Orbán wirbt für „illiberale Demokratie“: Autoritäre Herrschaft verteidigen
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán wirbt in einer Rede erneut für eine „illiberale Demokratie“. Das befeuert die Debatte in heimischen Medien.
Lange Zeit war gerätselt worden, was man sich unter „illiberaler Demokratie“ vorstellen müsse. Orbán hat den Begriff immer wieder ins Spiel gebracht, um sich von westlichen Demokratievorstellungen und vor allem von der EU-Politik abzugrenzen und seine zunehmend autoritäre Herrschaft zu verteidigen.
Der regierungsnahe Politologe Dániel Deák erklärt, der Begriff stehe „für den Vorrang der Gemeinschaft gegenüber dem Einzelnen“. Kollektive, einschließlich der Familie, die im Westen immer weiter geschwächt würden, müssen laut Deák geschützt werden. Interessant, dass Orbán Ursula Von der Leyen, die durch seine Intrigen in die Kommissionspräsidentschaft befördert wurde, zuvorderst als „Mutter von sieben Kindern“ und mit einem pragmatischen Zugang zur Politik als besonders geeignet erachtet. „Wir haben überall die Kandidaten von George Soros blockiert, überall“, brüstete sich Orbán.
Soros ist der in Ungarn geborene US-Milliardär, der liberale Stiftungen sponsert und einen finsteren Plan zur Überflutung Europas mit Migranten ausgeheckt haben soll. „Wir haben verhindert, dass ideologische Guerillas an der Spitze der europäischen Institutionen installiert werden.“ Die Rettung des christlichen Abendlandes spielt in Orbáns Reden eine zunehmende Rolle.
Reaktionen der Medien
„Ungarn ist ein heidnisches Land. Hier ist niemand religiös“, sagte die unlängst verstorbene ungarische Philosophin Ágnes Heller vergangenes Jahr in einem auf dem Onlineportal Krytyka Polityczna erschienenen Interview. „Das Christentum hat in Ungarn keine Bedeutung, es ist nur ein ideologisches rhetorisches Mittel.“
In der Onlineausgabe des Satiremagazins Magyar Narancs vergleicht ein anonymer Autor die Ansprache Orbáns mit der „verwirrten Rede“, die der damalige KP-Chef János Kádár bei seiner letzten Teilnahme an einer Sitzung des Zentralkomitees kurz vor seinem Tod – und dem Ende seines Regimes – 1989 gehalten habe.
Der liberale Kolumnist Péter Magyari vom Onlineportal 444 schreibt, Orbán erschaffe Schreckgespenster, um ihnen dann vorzuwerfen, sie würden die ungarische Nation wie auch die Christenheit angreifen. Magyari bezichtigt den Premier massiver Korruption sowie der Entwurzelung unabhängiger Institutionen. Der Premier wolle seine Machtpolitik als politische Vision verkaufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?