Aufmerksamkeit, die ihm zu Teil wird, und ein Stilmittel, das ebenso getrost der hy­bri­den Kriegsführung zugeordnet werden kann.

Denn während sich EU-Kommis­sions­präsidentin Ursula von der Leyen, EU-Außenbeauftragter Josep Borrell und auch Noch-Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sofort genötigt fühlten klarzustellen, dass Orbán nicht im Auftrag ihrer Organisationen unterwegs ist, deutete Putin die Handreichung nach Moskau durchaus als Angebot der Europäischen Union. In diesem Sinne hatte Orbáns Mission bereits Erfolg. Es gleicht einem äußerst geglückten Störfeuer, dass die ohnehin desolate weltpolitische Lage noch mehr anheizen soll.

Fast nebensächlich erscheint die Ausladung der deutschen Außenministerin Anna­lena Baer­bock. Eigentlich wollte sie am Montag ihren ungarischen Amtskollegen Péter Szijjártó in Budapest treffen. Doch „aus Termingründen“ seitens Ungarns kommt dieser Besuch nun nicht zustande. Das deutsche Außenamt reagierte irritiert nach der Absage, schließlich hätten Baerbock und Szijjártó sich ernsthaft über Orbáns Reisen unterhalten müssen. Putins Freunde freute der diplomatische Eklat immens, feierte man in den sozialen Medien doch einhellig, dass man sich von der „grünen Kriegstreiberin“ aus Deutschland nichts sagen lassen würde.

Orbán wurde unterschätzt

Diese Ehrlichkeit aus den Troll­fa­bri­ken entlarvte das Kalkül der Reisetätigkeiten. Gesprächskanäle offen halten, nach Friedensoptionen suchen in einem festgefahrenen Abnutzungskrieg zwischen der Ukraine und Russland ist mehr als löblich. Doch die ungarische „Friedensmission“ hat nicht Verhandlungen auf Augenhöhe im Blick, sondern vielmehr ein Kriegsende nach den Vorstellungen Putins. Absprachen mit internationalen Partnern der Ukraine, also der EU, der Nato, auch Deutschland, stehen dabei nicht auf der Agenda.

Wenn in wenigen Tagen die Nato mit großem Pomp ihren 75. Geburtstag in Washington feiern wird, wird auch der ungarische Staatschef mit am Tisch sitzen. Das Militärbündnis steht im Jahr drei der russischen Invasion in der Ukrai­ne enorm unter Druck. Noch-Nato-Chef Jens Stoltenberg ist es nicht gelungen, langfristige Finanzhilfen für Kyjiw zu garantieren. Auch an dieser Störung war Ungarn beteiligt – und hat nun einmal mehr klargemacht, dass es ein gemeinsames und starkes politisches Signal seitens der Nato an Putin derzeit nicht geben wird.

Offenbar wurde Orbán unterschätzt, obwohl Aussagen und Zeichen seit Langem deutlich sind. Spätestens jetzt müsste innerhalb der EU eine eindeutige Richtungsänderung erfolgen. Weniger Ausloten und weniger beschwichtigende Deals, sondern eine klare Haltung gegenüber antidemokratischen Strömungen, gegenüber Feinden der Demokratie, der territorialen Integrität.

Wie sehr Orbán die Europäische Union verabscheut, macht er derzeit auch an anderer Stelle klar. Für sein mit der österreichischen FPÖ und der ANO-Partei aus Tschechien neu gegründeten Bündnis „Patrioten für Europa“ hat er innerhalb kürzester Zeit neue Mitstreiter gewonnen, um im EU-Parlament eine neue Fraktion zu gründen. Ihr Programm: Nein zu Migration und zum Green Deal, keine Hilfen für die Ukraine, mehr Unabhängigkeit für die Nationalstaaten. Die Anhänger des Bündnisses wollen nichts weniger als Europa verändern, „auch gegen den Willen der Brüsseler Eliten“. Es läuft also richtig gut für den Störer in der Europäischen Union.

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Tanja Tricarico
Ressort ausland
Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Seit März 2024 im Ressort ausland der taz, zuständig für EU, Nato und UN. Davor Ressortleiterin Inland, sowie mehrere Jahre auch Themenchefin im Regie-Ressort. Privat im Einsatz für www.geschichte-hat-zukunft.org
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15 Kommentare

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  • Eins noch dazu: Mit Orban reden die Leute. Mit Baerbock und Habeck nicht.

    Da scheint es Unterschiede zu geben, wer ernst genommen wird und wer nicht.

    • @EIN MANN:

      "Da scheint es Unterschiede zu geben, wer ernst genommen wird und wer nicht."



      Sie glauben wirklich, Putin oder Xi nehmen Orban ernst?



      Für Putin ist er ein nützlicher Idiot, der ihm evtl. helfen könnte die EU zu spalten. Xi dürfte ähnlich denken.

      • @Encantado:

        Ernster als Baerbock oder Scholz in jedem Fall.

  • "Für alle Reisestopps hat Orbán weder ein Mandat der EU noch der Nato oder eines anderen internationalen Partners."

    Benötigt Orban als Regierungschef eines Staates die Erlaubnis anderer Staatschefs, der NATO oder sonstwem, um sich mit anderen Regierungschefs zu treffen? Benötigt er ein genaues Skript von Herrn Stoltenberg oder Frau von der Leyen oder gar von Olaf, was er zu sagen hat?

    Gut so. Endlich mal einer, der was tut mit diesem Krieg. Eigentlich sollte man erwarten, dass jede Woche einer oder mehrere Regierungschefs der EU in Moskau anrufen und fragen: "Hey Vladimir, was kann man tun, dieses Sterben und die Zerstörung zu beenden? Können wir mal zusammen an einer Lösung arbeiten?"

    Statt dessen: Russland muss verlieren, muss bestraft werden, muss auf Knien um Frieden betteln. Ohne Canossa reden wir nicht.

    Klappt ja supi bisher. Ströme von Blut düngen die ukrainische Erde. Hauptsache, es ist größtenteils russisches Blut.

    • @EIN MANN:

      "Eigentlich sollte man erwarten, dass jede Woche einer oder mehrere Regierungschefs der EU in Moskau anrufen..."



      Sie erinnern sich, dass das im Vorfeld sogar mit persönlichen Besuchen versucht wurde? Gebracht hat es nichts.



      Woher wissen Sie, dass derartige Anrufe nicht stattfinden bzw. versucht werden? Putin müsste natürlich drangehen.



      Wo ist Ihre Frage danach, warum Putin nicht irgendwo anruft, um diesen Krieg zu beenden? Mal ganz abgesehen, dass er's einfach tun könnte.



      Schon interessant, wer am Weiterführen dieses Krieges schuld sein soll und wer nicht.

  • Wenigstens einer der mit Putin redet; und jetzt bitte nicht wieder das „man darf mit ihm nicht reden“ Gerede

    • @Thomas Werner:

      Man darf nicht unabgestimmt mit ihm reden und womöglich Zugeständnisse machen, die auf Kosten der Ukraine gehen.



      Besser?

  • Ach lasst den Orban doch bellen. Wichtiger wäre, dass die Demokraten in den USA jemanden aufstellen, der Trump schlagen kann. Denn wenn Trump wieder US Präsident wird, wird es wirklich gefährlich...Orban sollte man mal nicht so unnötig aufwerten.

  • Kann man Ungarn nicht einfach aus der EU ausschließen? Antidemokratische Staaten vertragen sich nicht mit der Idee von Europa.

  • Ja, mit wem sonst wollen Sie verhandeln? Dem Weihnachtsmann?



    Ich bin immer wieder über den absoluten Mangel an Realismus gerade in der taz schockiert. Was wären die Alternativen? Isolation- hat nicht funktioniert. Wirtschaftskrieg- hat nicht funktioniert. Militär - hat nicht funktioniert, wird eher schlechter. Was bleibt also außer Diplomatie?

    • @Kartöfellchen:

      Nach ihrer Logik hat aber Diplomatie auch nicht funktioniert und zwar noch massiver nicht als alles andere. Es stellt sich auch die Frage wie man funktionieren definiert. Russland ist massiv geschwächt, die Ukraine existiert noch so gesehen hat die militärische Lösung funktioniert. Und der Wirtschaftskrieg frisst Russlands Ressourcen ist ein langsamer Prozess aber er macht Russland zunehmend nervös. Im Moment insisitiert Putin immer noch auf einer Kapitulation der Ukraine bevor Verhandlungen anfangen daher gibt es keine Alternative als die militärische Unterstützung weiterzuführen.

    • @Kartöfellchen:

      nur dass Orban eben keine Diplomatie betreibt. Er kocht seine eigene Suppe. Diplomatie können hier nur die Staaten betreiben, die die Ukraine unterstützen. Das macht Ungarn, Orban aber nicht. Natürlich kann er sich als Schaufensterpuppe für Putin, Xi und wennauchimmer anbieten. Aber er kann eben nicht für die EU sprechen. Er hat diplomatisch überhaupt nichts anzubieten - denn die Ukraine hat ihn ebenfalls nicht mit einem Verhandlungsmandat ausgestattet.



      Er ist ein egozentrischer Kasper.



      Und Putin weiß das ebenso gut wie Xi, aber nützlich ist er für beide allemal, als Störsender.

  • So langsam werden Geheimdienste daran arbeiten, wie man Orbán vergiften kann, sein Störfeuer erreicht das Niveau, wo es gefährlich wird. In dieser Situation bietet Putin nichts an. Er will nichts anbieten, er schmiedet Bündnisse der autoritären Staaten gegen den Westen, die EU, die NATO und natürlich die USA. Es besteht kein Bedarf, dass Orbán dort hinfährt, im Gegenteil das ist kontraproduktiv und es kann für Europa sehr gefährlich werden, neue Kriege und Konflikte können entstehen. Orbán sorgt nicht für Frieden, sondern bereitet neue Konflikte vor.

  • Jedem ist der korrupte Orban, der EU Gelder privat abzweigt bekannt, der wird von seriösen Menschen nicht ernst genommen.

  • ahem, "Störfeuer" ist keine Art von Lagerfeuer sondern ungezielter Artilleriebeschuss vorwiegend nachts so dass beim Gegner keiner schlafen kann. Und so dass man mit etwas Glück irgendwas trifft. Die Überschrift müsste also "Erfolgreiches Störfeuer aus Ungarn" heissen.